»Routine gab es nicht«
In einer Villa in Marienburg, dem Interim der Studiobühne, räumt Dietmar Kobboldt gerade seinen Schreibtisch auf. Es ist ein Nachmittag, Anfang Oktober. Ein Gespräch mit der Stadtrevue ist da eine willkommen Abwechslung, auf dem Balkon, bei einer Zigarette. Vierzig Jahre hat Kobboldt an dem hauseigenen Theater der Universität zu Köln gearbeitet. In ein paar Wochen geht er in Ruhestand. Deswegen räumt er auch seinen Schreibtisch auf, denn bald wird dort seine Nachfolgerin sitzen, Stawrula Panagiotaki, die bisherige Dramaturgin am Schauspiel Köln. »Ich schaue sehr, sehr gerne auf meine Zeit an der Studiobühne zurück«, sagt Kobboldt. »Wir haben hier, angeschlossen an den Uni-Betrieb, immer mit jungen Menschen zu tun. So etwas wie Routine gab es in meiner Arbeit nicht.«
Anfang der 80er Jahre fing Dietmar Kobboldt bei der Studiobühne an, als studentische Hilfskraft, als es in Köln kaum Spielorte für die Freie Szene gab — und es diese Szene, im übrigen, »noch gar nicht so gab, wie wir sie heute kennen«, erinnert sich Kobboldt. Denn die Studiobühne war damals vor allem ein Zuhause für das politische Student*innentheater, vorübergehend auch für die anarcho-pazifistische Theatergruppe »Living Theatre« und für das Jugendtheater »Rote Grütze«, das mit ihrer Produktion »Was heißt ’n hier Liebe« den erbitterten Widerstand der katholische Kirche auf sich zog. »Das waren hochpolitische Zeiten am Haus«, so Kobboldt. »Da gab es große Auseinandersetzungen auf der Bühne, mit dem Vietnamkrieg, aber auch mit der eigenen Elterngeneration und ihrer Nazi-Vergangenheit.«
Mir hat die Arbeit mit jungen Künstler*innen immer total Spaß gemacht
Dietmar Kobboldt, scheidender Leiter der Studiobühne
Fragt man den scheidenden Theatermacher nach einem Moment, der ihm am bedeutungsvollsten während seiner Zeit an der Studiobühne in Erinnerung geblieben ist, überlegt er nur kurz — und erzählt dann von seiner Inszenierung von »IchundIch«, der satirisch-bissigen Tragödie von Else Lasker-Schüler, geschrieben Anfang der 40er Jahre und zu Lebzeiten unveröffentlicht. »Das Stück galt lange als unaufführbar. Man hat das abgetan, als Werk einer geistig umnachteten Autorin«, sagt Kobboldt. Doch in den 90er Jahren kam es unter seiner Regie auf die Bühne — als gerade einmal viertes Theater überhaupt, das das Stück spielte. »Jede Vorstellung war bei uns ausverkauft. Kurz darauf sind wir dann damit nach Duisburg ins Stadttheater eingeladen worden.« Mit 600 Gästen im Publikum habe man dort die Vorführung begonnen, nach der Pause seien nur noch 60 wieder zurückgekommen. »Mir ist in diesem Moment klar geworden: Wie ich Theater denke, damit erreiche ich das Stadttheaterpublikum nicht, aber das andere sehr wohl.«
Dietmar Kobboldt sei »kein Heiliger, sondern ein streitbarer, zuweilen kompromissloser Geist, dem es aber immer um die Belange der Freien Theaterszene und deren Weiterentwicklung geht«, heißt es in der Begründung der Jury, die ihm in diesem Jahr den Kölner Ehrentheaterpreis verlieh. Mit viel Sachverstand, Hartnäckigkeit, Stabilität und Fokussierung habe er sich als Fürsprecher der Off-Theaterszene auch kulturpolitisch verdient gemacht. »Für mich war immer klar, dass ich diesen Sonderstatus, den die Studiobühne hat — also, die weitgehende Unabhängigkeit von städtischen Fördertöpfen — auch an die Freie Szene zurückgeben möchte«, so Kobboldt. »Auch deswegen habe ich viele Jahre lang Kulturpolitik gemacht. Ich konnte zwar meine Anliegen nicht immer durchsetzen, aber ich habe zumindest dafür gesorgt, dass Fehlentwicklungen verhindert wurden, etwa wenn es um Kürzungen für die Freie Szene in Köln ging.«
Besonders gefreut habe er sich über den Preis, weil in der Jury-Begründung auch seine Nachwuchsarbeit angesprochen wurde. »Das ist etwas, was ich wirklich vermissen werde«, sagt er. »Junge Talente zu entdecken, sie zu fördern und bei Probenanalysen, damals noch im Garten der Studiobühne, zu neuem Nachdenken anzuregen.« Obgleich der Altersunterschied in den vergangenen Jahren immer größer geworden sei, feixt er: »Erst waren wir gleich alt, dann hätte ich ihr Vater sein können und heute wahrscheinlich ihr Opa. Aber mir hat die Arbeit mit jungen Künstler*innen immer total Spaß gemacht.«
Für Dietmar Kobboldt war die Karriere an der Studiobühne eine ganz klassische: Von der studentischen Aushilfskraft zum Dramaturgen, dann stellvertretender Leiter und schließlich Leiter des Theaters. Kaum jemand könne heutzutage noch von sich behaupten, die ganze berufliche Laufbahn beim selben Arbeitgeber gehabt zu haben, resümiert Dietmar Kobboldt mit einem Schmunzeln. In seinem Ruhestand wird er als neu gewähltes Mitglied im Theaterbeirat für die kommenden vier Jahre tätig sein. Ein bisschen Nachwuchsarbeit wird es also auch zukünftig noch für ihn geben, obgleich nur auf dem Papier, wenn er mit den anderen Mitgliedern über Anträge für Förderungen entscheidet. »Wenn es um Stücke der Studiobühne geht, werde ich den Raum verlassen«, verspricht er. »Denn es gibt schon noch eine große, persönliche Verbindung zum Haus.«
Ein Erlebnis, das sich ihm buchstäblich eingebrannt habe, sei das Feuer gewesen, das am 8. Januar 1981, plötzlich, mitten in der Nacht, in der Studiobühne ausbrach. Geprobt hatte man dort noch wenige Stunden zuvor das satirische Stück »Die Polizei« von Slawomir Mrozek. Ob es Brandstiftung war, sei bis heute unklar. Auffallend sei aber gewesen, dass Ankündigungsplakate, auf denen ein Polizist als Hampelmann dargestellt war, überall zerrissen herumlagen. Einen bitteren Beigeschmack hatte es da schon, als die Studiobühne 2021 ausgerechnet aus Brandschutzgründen die Alte Mensa räumen musste, nachdem sie vierzig Jahre zuvor dort Zuflucht nach dem Feuer gefunden hatte. Seitdem ist sie im Interim in Marienburg und bespielt mit ihren Produktionen Spielstätten der Freien Szene über ganz Köln verteilt. »Die Sanierung der Alten Mensa ist im Masterplan der Uni Köln als Pufferprojekt vorgesehen«, sagt Kobboldt. »Das heißt, sobald sich bei den anderen Bauprojekten zeitlich es verschiebt und finanzielle Mittel frei werden, sind wir dran.«
Für Dietmar Kobboldt steht an diesem Abend noch eine Premiere an. »Ich mache gerade vieles zum letzten Mal. Heute zum Beispiel werde ich zum letzten Mal Rosen überreichen«, erzählt er. »Das ist ein schönes Gefühl, denn, ganz ehrlich: Ich habe in den letzten Jahren sehr viel gearbeitet — und irgendwie finde ich, den Ruhestand habe ich mir jetzt wirklich verdient.«