Keine Kuscheldemokratie
Warum bist du eigentlich vor 13 Jahren von Köln nach Lagos gezogen?
Adé Bantu: Ich brauchte einfach einen Abstand zu Deutschland. Durch mein Projekt »Brothers Keepers« und durch das Thema Rassismus war ich so vereinnahmt, dass ich irgendwann merkte: Das wird zu meinem Lebensthema, zu einer Art Zwangsjacke. Ich bin nämlich viel mehr als nur afro-deutsch, ich bin viel mehr als nur der Sprecher der Black- oder afrikanischen Community in Deutschland. Daher war es damals an der Zeit, das, was ich bis dahin in Deutschland geleistet hatte, mit etwas Abstand aus der Ferne zu betrachten. Ich war müde und auch ausgelaugt. Die Zwangsjacke zerrte an meiner Substanz. Lagos bedeutet für mich schließlich eine Art Befreiungsschlag. Hinzu kam: Es fühlte sich für mich falsch an, als inoffizieller Sprecher Deutschlands für den Kontinent Afrika nicht selbst auch in Afrika zu leben. Wie sollte ich für und über einen Kontinent reden, wenn ich nicht wirklich dort lebe und nicht weiß, was vor Ort passiert? Den afrikanischen Puls der Zeit konnte ich damals nicht spüren. Und die Band BANTU war in Nigeria schon längere Zeit keine unbekannte Größe mehr. Das erleichterte mir selbstverständlich den musikalischen Einstieg in Lagos.
Aber du kanntest Lagos auch schon aus deiner Kindheit?
Ja, genau. Etwa zwei Jahre, nachdem ich in Wembley zur Welt gekommen war, bin ich zusammen mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder nach Lagos ausgewandert. Und die ersten Sounds, die ich bewusst als Kind mitbekommen habe, stammten aus Lagos: dieser Lärm, dieses Chaos. Das alles ist ja immer da. Nicht zu vergessen: die Staus dort. In denen laufen die Straßenverkäufer den Autos hinterher und preisen in verschiedenen Sprachen ihre Waren an. Brot, Erdnüsse, Gemüse und viele andere Dinge schreien sie dir zu. Da entsteht schon ein ganz spezieller Ruf-Rhythmus, den du als Kind aufsaugst. Dann hörst du aus den Wohnungen oder Bars mal hier Juju, Afrobeats, mal dort Fela Kuti. Und meine Eltern liebten wirklich Musik. James Last und James Brown wurden bei uns unter einem Dach gespielt. Wenn du mit solch einer musikalischen Vielfalt aufwächst, dann nimmst du Musik ganz anders wahr. Oder besser gesagt: Du nimmst diese Vielfalt als selbstverständlich an. Hier in Deutschland ist es doch eher diese oftmals eingeengte Sichtweise gewesen: Beatles sei Musik von Weißen für Weiße. James Last auch und so weiter. So ein Quatsch. »James Last, that’s the guy!«, meinte noch vor Kurzem ein Freund von mir. Recht hat er.
Und dann kommt der 15-jährige James Last-Verehrer Adé 1986 nach Köln
… und zieht zuerst in ein fünfstöckiges Haus in Leverkusen. Aber innerhalb der ersten Monate habe ich dann Köln für mich entdeckt. Köln war mein Zufluchtsort. In Leverkusen gab es nämlich keine People of Colour. Am Rhein entlang konnte ich mit meinem Fahrrad gut nach Köln kommen, ich brauchte kein Bahn- oder Busticket. Und mit der Zeit habe ich mich dann immer stärker der Kölner Hip-Hop-Szene angeschlossen. So entstand eine erste Verwurzelung zwischen Köln und mir. Dennoch: Ich musste damals zunächst einmal begreifen, wo ich mich überhaupt befinde. Alles war neu für mich. Die deutsche Sprache, die Pubertät. Es war ein Kultur-Schock für mich, das muss ich zugeben.
Gab es denn in dieser Zeit eine Art Schlüsselmoment, der dich negativ geprägt hat?
Als ich als Sechsjähriger einmal meine Großeltern in Deutschland besuchte, kam eines Tages ein kleiner Junge auf dem Spielplatz zu mir und fragte mich: »Bist du ein Neger?« Diesen Begriff kannte ich damals nur ein bisschen aus dem Film »Roots«, der 1977 auf der Basis des gleichnamigen Romans von Autor Alex Haley im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt wurde. Mit dem Begriff selbst konnte ich als Knirps überhaupt nichts anfangen. Es hat mich nicht verletzt. Ich fragte mich nur, weshalb ich denn etwas mit der Sklaverei zu tun hätte. Erst Jahre später dann, als Jugendlicher, ist mir diese scheinbar kleine Situation auf dem Spielplatz in ihrer Bedeutung und Prägung so richtig bewusst geworden. Ihre Verarbeitung schlich sich aber schon vorher in meinem Unterbewusstsein ein. Und dann verstehst du plötzlich, warum es einen »Hausdetektiv« gibt, der dir immer hinterhergeht, warum Leute in der Bahn sich nicht neben dich setzen wollen. Das Sachbuch »Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte«, das 1986 von Katharina Oguntoye, May Ayim und Dagmar Schultz veröffentlicht wurde und Themen wie Rassismus und das vorkoloniale Afrikabild in Deutschland aufgreift, öffnete schließlich alle Erkenntnisschleusen in mir. Die Dramen in Hoyerswerda, Rostock, Solingen, die konnte ich dadurch noch viel besser kapieren. Und klar, aufgrund meines Aussehens und meiner schlechten Deutschkenntnisse haben Mitschüler und auch Lehrer meinem Bruder und mir unsere Intelligenz abgesprochen. Nur wenige Lehrer involvierten uns mit Englisch in ihren Unterricht. Bei Freunden durften wir während des Essens nicht am Tisch sitzen, Väter sagten zu ihren Töchtern: »Mach mir bloß keine Neger-Babys!« Bei all dem war ich 16, man verstand es nicht immer sofort in Gänze. Was einen zunächst auch schützte. Doch später dann entstand in mir auch eine gewisse Wut gegenüber dem Deutschsein. Die Musik hat mir definitiv dabei geholfen, diese Wut zu kanalisieren. Ich hörte Public Enemy und las Malcolm X bis zum Abwinken. Der Hip-Hop und dessen multikulturelle Seite war meine Einstiegskarte, um aus dem Außenseitertum herauszukommen.
Es fühlte sich falsch an, als inoffizieller Sprecher für den Kontinent Afrika nicht selbst auch dort zu leben Adé Bantu
Und der einstige Außenseiter kommt also nun mit Afropolitan Vibes, dem Festival, das er 2013 als regelmäßige Konzertreihe in Lagos gegründet hat, am 30. Juli nach Köln zurück
… Ja, das tut er. Aber es ist nicht irgendein afrikanisches Festival. Viele Afrika-Festivals bedienen Klischees. Aber ein Afropolitan ist komplexer und anspruchsvoller als der durchschnittliche Europäer. Sprachlich, in seiner Kompetenz der Multi-Lingualität, kulturell. Dahinter steckt einfach eine andere Haltung, die ihre Wurzeln im asiatischen oder südamerikanischen Raum hat. Afropolitan Vibes im Odonien ist mir deshalb eine Herzensangelegenheit. Und Adé, der »Kölsche Jung« kehrt zurück, wenn man so will. Das stimmt.
Erinnert mich irgendwie an Adés Auferstehung. Bist du religiös?
Ich bin spirituell. Aber ich ordne mich weder dem Christentum noch dem Islam zu. Zu Hause bin ich eher in der Philosophie der Yorùbá.
Apropos: Der Einfluss der Yorùbá-Musik, also bestimmte Trommeltechniken, ist auch auf eurem neuen BANTU-Album »What Is Your Breaking Point« klar herauszuhören. Wo liegt denn dein persönlicher Bruchpunkt?
Erst einmal muss ich klarstellen: Die Musik hilft mir dabei, mit dem ganzen Wahnsinn der Welt zurechtzukommen. Ohne die Musik würde ich meinen Verstand verlieren. Dieser Hilflosigkeit kann ich nur entgegenwirken, indem ich Songs schreibe, und mir und anderen Menschen damit das Gefühl gebe: Es geht auch anders. Es gibt einen Weg heraus aus den Krisen. Und in diesem Prozess muss ich mich natürlich auch fragen: »Adé, ab wann kannst du nicht mehr? Wann gibst du auf?« Bis jetzt habe ich diesen Punkt noch nicht erreicht, auch wenn ich die nicht enden wollende Korruption in Nigeria oder den derzeitigen Aufstieg der AfD in Deutschland sehe. Ich »vergrabe« mich dann eher, schiebe eine kurze Depri-Phase und komme dann wieder zurück. Ich halte es da wie Harry Belafonte, der einst sagte: »I’m a perpetual optimist.« Ich bin ein ständiger Optimist. Das ist wirklich meine Natur. Ich kann einfach nicht aufgeben. Aber: Ich möchte die Leute mit dieser Titel-Frage auch zum Widerstand aufrufen. Das drücke ich auch indirekt durch einen bestimmten Vers im Song »Breaking Point« aus, der da lautet: »When can you take it no more? Ho much can you absorb?«
Widerstand aber nicht im militanten Sinne, oder?
Nein, natürlich nicht. Trotzdem: Wir müssen uns die Demokratie zurück erkämpfen. Zu lange haben wir uns an den Gedanken gewöhnt, dass das alles hier immer von selbst funktionieren wird. Das ist jedoch ein Trugschluss. Wir müssen in Europa, Afrika oder sonst wo für die Demokratie auf die Straßen gehen. In der Republik Sudan beispielsweise sterben junge Menschen für sie, stellen sich mit ihren Körpern als Schild dem Militär entgegen. Manchmal glaube ich, hier in Deutschland ist es für uns zu komfortabel geworden. Facebook hier, Instagram da. Kuscheldemokratie 2.0.