Blamage vertagt
Am Montag, dem 10. Juli haben sich knapp 150 Menschen an der Hohenzollernbrücke versammelt. In ihrer Mitte steht eine bronzene Pyramide mit der Aufschrift »Dieser Schmerz betrifft uns alle«, an der Spitze ein Granatapfel mit einer Kerbe. Am 24. April jedes Jahres wird sie aufgestellt, um an den Genozid 1915/16 zu erinnern, als die Regierung des Osmanischen Reichs zwischen 300.000 und 1,5 Mio. Armenier:innen umgebracht hat. Aber am 10. Juli steht nicht das Gedenken im Mittelpunkt, sondern die Zukunft. Das Mahnmal soll am gleichen Tag geräumt werden; die Demonstrierenden wollen, dass es stehen bleibt.
Darüber entschieden wird ein paar Hundert Meter weiter im Rathaus. Dort tagt der Hauptausschuss und Grüne, SPD, Linke und FDP haben einen Dringlichkeitsantrag gestellt: Das nur temporär geduldete Mahnmal soll weiter stehen bleiben. »Um 18.47 Uhr haben wir eine E-Mail erhalten«, so Ilias Uyar von der Initiative »Völkermord erinnern«: Das Mahnmal darf vorerst stehenbleiben.
Es war ein unnötiger Showdown. Ende März hatte die Bezirksvertretung Innenstadt beschlossen, in der Nähe der Hohenzollernbrücke einen Gedenkort für den Genozid zu errichten. Die Verwaltung solle einen entsprechenden Dialogprozess einleiten. Passend dazu erhielt die Initiative die Erlaubnis, das Mahnmal in diesem Jahr einen Monat lang aufzustellen. Kurz vor Ablauf der Frist hatte die Initiative beim Verwaltungsgericht Köln beantragt, das Mahnmal bis zum 26. April 2026 stehen zu lassen. Das Kalkül der Initiative: Bis dahin ist der Dialogprozess abgeschlossen. Am 16. Juni fällte auch der Rat einen Beschluss pro Mahnmal. Nur das Verwaltungsgericht wollte nicht mitmachen: Eine Woche nach der Ratssitzung lehnte es den Antrag der Initiative ab. Bis zum 10. Juli müsse das Mahnmal abgebaut sein, anderenfalls würde es die Stadt Köln räumen. Diese begründete im Hauptausschuss, warum: »Grundsätzlich« könne man ein Mahnmal erst aufstellen, »wenn ein Verfahren durchlaufen wurde«. Dieses Verfahren sei »in Abstimmung mit dem Kunstbeirat aufzusetzen«, zudem müssten »diverse Dienststellen« beteiligt sein. Die Verwaltung habe in einer hochsensiblen Angelegenheit ein »ungehobeltes Verhalten« an den Tag gelegt, sagt Andreas Hupke, Bürgermeister der Innenstadt (Grüne). »Es ist traurig, dass ein dritter politischer Beschluss nötig war, um Köln vor einer bundesweiten Blamage zu bewahren.«
Ilias Uyar fragt sich, warum die Verwaltung auf ihrem Verfahren beharrt. Er vermutet, dass konservative türkische Verbände Druck ausgeübt haben. Im Juni hatte die »Initiativ Türk«, das Forum türkischer Vereine und Verbände in Köln, den Beschluss für das Mahnmal als »einseitig und nicht inklusiv« kritisiert und der Bezirksvertretung Innenstadt eine »spalterische Entscheidung« vorgeworfen. Christiane Martin, Fraktionschefin der Grünen, hat das kritische Schreiben erhalten. »Aber das habe ich nicht als Druck empfunden, und so leicht lasse ich mich auch nicht unter Druck setzen«, sagt sie. Die Stadtverwaltung beantwortet nicht, ob es Treffen oder Kontakte mit türkischen Vereinen gegeben habe.
»Auch den türkischen Mitbürgern müssen wir die Hand reichen«, sagt Andreas Hupke mit Blick auf den kommenden Dialogprozess. Nach Auskunft der Stadt soll er nach der Sommerpause beginnen. »Damit entfällt die rechtliche Grundlage für die Duldung des Mahnmals«, sagt eine Sprecherin. Für Ilias Uyar ist das kein guter Start. »Der Dialog ist dadurch im Vorhinein belastet«, sagt er. »Es ist doch absurd, ein schon existierendes Mahnmal erst mal abzubauen.«