Dreharbeiten in Köln: Denis Moschitto in »Schock«, der Anfang 2024 in die Kinos kommt, Foto: bon voyage films

Zu komplex, zu langsam

Nicht nur Claudia Roth will die Filmförderung grundlegend reformieren. Wir haben uns bei Kölner Filmschaffenden erkundigt, was sie von den Vorschlägen halten

Pandemie und Streaming haben die Film- und Kinolandschaft massiv verändert, darauf will — oder muss — auch die Politik reagieren. Mitte Februar stellte Kulturstaatsministerin Claudia Roth in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung ein Acht-Punkte-Programm für eine — schon mehrfach verschobene — grundlegende Reform der Filmförderung vor. Im Juni reagierte daraufhin die Initiative Zukunft Kino + Film, ein Zusammenschluss von 11 Filmverbänden, mit einem Vorschlag zur Ausgestaltung dieser Eckpunkte.

»Das Fördersystem ist mit all seinen Richtlinien und Stellschräubchen zu komplex und damit zu langsam geworden«, schreibt Roth, es müsse effizienter aufgestellt werden. Dabei soll ausdrücklich »Scheitern als Chance« begriffen werden, heißt es gleich unter Punkt 1, »wir wollen Innovationsgeist und Risikobereitschaft stärken«.

Den Vorstoß und die acht Eckpunkte der Ministerin haben sich auch Kölns Filmschaffende genau angeschaut. Für Dokumentarfilmer und Produzent Arne Birkenstock (»Beltracchi — Die Kunst der Fälschung«) gehen Roths Impulse in die richtige Richtung: »Genre- und formatoffener zu fördern, finde ich gut. Ich wünsche mir dabei nicht nur von Filmschaffenden Mut, sondern auch von den Förderern, dass sie nicht überall ein bisschen mitmachen, damit man auf jeden Fall dabei ist, wenn irgendwas in Cannes, Toronto oder Berlin auf den Festivals läuft, sondern dass sie Entscheidungen treffen und in einzelne Projekte richtig reingehen, auch wenn es dann am Ende vielleicht nichts wird.« Erfolge, so Birkenstock, seien beim Film eben nur bedingt ­vorhersehbar.


Dieser Wanderzirkus zwischen den zahlreichen verschiedenen Filmförderungen in Deutschland ist nicht sehr nachhaltig, wenn man gleichzeitig Green Filming stärken möchte
Arne Birkenstock

Dem trägt der 8-Punkte-Plan insofern Rechnung, als Dokumentar-, aber auch Nachwuchsfilme nicht an der Marktlogik ausgerichtet sein sollen. Roth möchte auch die internationalen Streaminganbieter stärker ins Fördersystem einbeziehen, die öffentlich-rechtlichen Sender ohnehin. Doch ­genau hier sieht Claudia Steffen, Produzentin und Geschäftsfüh­rerin der Kölner Pandora Film (»Gundermann«), die Schwachstelle des Konzepts. »Ein ganz wesentliches Problem wird übersehen, und das ist bundespolitisch schwer zu lösen: Das Engagement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der es immer weniger als seine Aufgabe ansieht, Kinofilme zu machen.« Jedes Bundesland habe Landesrundfunkverträge, »und auf die kann eine Bundesministerin wenig Einfluss nehmen«. Und so glaubt die Produzentin nur bedingt an die Durchschlagskraft von Claudia Roths Reformen und hofft indes mäßig optimistisch auf eine Besinnung von ARD und ZDF auf ihren kulturellen Auftrag, der eben auch Film ganz klar beinhalte.

Claudia Roth spricht sich auch für eine stärkere Verzahnung der Förderinstrumente auf Bundes- und Landesebene aus, da stimmt ihr auch die Initiative Zukunft Kino + Film zu. Überlegungen, das Fördersystem zu verschlanken, heißt Arne Birkenstock grundsätzlich gut: »Die Zahl der Finanzierungsbaustellen zu reduzieren, ist richtig, dieser Wanderzirkus zwischen den zahlreichen verschiedenen Filmförderungen in Deutschland ist ja auch nicht sehr nachhaltig, wenn man gleichzeitig Green Filming stärken möchte.« Claudia Steffen hingegen betont die Vorzüge des bestehenden Fördersystems: »Uns gibt das auch Optionen, gerade wenn man im Arthouse-Bereich unterwegs ist. Wenn mir beispielsweise die Filmförderung in Baden-Württemberg bei einem Projekt absagt, dann habe ich in Deutschland noch viele weitere Chancen, Förderung zu bekommen; und das ist mir lieber als ein zentralistisches Modell, wo nur einer entscheidet und den Daumen hebt oder senkt.« Was die Produzentin hingegen begrüßen würde: Bürokratieabbau. »Jede Förderung hat ihre eigenen Formulare, ihre eigene Software, eigene Regeln, das zu vereinheitlichen, wäre wünschenswert.«

Stephan Holl hat sich mit Rapid Eye Movies vor allem als Verleiher asiatischer Arthouse-Produktionen (»Drive My Car«) einen Namen gemacht, arbeitet aber auch als Produzent. Grundsätzlich sei er sehr dankbar für die sogenannte »vereinfachte Förderung«, die auch ungewöhnliche und mutige Projekte finanziell fördere, wenn auch mit bescheidenen Mitteln. Holl treibt aber die Sorge um, dass nicht-europäische Produktionen bei einer Reform ausgeschlossen werden könnten: »Für mich hat Film keine Grenzen und meine Befürchtung ist, dass Reformen den deutschen Film in den Mittelpunkt rücken, vielleicht noch den europäischen, aber bei afrikanischen oder asiatischen Filmen ist dann Schluss«, so Holl. »Dass das Weltkino bei der Förderung aus­geklammert wird, kann ich aus politischer Sicht verstehen, aus Perspektive des Kinos stört mich das sehr.«

Roths Papier greift auch das Stichwort »Sperrfristen« auf. »Wir wollen die Sichtbarkeit deutscher Filme erhöhen«, erklärt die Ministerin, »der deutsche Kinomarkt wird zunehmend von ausländischen Verleihern dominiert, die häufig durch eine Abhängigkeit von Networks und Streamern geprägt sind«. Ihr Ziel sei ein robuster Verleihmarkt sowie »eine straffere und einfachere Fristenregelung, die vorrangig das Kinofenster sichert und sich danach noch stärker als bisher für individuelle Abreden und Branchenvereinbarungen öffnet«. Dem stimmt Birkenstock zu, der die Kinos in die Pflicht nehmen möchte: »Wir Dokumentarfilmer wünschen uns mit Blick auf die Kinos Veränderungen.« Noch gebe es sehr starre Sperrfristen, so dass ein Film, der vielleicht bereits nach zwei Wochen wieder aus dem Programm fliege, monatelang nicht verwertet werden könne. Birkenstocks Wunsch an die Kinos: »Wenn Ihr die Filme nicht mehr spielt, dann gebt sie uns doch zurück, und lasst uns überlegen, wie wir sie auf anderen Kanälen zum Publikum bringen können — gerne auch gemeinsam! Wir sind leidenschaftliche Cineasten! Wir wollen und brauchen das Kino!«  Aber bei Filmen, die nur kurz im Kino gespielt werden, müsse man flexibler werden bei der Verwertung.

Ende des Jahres will Claudia Roth mit ihrem Ministerium in das Gesetzgebungsverfahren einsteigen. Dann steht auch ein Wechsel beim wichtigsten Filmposten in NRW an: Der Medienmanager Walid Nakschbandi folgt am 1. Januar 2024 auf Petra Müller als Geschäftsführer der Film- und Medienstiftung NRW. Wie die mächtigen Landesförderfürsten und -fürstinnen auf eine mögliche »erhebliche« (Roth) Verschlankung der Filmförderstruktur zwischen Bund und Ländern reagieren werden, darauf kann man gespannt sein. Roth scheint Probleme schon vorherzusehen: »Erfolgreich wird diese Reform nur sein, wenn wir sie gemeinsam ­anpacken.«