Üben neue Kunstformen im alten Café: Agustina Andreoletti (l.) und Aneta Rostkowska

Kunst kommt von Kochen

In der Temporary Gallery widmet man sich derzeit der Kulinarik

Künstler oder Kuratorinnen trifft man zum Interview meist in Galerien, Museen oder Ateliers. Für das Gespräch mit Agustina Andreoletti und Aneta Rostkowska hat sich allerdings das altehrwürdige Café Wahlen aufgedrängt, das unbehelligt und unbeeindruckt von Barista-Latte-Art-Trends seit 85 Jahren Kaffee und Kuchen anbietet. Von hier aus braucht man keine drei Minuten, um zur Temporary Gallery zu gelangen, wo derzeit die von den beiden kuratierte Ausstellung »Cooking as Performance« läuft.

Das 50er-Jahre-Ambiente bietet den optimalen Hintergrund für unser Interview: Erstens geht es in der Ausstellung auch um kulinarischen Genuss — und was passt dazu besser als eine Torte? Zweitens ist »Cooking as Performance« darauf ausgelegt, den Ausstellungsraum zu verlassen und ins umliegende Viertel zu diffundieren. Sie wollten sich eben nicht einschließen, betonen die Kura­torinnen, sondern ein Angebot schaffen: Lasst uns zusammen ­essen! Bei der Vernissage zeigte sich das einstweilen beim kulinarischen »Aperitiv-Spaziergang« der Künstlerinnen Paula Erstmann und Lisa Klosterkötter, als man ein sri lankisches Restaurant, einen alteingesessenen Bäcker und das Café Wahlen besuchte.

In letzter Zeit veranstalten Sie gemeinsame Abendessen. Ist bei einem dieser Dinners die Idee zur Ausstellung entstanden?

Aneta Rostkowska: Die Idee für eine »Koch-Ausstellung« ist älter. Wir haben 2019 zusammen einen Filmabend kuratiert, zum Thema »Fernsehserien von Künstler*innen«. Damals ging es bereits um die mediale und serielle Vermittlung von Inhalten. Wir beide sprachen danach über Kochserien.

Agustina Andreoletti: Ich habe damals noch den Kunstraum Gemeinde Köln am Ebertplatz kuratiert. Für den Raum entstanden die ersten Ausstellungsentwürfe, aber wir haben dies dort nicht verwirklicht. Aneta war davon überzeugt, dass wir das in der Temporary Gallery realisieren müssen.

Kochsendungen von »Chef’s Table« bis »Kitchen Impossible« erfreuen sich großer Beliebtheit. Was genau hat Sie an den Sendungen fasziniert?

Andreoletti: Es war sicherlich der Genuss des Sehens und der Genuss beim Sehen. Aber auch die Kultur des Rezept-Schreibens ist interessant: Anleiten und Folgen. Als jemand, der ein Rezept nachkocht, muss man ein gehöriges Maß an Vertrauen mitbringen, obwohl es dafür zwischenmenschlich erstmal keinen Grund gibt. Es gibt zu prominenten Köch*innen keine Beziehung. Rezepte selbst sind gleichzeitig Träger von Geschichten; Erzählungen; Wissen und Kultur. Schließlich geht es um basale Empfindungen wie Sensorik und Textur.

Die Geschichte der Kunst ist alt, man denke an Arcimboldo, Spoerri oder zuletzt Tiravanija, aber es scheint sich ja ein ganzes Genre herauszubilden: Culinary Art. Wollten Sie diese Bewegung, wenn es eine ist, beleuchten?

Rostkowska: Bei Tiravanija und anderen Künstler*innen der Relational Aesthetics (Ein Kunstgenre der letzten 30 Jahre, das die Beziehung von Menschen zum Gegenstand der Kunst erhebt. Anmerkung Redaktion) gab es zurecht die Kritik, dass deren kulinarische Konzepte nicht inklusiv waren. Die Kunst richtete sich nur an ein eingeweihtes Galerienpublikum und Kunstinteressierte.

Andreoletti: Solche Kunst ist partizipativ, aber nur als »Buzzword«. Eigentlich ist es sehr abgeschlossen gegenüber Mitgestaltungsmöglichkeiten.

Rostkowska: Was neu ist, sind ­Fragen von Essen und Klasse.

Es gibt gerade bei den Internet-Kochshows eine breite Vielfalt an ­Formen. Da geht es nicht nur um »super-tolle Produkte«, sondern manchmal einfach nur ums Essen.

In der Ausstellung wird klar, dass es Ihnen eher um die sozio-kulturellen Aspekte des Essens geht. Gerade bei den Werken im vorderen Raum, ergibt sich die Frage nach der Heimat. Bei den Künstler*innen Hiwa K und Jasmin Werner geht es etwa um das Verhältnis von alten und neuen Heimaten.

Rostkowska: Jasmin Werner arbeitet mit Care-Paketen, die man ­seinen Verwandten in die Philippinen schickt, um sie aus dem ­reicheren Deutschland zu unterstützen. Diese haben mich stark an meine Jugend in Polen erinnert, als wir Pakete aus den USA von Auswanderer*innen geschickt bekommen haben.

Mit »Mil Hojas« von Daniel Bassos gibt es auch einen direkten Bezug zu Argentinien, wo Sie, Frau Andreoletti, aufgewachsen sind.

Andreoletti: Die Milhojas ist ein Kuchen, der wie das französische Mille Feuille funktioniert — der Kuchen ist mittlerweile ein Symbol für den gesellschaftlichen Wandel in Argentinien geworden. Früher, in Zeiten des Kolonialismus, war es ein Gericht für die ­gehobene Gesellschaft, ein Statussymbol. Heute werden diese Süßspeisen vor allem von der Mittel­klasse und Schichten mit gerin­gerem Einkommen verzehrt, während die Eliten zu gesunden Speisen und Super-Food greifen. Jetzt ist die Galerie eine Milhojas.

Kunstinstitutionen ­verfehlen ihren ­Auftrag, inklusive Orte der Begegnung zu sein. Ich glaube, »Kochen« ist ein hervorragendes Instrument, um die eigene Institution zu öffnen
Aneta Rostkowska

Unversöhnlichkeit ist ein weiterer Aspekt, der sich durch Kochen ausdrücken kann. Bei Stavit Allweis wird der Mythos der Kulinarik als »heilsame Tätigkeit«, die ja in den Medien häufig gepredigt wird, vernichtet und mit Gewalt in Verbindung gebracht. Bei ihr wird die Küche zum Gefängnis.

Rostkowska: Genau. Viele Beziehungen im Zusammenhang mit Kochen sind doppelbödig. Wenn man sich kochend mit der Heimat verbindet, dann sind da auch die Aspekte von Sehnsucht, Heimweh und Leiden inbegriffen. Dann zeigen wir vor allen Dingen im hinteren Raum, dass Kochen und feministischer Kampf häufig zusammengehörten.

Andreoletti: Wir haben versucht, die Komplexität nicht auszulassen. Die Küche ist immer noch ein Ort der Unterdrückung für ­viele Frauen.

Die eigens angefertigte mobile Küche, die im Ausstellungsraum als Skulptur steht, wartet ebenso auf ihren Einsatz. Was soll mit ihr geschehen?

Rostkowska: Mit ihr ist es uns möglich, andere Formate zu realisieren. Kunstinstitutionen verfehlen ihren Auftrag, inklusive Orte der Begegnung zu sein. Ausstellungen sind wichtig, klar, aber wir wollen Programme entwickeln, die Menschen einladen, die nichts über zeitgenössische Kunst wissen. Ich denke, »Kochen« ist ein hervorragendes Instrument, um die eigene Institution zu öffnen — und mit dieser Küche können wir jetzt auch außerhalb der Temporary Gallery die Möglichkeit zum Austausch realisieren.

Temporary Gallery, »Cooking as Performance«, Mauritiuswall 35, bis 10.9., Do–So 12–19 Uhr