Mitreißende Musik für Leute auf der Couch: Daniel Erdmann, Foto: Dirk Bleicker

Paartherapie

Saxofonist Daniel Erdmann erforscht ­musikalische Beziehungen — und interkulturelle

1963 schlossen Charles de Gaule und Konrad Adenauer mit dem Elysée-Vertrag den ersten deutsch-französischen Freundschaftsvertrag nach zwei verlustreichen Weltkriegen und beendeten die »Erbfeindschaft«, die über Jahrhunderte das Verhältnis ­zwischen den Nachbarn belastet hatte. Seitdem wird die Achse Deutschland/Frankreich oft als Motor der europäischen Einigung beschrieben, ohne den es hier auf dem Kontinent nicht voran ginge. In letzter Zeit geriet dieser Motor aber ins Stottern. Die Gespräche zwischen den Regierungen beider Länder verstummten, weil sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Staatspräsident Emmanuel Macron nicht wirklich grün sind.

Deutschland war in diesem Frühjahr Partnerland der vielleicht weltweit größten Fachmesse für Jazz und improvisierte Musik, der »jazzahead!« in Bremen. Dafür hat man einige deutsche, im Ausland lebende Musiker für sogenannte »Commissionend Works« gewonnen, um Brücken zwischen ihren jeweiligen Heimatländern und Deutschland zu schlagen. Geradezu prädestiniert für diese Aufgabe ist Daniel Erdmann, 1973 in Wolfsburg geboren und nach seinem Saxofonstudium in Berlin vor gut 20 Jahren nach Frankreich gezogen. Erdmann kennt die Mentalität der Menschen in Frankreich ebenso gut wie der in Deutschland, er weiß um die nicht immer einfachen ­Beziehungen zwischen den ­Nachbarländern.

Auch und gerade deshalb hat er sein eigens dafür zusammengestelltes Sextett Thérapie de Couple (auf Deutsch: Paartherapie) ­genannt. Was sich auf den ersten Blick humorig-lustig liest, ist durchaus ernst gemeint. »In letzter Zeit herrschte auf der politischen Ebene zwischen Deutschland und Frankreich etwas Funkstille«, ist Erdmann Überzeugung. »Als Deutscher, der seit langem in Frankreich lebt, kenne ich die Unterschiede zwischen beiden Ländern. Das ist auch der Grund, warum ich meine Band Thérapie de Couple genannt habe, weil wir vielleicht eine Therapie brauchen, um wieder mehr Verständnis ­füreinander zu haben.«

Ich kann meine politischen Überzeugungen und die Art, wie ich auf die Welt und die Gesellschaft schaue, nicht von der Musik, die ich spiele, trennen
Daniel Erdmann

Erdmann sieht sich als politisch agierender Jazzmusiker. Auch wenn es in letzter Zeit um das kooperative Trio Das Kapital mit dem deutschen Saxofonisten, dem französischen Schlagzeuger Edward Perraud und dem dänischen Gitarristen Hasse Poulsen ruhiger geworden ist, so war diese paneuropäische Band nicht nur wegen ihres Namens politisch, sondern auch durch die Art und Weise, wie sie ihre teils frei gespielte, oftmals schroffe, ungemütliche und schrille Improvisationsmusik inszenierte. Erdmann: »Ich kann meine politischen Überzeugungen und die Art, wie ich auf die Welt und die Gesellschaft schaue, nicht von der Musik, die ich mache, trennen.«

Sein deutsch-französisches Sextett Thérapie de Couple zeigt einen vergleichbaren ästhetisch-kreativen wie kämpferisch-politischen Ansatz. Besetzt hat Erdmann es mit drei französischen und drei deutschen Musikern: mit Théo Ceccaldi (Geige), Vincent Courtois (Cello) und Hélène Duret (Klarinette) auf der einen und mit ihm, Robert Lucaciu (Bass) und Eva Klesse (Drums) auf der anderen Seite. »Nicht nur in einem geografischen Sinn sollte die Besetzung ausgeglichen sein«, so Erdmann. »Ich wollte Musiker haben, mit denen ich schon lange spiele, aber auch Instrumentalisten, mit denen ich noch nie zusammen ­gearbeitet habe.«

Wer Erdmanns Sextett live und auf der Bühne erlebt, wird fasziniert beobachten, wie die drei Instrumentengruppen, Streicher, Holzbläser/-innen und Rhythmusgruppe, stets auf’s Neue Kontakt zueinander suchen und zu kommunizieren beginnen, wie sie sich wieder voneinander lösen, um ad hoc in neuen Klangkombinationen zusammenzukommen. Die Musik ist nicht nur wegen des improvisatorischen Elements in steter Bewegung, sondern vor ­allem auch wegen des beständigen Transfers zwischen den drei Instrumentengruppen. Dafür gibt es eine schlichte Erklärung, wie Erdmann hervorhebt: »Weil wir gerade einmal einen einzigen Termin für eine Probe mit allen gefunden hatten, konnten wir zuerst nur in kleinen Besetzungen proben. Diese Herangehensweise hat aber dazu geführt, dass sich das Material, ohne unser Zutun mit jeder Probe verändert hat. Ich war überrascht, wie effizient und kreativ diese Arbeitsweise war.« Wohl auch deshalb möchte man es sich wünschen, dass dieses flexible Agieren Vorbild wird für die etwas festgefahrenen, deutsch-französischen Beziehungen von heute.