Krachfanatiker mit einem Faible für zerbrechlichen, rostigen Blues: Peter Brötzmann, Foto: Frank Schindelbeck

Lustvoll subversiv

Zum Tode des Wuppertaler Saxofonisten und Free Jazz-Pioniers Peter Brötzmann

Es hat etwas Tröstliches, wenn ­jemand ein Werk hinterlassen hat, das man als abgeschlossen, ja: vollendet (in der ganzen Mehrdeutigkeit dieses Wortes) bezeichnen darf, der sein Leben gelebt hat und es geschafft hat, allen Widrigkeiten zu trotzen. Über Peter Brötzmann kann man all das sagen. Seine Musik wird man noch in 50 Jahren hören, die Free-Jazz-Szene Europas, die er in den 60er Jahren mitbegründet hat, ist längst kanonisiert, als bildender Künstler, der er eigentlich war, wird er immer wiederentdeckt werden. Doch macht diese Einsicht, die Trost spenden soll, uferlos traurig. Denn mit Brötzmann verschwindet, nun: keine Epoche, viele seiner Weggefährten leben und spielen noch, aber ein Begriff und eine Verkörperung von künstlerischer Radikalität und Freiheit, die in der Tat einmalig war.

Klar — Brötzmann, der Free-Jazz-Pionier aus dem sonst so beschaulichen Wuppertal (der seine Heimatstadt aber nie verlassen wollte); der Saxofon-Berserker, dessen Platten »Machine Gun«, »Alarm«, »Headfirst into the Flames« oder »Die Like a Dog« hießen; der Krach-Fanatiker mit dem Faible für zerbrechlichen, rostigen Blues: die Schlagworte liegen parat. Er hat sich gegen sie gewehrt, mit der ihm eigenen Übellaunigkeit, und kurioserweise die Bilder und Gerüchte doch bestätigt. Weil er immer wieder auf den Ton, den großen Schrei, zurückkam, der ihn 1968 berühmt gemacht hat.

Er war auf der Suche nach etwas, von dem er wusste, wie es zu klingen hatte und wo er es finden konnte. Irgendwie paradox, man muss es genauer erklären. Brötzmann kam vom Fluxus. Nam Jun Paik lehrte an der Wuppertaler Werkkunstschule, Brötzmann war sein Assistent, das war vor 60 Jahren. Fluxus — Formenzerstörung, lustvolle Subversion von Bedeutung und künstlerischem Kanon. Brötzmann übertrug das in den Jazz. Gleichzeitig organisierte er ein Konzert mit Charles Mingus und Eric Dolphy in der Wuppertaler Stadthalle und war großer Fan von Billie Holiday und Ben Webster. Genau das Gegenteil von Fluxus. Brötzmann wollte beides — die Zertrümmerung, die natürlich mit seinem tiefen Ekel vor dem postnazistischen Deutschland der 50er und 60er Jahre zu tun hatte, und die Flucht in die Ballade, in das Anmutige, in das aufrichtig Schmerzhafte, wie es für ihn vor allem Billie Holiday verkörperte. Aus dieser Spannung entstand sein Ton, seine Stimme, sein langer Atem, den er in seinen letzten Jahren auch der chronischen Bronchitis abtrotzte. Unmittelbar erlebten das die Hörer als extrem fordernde, aggressive, dauerkrawallige Musik, aber für Brötzmann selbst war dieser Ton nie gesetzt, blieb eine höchst prekäre Angelegenheit. Obwohl er ihn regelrecht verkörperte, sodass man dachte, ein 2-Meter-und-120-­Kilo-Hüne spielte ihn — dabei war Brötzmann recht besehen ziemlich schmächtig —, war er sich dieses Tons doch nie sicher, musste ihn stets für sich neu finden, mit immer neuen Gefährten, mit ­denen er schon in den 70er Jahren die Trampelpfade des Free Jazz verließ.


Seine Musik wird man noch in 50 Jahren hören, als bildender Künstler, der er ­eigentlich war, wird er immer wieder­entdeckt ­werden

Er suchte ihn mit den südafrikanischen Exilanten Henry Miller und Louis Moholo, und es trieb ihn in die New Yorker Noise-Szene, wo er mit dem Starproduzenten Bill Laswell das Hochspannungsquartett Last Exit gründete. Letzterer war stolz auf seine teutonische ­Eroberung und verkündete, Brötzmann alsbald mit Lemmy von ­Motörhead ins Studio zu schicken. Den Brötzmann aber nicht kannte, und überhaupt reagierte er auf Marketing allergisch. Er vergrub sich in eine musikalische Spurensuche nach dem Werk Albert Aylers, dem Märtyrer des Free Jazz.

In dieser lebenslangen Suche, die etwas Manisches hatte — er ­kokettierte damit, auf der Bühne sterben zu wollen —, fand er die Freiheit: sich nicht mehr um Klischees, Erwartungen, Ansprüche scheren zu müssen. Stattdessen freute er sich, dass er in irgendeinem New Yorker Vorort einen alten Sun-Ra-Schlagzeuger, Walter Perkins, aufgetrieben hatte, der es noch einmal wissen wollte. Mit ihm probierte er etwas Neues, was zum Glück wie immer klang.

Letzter Absatz vor der Abschiedsformel: Anfang 2000 spielte Brötzmann mit den Krachextremisten Shoji Hano und Keiji Haino im Studio 672 (heute: Jaki). Wir standen Backstage, er zeigte, nach 40 Jahren Suff, etwas missmutig auf das Glas mit Wasser in seiner Hand, »Du wirst mich nicht mehr mit einem anderen Getränk sehen«, plötzlich hinter uns ein Gerumpel. Hano und Haino prügelten sich, übrigens ohne einen Mucks von sich zu geben. Irgendein Rangkonflikt. Brötzmann guckte eine Weile zu, dann (bestimmt): »Gentlemen! We have to play the show. Is that clear?« Rangkonflikt gelöst.

Peter Brötzmann, 1941 geboren, Saxofonist, Klarinettist, Maler und Grafiker, jahrelang Organisator seiner Szene, ist am 22. Juni in Wuppertal gestorben.