Bitte Platz nehmen
Aufgefallen sind sie mir zum ersten Mal vor ein paar Jahren. Ich hatte mich mit einem Freund an der Agneskirche verabredet und setzte mich auf eine Bank. Sie war neu, aber ihre Form wirkte seltsam. Ein Drittel der Sitzfläche war abgeteilt — mit einer flachen, unbequemen Armlehne. Komisch, dachte ich, warum sollte nur eine Person ihre Arme ablegen wollen? Aber dann dämmerte es mir. Die Armlehne befand sich dort, wo bei einem liegenden Erwachsenen die Schulter beziehungsweise die Oberschenkel sind. Auf dieser Bank zu schlafen, ist unmöglich.
Seitdem fallen sie mir immer öfter auf. Am Eigelstein stehen die gleichen Modelle wie vor der Agneskirche, ebenso in der Schildergasse. An der Breite Straße befindet sich ein Modell ohne Rückenlehne. Im Gestaltungshandbuch der Stadt Köln steht keines dieser Modelle, dafür eine Bank mit drei Armlehnen. An vielen Haltestellen der KVB sind Sitzschalen angebracht anstelle durchgehender Bänke.
»Defensive Architektur« nennt man diese Eingriffe in den öffentlichen Raum. Sie sollen Menschen davon abhalten, es sich dort bequem zu machen, und sie betreffen nicht nur Bänke. Am Hohenzollernring verhinderten eine Zeitlang abgeschrägte Holzplatten, dass Obdachlose sich auf Lüftungsschächten niederlassen, am Chlodwigplatz wird das von Metallspitzen verhindert.
Mickaël Labbé sind diese Bänke lange nicht im Stadtbild aufgefallen. Aber dann hatte der Straßburger Philosoph eine »negative Epiphanie«, wie er es nennt. Defensive Architektur impliziert ein soziales Modell, so Labbé: »Verachtung«. Er sagt: »Durch defensive Architektur wird die Stadt weniger einladend für uns alle.« Sie signalisiere bestimmten Gruppen, etwa Obdachlosen, dass sie nicht erwünscht seien, aber sie habe irrationale und kontraproduktive Effekte für noch viel mehr Menschen, etwa Schwangere, Ältere oder Kinder. Es sind Gruppen, zu denen jeder Mensch einmal gehört hat oder gehören wird.
»Bänke wie diese sind keine gute Art, über Räume eine Gemeinschaft zu bilden«, sagt Labbé. In seinem gerade erschienenen Buch »Platz nehmen« bezeichnet er sie als »Pathologien«. Den Ausdruck hat er sich beim Frankfurter Philosophen Axel Honneth geborgt. Für Honneth basiert eine funktionierende demokratische Gemeinschaft auf Anerkennung. Das Ausbleiben dieser Anerkennung sei eine Pathologie. »Es sind verpasste Gelegenheiten für die Demokratie«, sagt Mickaël Labbé.
Nicht nur offensichtliche Formen der Ausgrenzung wie defensive Architektur seien pathologisch, so Labbé. Werden ein Stadtviertel oder bestimmte Straßenzüge so stark vom Tourismus beansprucht, dass der Alltag der Bewohner:innen darunter leidet oder diese sogar das Viertel verlassen, bezeichnet Labbé dies als »Enteignung«. Und wenn der Zugang zu Plätzen oder Straßen durch ihre Besitzer:innen eingeschränkt wird, ist das eine »Privatisierung«. Auch dafür gibt es Beispiele in Köln: In Labbés Sinn sind die Beschwerden der Anwohner:innen in der Altstadt und im Kwartier Latäng eine Reaktion auf die Enteignung ihres Viertels — und der Arno-Breker-Brunnen im Gerling-Quartier, wo man sich nur unter Aufsicht des Wachpersonals hinsetzen darf, ist ein Beispiel für einen privatisierten Raum.
Mickaël Labbé stellt die Frage, wie man es besser machen kann. Was genau macht ein funktionierendes Viertel und seine Gemeinschaft aus? Auch wenn der Titel »Platz nehmen« anderes suggeriert, findet er seine Antwort nicht auf den Plätzen. Obwohl diese in den 2010er Jahren in Madrid, Paris, Athen oder Istanbul der Ausgangspunkt demokratischer Bewegungen waren, hält Labbé sie für ungeeignet: »Plätze sind für kommerzielle Zwecke gemacht und nicht so offen, in der Art, wie sie genutzt werden können.« Für ihn ist das Beispiel funktionierenden Stadtraums die Straße. »Eine gute Straße lässt viele Nutzungen zu«, sagt Labbé. »Menschen können sie aus unterschiedlichen Gründen nutzen: um zur Schule zu gehen, um etwas zu essen. Diese Pluralität an Nutzungen macht ihren lebendigen Charakter aus.« Inspiration holt Labbé sich bei der New Yorker Urbanistin Jane Jacobs, die in den frühen 60er Jahren verhinderte, dass Teile von Greenwich Village einer Autobahn zum Opfer fielen. Für Jacobs sollte die Vielfalt des real existierenden Straßenlebens im Mittelpunkt der Stadtplanung stehen. Auch wenn ihre Schriften in den vergangenen zwei Jahrzehnten oft dazu dienten, durchgentrifizierte Altbauviertel gegen modernistische Hochhaussiedlungen auszuspielen, hält Labbé an Jacobs’ Grundüberzeugung fest: »Ihr eigenes Viertel war nicht gentrifiziert, als sie darüber schrieb. Es ging ihr darum festzuhalten, dass es leichter ist, eine Gemeinschaft zu zerstören als sie aufzubauen.«
Wie aber bildet sich eine Gemeinschaft auf den Straßen und was können Architektur und Stadtplanung dazu beitragen? »Man kann die Nutzung von Räumen nicht künstlich produzieren«, sagt Labbé. Vielleicht erklärt sich daher die Skepsis, mit der Labbé den Beteiligungsverfahren begegnet, die den Bau eines neuen Viertels oder die Umplanung einer Straße begleiten. »Bei diesen Treffen geht es oft um technische Details, ohne dass ihre Implikationen vermittelt werden«, sagt er. »Aber eine gute Form urbaner Bürgerlichkeit beinhaltet, sich um solche Details nicht kümmern zu müssen.« Wichtiger sei es, zu gestatten, dass Bürger:innen sich einen Raum für ihre Bedürfnisse aneignen können. Auf einem Spielplatz sollen Kinder die Spielgerüste nicht nur zum Klettern nutzen, sondern sie in ihrer Vorstellung auch zur Höhle oder zum Haus werden lassen. Und eine Straße solle nicht nur dem Verkehrsfluss dienen, sondern auch dem Aufenthalt. Diese Offenheit sei entscheidend, sagt Labbé: »Architektur und Stadtplanung können nur die Bedingungen dafür herstellen, dass Menschen ihre eigene Art finden können, ihre Umgebung zu nutzen.«