Spiel, Satz und Sieg
Auch Auerochsen hatten schon mit Fliegen zu kämpfen. Die langen, beweglichen Ohren halfen dabei, sie in die Flucht zu schlagen. Ihr wirklicher Feind war aber der Mensch, der sie im Mittelalter endgültig aus Eurasien verdrängte. Übrig sind heute Höhlenzeichnungen und ein genetisches Erbe in vielen »nützlicheren« Arten von Rindern bzw. Kühen wie etwa der Milchkuh oder dem Spanischen Kampfrind. Bei El Cuco (Sonia Franken & Gonzalo Barahona) kommen Tiere seit jeher zu ihrem Recht. Die Geschichte des Auerochsen wird auf einem quadratischen, weiß unterlegten Spielfeld nachvollzogen. Die in Tenniskleidung erscheinenden Tänzerinnen Jimin Seo und Margherita Dello Sbarba wirken klein und grazil mit ihren großen, originalgetreuen Rindsköpfen auf Silikonbasis. Die friedliche Wieseniydille wird nachhaltig gestört, als eine silberfarbene Sporttasche vom Himmel fällt. Was mit der Moderne auf sie zukommt, verstehen die Kühe Mata und Dora freilich nicht.
Unter dem Einfluss der Tasche und ihrer Inhalte entdecken sie die Welt des Tennis. Die menschliche Kultur ist schwer vorstellbar ohne Konzepte wie Eigentum, Regeln, Leistung und Wettbewerb. Die Bewegungen folgen nun einer anderen Logik und man fragt sich, wie viel von den unsportlichen Tieren noch übrig ist. Wäre es Zeit, die Masken abzunehmen? Nicht bei El Cuco, das seine Zwitterwesen nie ganz zu Menschen werden lässt. Das in Turnier-Akustik stattfindende Match, das weniger mit dem Spiel als mit dem Drumherum beschäftigt ist, mutet an wie ein Versuch der Kühe, sich in die menschliche Natur einzufinden. Spiele tragen etwas von realen Verhältnissen in sich und haben etwas Absurdes gegenüber der bodenständigen Existenz von Urwesen, aber die zwei haben Spaß.
Ein Ball wird zu hoch geschlagen und kommt nicht mehr zurück. Es wird nach der richtigen Antwort in der heutigen Welt gesucht, mit Gewalt gedroht, ein höheres Wesen beschworen, ein Regentanz ausgeführt, auf dass es Bälle regne. Schließlich bringen sie die Tasche wie ein Stöckchen zum Publikum und dürfen weiterspielen. In einem Tanzfinale leben Mata und Dora ein letztes Mal auf, obwohl es gar nichts zu feiern gibt. Am Ende sind sie von der menschlichen Kultur vereinnahmt, die sie nicht wirklich verstehen. Auch Tennis hat viel von seiner Würde eingebüßt und ist schon ein Computerspiel. Assoziationsreicher Auftakt zu einer mehrjährigen Reihe über Europa.
Dezember bei Barnes Crossing; 4.10. bei (Rh)einfach Festival, Tanzfaktur