»Es kann für alle sehr befreiend sein«
Frau Hickert, Sie haben am Theater Münster das Format »Theater entspannt« eingeführt, um Menschen anzusprechen, die sich sonst nicht ins Theater trauen oder es aufgrund einer Behinderung nicht genießen können. Hier in Köln gab es jetzt ebenfalls eine »Relaxed Performance«. Nehmen die Inklusionsbemühungen an den NRW-Theatern wieder Fahrt auf?
Ich glaube, dass Inklusion und Zugänglichkeit einen immer wichtigeren Stellenwert innerhalb der Institution Theater einnehmen, was sich bereits in der Arbeit vieler Theater widerspiegelt. Das ist nicht zuletzt dem Aktivismus und den Forderungen von Menschen mit Behinderung zu verdanken, die sich einen Platz am Tisch erkämpfen mussten und müssen. Die Behinderung selbst ist ja nicht der Grund dafür, dass Menschen die Angebote nicht genießen können, sondern die fehlende Inklusion. Wir befinden uns auf einem guten Weg, stehen realistisch betrachtet aber in vielem noch am Anfang.
Was sind die Hauptmerkmale Ihres Formats?
Mit »Theater entspannt« möchte das Theater Münster eine Umgebung schaffen, in der sich möglichst viele Menschen ohne Angst vor negativen Reaktionen wohlfühlen und Theater genießen können. Beispielsweise sind Geräusche und Bewegung ausdrücklich erwünscht und das Publikum wird eingeladen, den Saal bei Bedarf zu verlassen und jederzeit wiederzukommen. Auch wenn manche Dinge für Zuschauer*innen, die regelmäßig ins Theater gehen, vielleicht selbstverständlich erscheinen, halte ich es für wichtig, aktiv daran zu arbeiten, in den Köpfen existierende Vorstellungen von Theateretikette abzubauen. Dazu kommen allgemeine Maßnahmen für verbesserte Zugänglichkeit wie Gebärdensprachdolmetscher*innen, Textübersetzungen in Leichte Sprache und Hinweise auf sensible Inhalte und sensorische Reize.
Welchen Grundsätzen fühlen Sie sich als Inklusionsagentin verpflichtet?
Da geht es um Gleichberechtigung in jeglicher Form. Auf meine Arbeit bezogen ist natürlich der gleichberechtigte Zugang zu Kulturangeboten von besonderer Bedeutung, da wir ja alle ein Recht auf kulturelle Teilhabe haben. Dies bezieht sich nicht nur auf Barrieren, die Menschen mit Behinderung diese Teilhabe erschweren, sondern grundsätzlich auf Ausschlussmechanismen.
Bei welchen Theatererlebnissen müssen Sie innerlich aufschreien?
Bei der Reproduktion von diskriminierenden Vorurteilen und dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.
Im Idealfall bringen Formate wie ›Theater entspannt‹ Menschen mit und ohne Behinderung zusammen
Ann-Kathrin Hickert
Für wen sind niedrigschwellige Aufführungsformate sonst noch interessant?
Ich würde das nur ungerne eingrenzen wollen, weil wir seit dem Beginn dieses Formats gemerkt haben, wie viele unterschiedliche Menschen sich davon angesprochen fühlen.
Wenn man Sondervorstellungen für Menschen mit Behinderung anbietet, geht damit nicht auch eine Gefahr einher, dass sie für den Rest des Publikums unsichtbar werden und sich ausgeschlossen fühlen?
Das ist eine berechtigte Sorge. Im Idealfall bringen Formate wie »Theater entspannt« Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Sie schaffen Begegnungsräume. Es sollen keine Sonderveranstaltungen sein, die ausschließlich bestimmte Zielgruppen ansprechen. Allerdings ist die Kommunikation darüber sicherlich ein Balanceakt.
Kommen die Menschen auf und hinter der Bühne mit der Unruhe gut klar?
Auch wenn die Situation für viele Künstler*innen ungewohnt ist, fallen die Reaktionen sehr positiv und wertschätzend aus. Laut lachen zu können, wenn eine Komödie ihre Wirkung entfaltet, oder der Begleitung eine kurze Verständnisfrage stellen zu können, ohne ein gezischtes »Pst!« zu hören zu bekommen, kann für alle Parteien sehr befreiend sein.
An einem städtischen Theater gibt es gewisse finanzielle und personelle Möglichkeiten. Sie haben auch das Förderprogramm »Neue Wege« des Landes nutzen können. Lassen sich aus Ihren früheren und jetzigen Erfahrungen Anregungen für kleinere Theater ableiten?
Meine Arbeit ist vor allem von dem Austausch mit lokalen Selbstvertreter*innen sowie Organisationen geprägt, die bereits wunderbare Arbeit leisten. Aus diesen Gesprächen lassen sich oft konkrete Maßnahmen ableiten, die die Menschen einbeziehen, die sie erreichen möchten. Und: Transparent sein und nicht verschweigen, was sich (noch) nicht umsetzen lässt.