»Walter ist wieder da!«

Walter Hoischen ist ein stadtbekanntes Gesicht. Seit genau 40 Jahren verkauft er die Stadtrevue.

Ein Unikat, nicht nur in Köln: Der 73-jährige Walter Hoischen ist selbständiger Buchhändler und verkauft seit genau 40 Jahren die Stadtrevue. Nach und nach sind weitere ausgewählte Magazine wie Tagnacht, Titanic und 11Freunde, Comics und ­Bücher hinzugekommen. Sein Vertriebsweg ist so ­unkonventionell wie er selbst: Er geht abends auf Verkaufstour durch Kölner Restaurants und ­Kneipen. Anlässlich seines Jubiläums haben wir unseren bekanntesten Mitarbeiter zum ­Gespräch getroffen.


Wie bist du zu deinem ungewöhnlichen Beruf gekommen?

Ich bin studierter Sportlehrer und ausgebildeter Fotosetzer und habe bei der Stadtrevue eine Urlaubsvertretung im Satz, der heutigen Grafikabteilung, gemacht. Im Oktoberheft 1983, also vor genau 40 Jahren, ist im Hand-zu-Hand-Verkauf ein Mitarbeiter ausgefallen, da habe ich ausgeholfen. Am ersten Abend im Kwartier Latäng hat es mir dermaßen gut gefallen, dass ich dachte: Das ist meins! Dann habe ich das Vertriebsnetz ausgebaut und auch das Belgische Viertel, Sülz, Lindenthal, Nippes, Ehrenfeld, Neuehrenfeld bedient. Wir waren damals zu dritt, tagsüber hatten wir Verkaufsstände an den Hochschulen und auf der Schildergasse, abends zogen wir durch die Kneipen und Restaurants. Der Handvertrieb hat zehn Prozent der Auflage ausgemacht. Bis zum Millennium waren es sehr gute Jahre! Mittlerweile haben sich die Vertriebswege und das Kaufverhalten geändert, vor allem das Internet hat viel beeinflusst. Ich ziehe jetzt alleine durch die Kneipen, nur noch in Sülz, Klettenberg und Südstadt. Es gibt aber noch immer genug Leute, die gute Magazine lieben! Und ich liebe noch immer meinen Job!

Was erlebst du, wenn du abends durch die Stadt ziehst?

Sülz ist meine Heimat, dort kennt mich jeder. Ein Gast hatte sich mal grundlos und völlig rüpelhaft über mich beschwert, da hat der Wirt den Gast raus gebeten und gesagt: »Walter, du gehörst dazu! Dann muss der Gast gehen!« Das sind sehr schöne Momente. Ich habe eine große Stammkundschaft und plaudere gerne, da nimmt man an Lebensgeschichten teil. Seit gut zehn Jahren wage ich mich mit meiner eigenen Schriftstellerei an die Öffentlichkeit. Ich habe meine Gedichte in einer Tausender-Auflage drucken lassen, die verschenke ich, wenn jemand etwas kauft. Letztens sagte ein Kunde: »Ich habe noch nie ein Gedicht gelesen. Deines hat mir total gut gefallen. Das mache ich jetzt öfter!« Das gibt mir Energie.

Ist es auf Dauer nicht langweilig, jeden Abend durch die Kneipen zu ziehen?

Nein, jeder Abend ist anders! Die acht Monate ohne Vertrieb während des ersten Lockdowns, das war langweilig für mich! Als die Restaurants wieder öffneten, war ich sehr glücklich — und die Leute auch! In der ersten Kneipe, in die ich kam, ist ein Stammgast aufgesprungen, hat die Hände hochgerissen und  gerufen: »Walter ist wieder da! Das Leben geht wieder los!« Das war unfassbar schön. Vor ein paar Wochen bin ich leider krank geworden und musste eine Pause machen. Jetzt will ich aber bald wieder anfangen. Das ist mein Leben. Ich brauche nur jemanden, der in Zukunft mein Auto fährt.

Kennst du Leute, die ein ähnliches Geschäftsmodell haben?

Ich nehme den verschiedenen Verlagen eine bestimmte Anzahl ab und bekomme für jeden Verkauf eine Provision, die ich ausgehandelt habe. Ich habe in Deutschland noch keinen getroffen, der ein ähnliches Hand-zu-Hand-Geschäftsmodell betreibt. Es gibt noch einige wenige Zeitschriftenverkäufer, die durch die Straßen ziehen, aber nur für einen Verlag arbeiten. Ich bin aber selbständiger Buchhändler und entscheide über mein Sortiment. Eine Zeitlang habe ich auch den Prinz angeboten, da haben die Leute von der Stadtrevue gesagt: »Walter, wie kannst du das machen?« Aber ich bin halt mein eigener Herr! Mittlerweile gibt es den Prinz nicht mehr. Gute Stadtmagazine sind fast solche Unikate wie ich selbst.

Welche ist deine Lieblingsausgabe der Stadtrevue?

Das weiß ich gar nicht. Aber ich lese die Stadtrevue viel häufiger als früher. Mein Eindruck aus den vielen Gesprächen, die ich führe, ist: Früher kauften die Leute sie vor allem wegen der Termine und Kleinanzeigen, heute wegen der redaktionellen Texte auf der Politik- und Kulturstrecke.

Du hast auch zweimal als Oberbürgermeister kandidiert? Warum?

Das ist ein alter Traum von mir: Ich war und bin unzufrieden mit der Politik, ich wollte es besser machen. Ich hatte keine Partei und bekam trotzdem ein Prozent der Stimmen und war unter den parteilosen Kandidaten auf Platz 1! Immer wenn ich unterwegs bin, sehe ich viele Dinge, die mich aufregen. Meine Idee war: Wenn ich OB werde, verzichte ich auf alle repräsentativen Maßnahmen, arbeite erst mal ein Jahr in der Verwaltung und durchlaufe alle Abteilungen. Erst wenn man diesen Verwaltungskoloss von innen verstanden hat, kann man wirklich aufräumen und Dinge verbessern.

Wir geben die Idee gerne weiter! Du pflanzt auch Sonnenblumen auf Verkehrsinseln und unterstützt Mädchen in Indien bei ihrer Schuldbildung. Wie kam das?

Meine Sonnenblumen gehen richtig ab, die werden fünf Meter hoch und verschönern die Straßen in Sülz! Einige Leute spenden mir dafür Geld. Wenn etwas übrig ist, verwende ich es zusammen mit meinem eigenen Trinkgeld für mein zweites Lieblingsprojekt: Seit 2001 fahre ich regelmäßig nach Indien und unterstütze dort Kinder, vor allem Mädchen, bei der Schulbildung. Einmal im Jahr mache ich mir ein Bild vor Ort. Wenige hundert Euro können dort viel bewirken!

Dann wünschen wir dir für die Zukunft noch viele Besuche in Indien und vor allem viel Gesundheit und gute Genesung. Wir hoffen, du bleibst uns noch lange erhalten!