Das  Ende  der Einkaufsstraßen

Die Zeit vor Weihnachten zieht wie jedes Jahr viele Menschen zum Einkaufen nach Köln. Doch die großen Einkaufsstraßen haben sich verändert. Auf der Hohe Straße und in der Schil­der­­gasse sieht man die immer gleichen Filialisten und Pommesbuden, und immer häufiger auch Leerstand. Was passiert, wenn der Konsum wegfällt? Und welche Ideen gibt es für eine Innenstadt, die auch ohne Warenhäuser und Ketten lebendig und vielfältig ist?

Es ist ein trüber Novembertag, doch die Stimmung auf der Hohe Straße ist gut. Niemand stört sich daran, wenn Menschen im Gedränge stehen bleiben, um Handys hoch­zurecken und Selfies vor der Shopping-Kulisse zu schießen. Pommes und andere frittierte Speisen werden im Gehen verzehrt, und selbst um eine ohrenbetäubend laut aufspielende, in Tracht gekleidete Musikgruppe versammelt sich ein dankbares Publikum.

Es ist immer was los in der City — und trotz­dem gelten die großen Einkaufsstraßen als Sor­genkinder. Der Umsatz geht zurück, immer mehr Läden schließen, weil die Menschen ­lieber online kaufen, zumal seit Corona. Vor ­allem die Hohe Straße gilt als Paradebeispiel dafür, wie eine ehemals schicke Einkaufs­straße durch die Krise des Einzelhandels zur Ramsch­meile verkommt: Süßigkeiten-Shops, Pommes­buden, Modeschmuckgeschäfte, die auf Plakaten Gratis-Piercings offerieren.

Dazwischen immer wieder leerstehende Geschäfte, vor denen sich Obdachlose eingerichtet haben. Wer den Blick auf die oberen Stockwerke hebt, sieht in den Fenstern Pappkartons oder vertrocknete Pflanzen, oder auch mal einen Plastikdöner, der das Dach eines Schnellimbiss schmückt.

Nach Angaben des Unternehmens Hystreet, das die Zahl der Passanten in deutschen Einkaufsstraßen misst, gehören die Schildergasse mit 1,9 Millionen Besuchern im Oktober und die Hohe Straße mit 1,5 Millionen noch immer zu den zehn meistbesuchten Standorten in Deutschland.

Doch die Krise des Einzelhandels hat die Innenstadt verändert, und dass die alten Zeiten zurückkommen, in denen die Einkaufsstraßen von inhabergeführten Geschäften mit einem individuellen, auch hochwertigen Sortiment geprägt waren, glaubt niemand. Gut 90 Prozent aller Geschäfte der Hohe Straße und Schildergasse werden von Filialisten betrieben. Es fehlen Alleinstellungsmerk­male, so die Analyse. Wer etwas Besonderes sucht, wird in der Innen­stadt kaum fündig.

Früher war die Hohe Straße eine attraktive Flaniermeile, da kamen die Leute auch sonntags zum Schaufensterbummel. Jetzt gibt es so viel Leerstand, die Geschäfte verlieren an Qualität. Seit Corona ist die Straße total heruntergekommen. Es gibt auch einige Baustellen, aber ich frage mich, ob sie Gutes bringen werden.
Hugo Nestor Marra, betreibt seit seit 1996 »die Laugen-Bäckerei« an der Hohe Straße

Hinzu kommt: Im Zentrum insgesamt haben die Leerstände rasant zugenommen. Im Jahr 2017 waren nur 62 zu verzeichnen, fünf Jahre später bereits 163, wobei die Hohe Straße stärker betroffen ist als die Schildergasse. Ohne­hin drohen Innenstädte, die nur auf Handel setzen, zu veröden — spätestens abends, wenn die Geschäfte schließen.

Um dem entgegenzuwirken, hat das Amt für Stadtentwicklung mit Vertretern des Handels, Immobilienbesitzern, aber auch Vereinen und Initiativen der Innenstadt ein »Leitbild für die Handelslagen Hohe Straße und Schildergasse« erstellt und im September 2022 vorgestellt. Hohe Straße und Schildergasse sollen in sechs »Quartiere« unterteilt werden, deren »Themen­schwerpunkte« unterschiedliche Gruppen ansprechen: etwa teure und schicke Geschäfte am Wallrafplatz, worauf auf der Hohe Straße ein Abschnitt als »Kölner Schaufenster — Labor­raum der Kölner Innenstadt« folgt, wo es »inno­vative oder regionale Betriebskonzepte sowie Pop-up-Stores« und »außergewöhnliche Kunst- und Architekturelemente« geben soll. Das südliche Ende der Hohe Straße ist dann als »Young Fashion Destination — jung & up to date« für eine »junge und trendbewusste Zielgruppe« gedacht, samt entsprechender Gastronomie. Auch für die Schildergasse werden solche »Profilierungsziele« angestrebt. Nicht ganz klar wird, mit welchen Mitteln man dies erreichen will. Zwar folgt im Leitbild eine Liste von Maßnahmen, die man in Workshops gesammelt hat. Aber die entscheidenden Maßnahmen werden von der Verwaltung als »komplex« oder »besonders komplex« angesehen, etwa die Belebung in den Abendstunden, ein »attraktiver Nutzungsmix in den Obergeschossen« oder auch die »Installation von konsumfreien Verweilmöglichkeiten« — so bleibt es bislang bei kleinen Shopping-Events, Balkon-Kon­zerten oder der Weihnachtsbeleuchtung, die Atmosphäre schaffen soll.

»Wir stehen noch am Anfang, jetzt geht es um die Umsetzung«, sagt Brigitte Scholz, Leiterin des Amts für Stadtentwicklung. »Eine wesentliche Aufgabe ist es, alle Akteure zu vernetzen. Wichtig ist es, die Konzepte mit den Händlern zu machen und auch zu schauen, wo wir neue Aufenthaltsqualität gewinnen.« Die Idee sei es, »unterschiedliche Bereiche in und neben den Einkaufsstraßen zu schaffen und eine Wegeführung zu gestalten, die man intuitiv wahrnimmt, sodass man einmal durch alle Einkaufsstraßen bummeln kann«, sagt Scholz. Man wolle den Neumarkt als zentralen Platz zurückgewinnen. Die Innenstadt solle dem Konsum dienen, aber nicht ausschließlich. »Weniger Fläche bedeutet für den Handel auch nicht weniger Umsatz. Wenn die Konzepte stimmen, kann in den übrigen, oberen Geschossen etwas anderes angeboten werden.« Das könnten Dachterrassen sein oder auch Hostels, so Scholz. Auch Wohnen sei möglich, aber der Lärm sei ein Problem.

Vor allem die städtische Wirtschaftsför­derung Köln-Business soll sich nun darum kümmern, dass das Leitbild nicht nur ein ­Papier bleibt. Bei ihr ist bis Herbst 2025 ein »Zentrenmanagement« angesiedelt, finanziert mit 675.000 Euro aus dem Bundesprogramm »Zukunftsfähige Innenstädte und ­Zentren«. Man wolle »ansprechende Konzepte und ­Aktionen« testen, so Köln-Business. Die Menschen besuchten die City heute »nicht nur für den reinen Einkauf«, sagt Geschäftsführer Manfred Janssen. Die Innenstadt werde immer mehr als Freizeitort wahrgenommen. Auch Janssen spricht davon, dass es »neue Konzepte« brauche, etwa Umnutzungen vom Einzelhandel zu Gastronomie oder Freizeitdienstleistungen. Diese aber seien für Ver­mieter »oft nicht die erste Wahl«, weil sie ­aufwendig seien und für die Nutzungs­än­de­rung etwa ein Bauantrag eingereicht werden müsse.

Also bleibt es am Ende doch oft beim Einzelhandel, häufig aber mit geringerer Mietlaufzeit oder in einem billigeren Segment. »Der Ver­mie­tungsmarkt hat sich vom Vermietermarkt hin zum Mietermarkt gewandelt«, so Frank Wenzel, Sprecher der Kölner Handelslagen. »Als Vermieter muss man bei Neuvermietungen den Qualitätsmietern entgegenkommen, beispielsweise kürzere Festlaufzeiten akzeptieren oder sich finanziell an den Kosten für Umbauten beteiligen.« Gesunken sind die Mieten aber nicht. Nach Angaben von Köln-Business lassen sich »in den Spitzenlagen« pro Quadratmeter bis zu 200 Euro erzielen.

Früher gab es noch Obsthändler und die Kaufhalle auf der Schildergasse, da kamen die Leute auch, um Lebensmittel ­einzukaufen. Oder es standen Propagandisten vor den Geschäften, um Autopolitur oder Fensterputzmittel zu verkaufen. Doch die Schildergasse ist noch immer voller Leben und bleibt der Mittelpunkt der Stadt.Werner Wittpoth, LeierkastenSpieler

»Köln hat zu lange auf die Karte Einzelhandel als Leitfunktion für die Innenstadt gesetzt. Jetzt sehen wir die Folgen«, sagt Yasemin Utku, Professorin für Städtebau an der TH Köln. Der Onlinehandel sei nicht der einzige Grund für die Misere, so Utku. »Es ist langweilig, wenn es nur Ketten gibt und es aussieht wie in jeder anderen Stadt auch.« Die anhaltend hohen Preise aber führen dazu, dass viele kleine Einzelhändler ihre Geschäfte in der City nicht mehr halten können. Utku schildert die Folgen für die Hohe Straße: »Die Gebäude werden sukzessive von Investoren aufgekauft und so lange leer stehen gelassen, bis sie einen ganzen Block zusammen haben. Mit verheerenden Effekten für die Umgebung.« Die Stadt aber kann dabei nur zuschauen: Ihr gehören kaum noch Grundstücke in der City.

In einem der leerstehenden Blöcke an der Ecke In der Höhle/ Hohe Straße  hat Utku mit ihren Studierenden im vergangenen Jahr ­Aktionstage und eine Ausstellung veranstaltet unter der Leitfrage: Was kann Innenstadt noch? Die Studierenden haben hierfür einige Fakten zusammengetragen. So stehen für die 113.000 Passanten, die die Einkaufsstraßen pro Wochen­ende besuchen, ganze neun Bänke zur Verfügung. Sie können zwischen 54 Fastfood-Ange­­boten wählen, aber bloß zwei öffentliche Spiel­plätze besuchen. »Man ist geradezu zum Konsum verdammt«, so Utku.

Da Flächen rar und gerade die Hohe Straße sehr eng ist, schlagen die Studierenden vor, ­öffentliche Grünflächen auf den Dächern zu schaffen. »Dadurch könnte man andere Leute in die Stadt kriegen, die sich auch mal abends nach Ladenschluss auf dem Dach treffen und zum Beispiel ein Picknick machen.«

Außerdem müsse es wieder mehr Wohnungen in den oberen Geschossen geben, so Utku. »Es gibt so viel Leerstand in den oberen Etagen. Viele sind gar nicht mehr erreichbar, weil man aus Renditegründen die Zugänge dicht gemacht hat.« Die Politik müsse dafür dringend eine baurechtliche Lösung finden, fordert Utku — oder auch mal eine Immobilie an einem zentralen Ort einer Initiative zur Verfügung stellen. Andere Menschen anziehen, die nicht nur zum Shoppen kommen wollen, konsumfreie Angebote, die die Stadt auch vor und nach Ladenschluss beleben, eine radikalere Mischnutzung — nur so könne die City für alle wieder attraktiv werden, glaubt Utku. »Man muss weg vom Bild der Haupteinkaufsstraßen.«

»Der Handel ist für die Leute immer noch Motivation Nummer eins, um in die City zu kommen — aber sie wollen das kombinieren mit Gastro, Freizeiterleben und Lifestyle im weitesten Sinne«, sagt Boris Hedde, Geschäftsführer des »Institut für Handelsforschung« (IFH Köln). Das Kölner Marktforschungs- und Beratungsunternehmen analysiert die Entwicklung des Handels und entwirft unter anderem Strategien, wie Firmen und Kommunen darauf ­reagieren können. Das IFH führt regelmäßig Passantenbefragungen in deutschen Innenstädten durch. Zuletzt wurden im Herbst 2022 rund 69.000 Passanten in 111 deutschen Städten danach befragt, wie sie die jeweilige Innenstadt wahrnehmen, was sie sich wünschen, aus ­welchem Grund sie kommen. Hedde sieht die »Herausforderungen einer Transformation des Handels«, hat aber auch gute Nachrichten: »Köln schneidet gut ab und liegt im Durchschnitt aller Städte, die teilgenommen haben«, sagt Hedde. »Das hat viel Potenzial. Die Frage ist aber, ob man die passende Zielgruppe anzieht.« Frequenz bedeutet nicht Umsatz, und wenn überwiegend Menschen die City besuchen, die nicht viel Geld ausgeben, verändert sich das Angebot. Die vielen Candy Stores, ­Angebote im unteren Preis­segment und Fastfood-Läden belegen das.

Die Schildergasse ist eine schöne Straße, immer noch mit vielen Touristen. Ich finde, die Mieten müssten gesenkt werden, damit sich auch kleine Geschäfte den Standort leisten können. Dann würde die Innenstadt noch lebendiger werden.
Bülent Demirel, arbeitet seit 15 Jahren als Paketzusteller in der Innenstadt

Ein wesentlicher Faktor für den Besuch der ­Innenstädte sei auch Gastronomie zusammen mit dem Einkauf geworden — in Köln müsse das Angebot allerdings aufgewertet werden, sagt Hedde. Auch hier müsse es mehr Vielfalt geben. »Die Händler wünschen sich ohnehin gute Gastronomie im Umfeld mit einer kaufkräftigen Kundschaft. Nicht umsonst, sind ­Juweliere aus den Lagen herausgegangen, die jetzt gastronomisch von Fastfood dominiert werden.« Vor allem ist es für Boris Hedde aber wichtig, »dass wir es schaffen, die Innenstadt auch als gesellschaftlichen Raum und nicht nur als Ort für Konsum zu interpretieren. Das ist der Schlüssel. Der Handel allein wird es nicht schaffen, dass die Innenstadt lebendig bleibt — aber ohne den Handel geht es auch nicht, das zeigen unsere Befragungen und Analysen immer wieder eindeutig.«

Die Innenstadt neu zu denken, nimmt der Starnberger Immobilienentwickler Ehret und Klein für sich in Anspruch. Das Unternehmen hat zwei einander gegenüberliegende Areale an der Hohe Straße aufgekauft. Das ehemalige Mantel­haus Goertz soll denkmalgerecht saniert und aufgestockt werden, oben eine Dachterrasse mit Gastronomie entstehen. Gegenüber an der Hohe Straße 134–136 soll ein Neubau entstehen, ebenfalls als Büro- und Geschäftshaus und mit Restaurant auf der Dachterrasse. Dort soll es zudem ein besonderes Nutzungskonzept geben: Sogenannte Flex-Spaces sollen von verschiedenen Mietern zu unterschiedlichen Tageszeiten genutzt werden, etwa morgens von einer Sprachenschule und abends für Yoga-Kurse. Mit der Idee, eine Fläche zu allen Tageszeiten zu beleben, lässt sich prima Geld verdienen.

Auf der Schildergasse, die vom Ramsch-Image noch weitgehend verschont ist, gehören viele Häuser der Fondsgesellschaft Aachener Grundvermögen, einer Tochter der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft, die wiederum im Besitz mehrerer katholischer Bistümer ist. Darunter ist auch das Haus an der Schildergasse 70. Während sich unten ein Outlet des Versandhändlers Zalando befindet, werden die oberen Etagen derzeit zu einer Boulderhalle umgebaut. Für Einzelhändler seien neben dem Erdgeschoss nur noch das erste Obergeschoss und eventuell noch das Untergeschoss attraktiv, so Frank Wenzel, Spre­cher der Kölner Handelslagen und Geschäftsführer der Aachener Grundvermögen. »Für uns als Vermieter von Einzelhandelsflächen gilt es daher, die Flächenaufteilungen anzupassen und die oberen Geschosse anderen Nutzungsarten zuzuführen.« Das sei eine gute Chance, die Städte multifunktionaler zu gestalten.

Und auch die Stadt Köln hat sich in die City eingemietet. Mitte des kommenden Jahres soll die Zentralbibliothek übergangsweise in ehe­ma­lige Geschäftshäuser an der Hohe Straße ziehen, während der Bau am Josef-­Haubrich-Hof saniert wird. Eine gut besuchte, öffentliche Kultur- und Bildungsinstitution zieht in die Haupteinkaufsstraße — davon zeigen sich alle innerstädtischen Akteure begeistert. Doch was mit dem Gebäude passiert, wenn die Bibliothek zurück an den Neumarkt zieht, ist völlig offen.

»Die Zwischennutzung durch die Stadtbibliothek kann vielen die Augen dafür öffnen, was hier möglich ist«, sagt Grünen-Politikerin Sabine Pakulat, Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses. »Aber sie zeigt auch, wie aufwändig der Umbau von ehemaligen Ver­kaufs­flächen für andere Nutzungen ist.« Dennoch müsse das Ziel der Nutzungsmischung an oberster Stelle stehen. »Das größte Problem sind die überteuerten Mieten in der Erd­geschosszone. Darauf hat die Stadt nur einen begrenzten Einfluss, weil sie in privater Hand sind«, sagt Pakulat. Mit dem Leit­bild Innenstadt und dem Zentrenmanagement der städtischen Wirtschaftsförderung aber habe man nun gute Voraussetzungen, um Eigentümer und Filialisten »in die gewünschte Richtung« zu lenken.

Wir sind in die Innenstadt gekommen, um diese Kaffeemaschine zu kaufen. Wir haben sehr lange darauf gespart und freu­en uns jetzt riesig, sie in den Händen zu halten. Wir wollten sie vor dem Kauf genau angucken — das ist im Internet nicht möglich. Wir machen ein schönes Event daraus und werden uns immer daran erinnern, wie wir sie gekauft und nach Hause getragen haben.  Martin Zurnieden und Pauline Hedouin aus der Südstadt

Dirk Michel von der CDU sieht das etwas anders. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses sagt: »Das Leitbild kann Orientierung sein und wird helfen, unsere Ziele bei der Aufwertung in diesem Abschnitt zu erreichen«, sagt er. Aber zuvor müssten die »Voraussetzungen einer positiveren Visitenkarte unserer Stadt« geschaffen werden. »Der Anker der Innenstadt bleibt der Handel«, so Michel. »Aber wo kann man sich auf der Hohe Straße oder Schildergasse mal ausruhen? Schauen Sie mal, in welchen Ecken die Leute stehen müssen, um ihre Currywurst zu essen. Wo kann man verweilen, sich ausruhen, wo können Kinder spielen?« Den öffentlichen Raum zu gestalten, habe Köln jahrzehntelang versäumt. Der Quatermarkt, so Michel, würde sich etwa als grüner, schattiger Platz mit Skulpturen und Bänken an der Via Culturalis anbieten. »Es gibt den Begriff power of places: Zentrale Plätze müssen lebendiger werden. Und wir brauchen Multi-Use-Konzepte in Gebäuden.«

Dass Köln »sauber, sicher und im öffent­lichen Raum in einem entsprechenden Zustand« sein müsse, ist für Michel unerlässlich. »Besonders die Zustände am Neumarkt müssen angegangen werden.« Er habe aber »Zweifel an den Prioritäten und dem Qualitätsanspruch bei Politik und Verwaltung«. Michel sieht ein weiteres Defizit: »Eigentümer und Unternehmer brauchen in unserer Verwaltung verlässliche Partner. Ich kenne diverse Beispiele, bei denen sich Investoren zurückge­zogen haben, weil unsere Bauämter nicht ­performed haben. Personalmangel und Qua­lität sind wohl die Ursachen.«

Eine große Streitfrage ist, inwieweit die Verkehrswende dem Handel schadet, wenn die Anreise mit dem Auto erschwert wird. Für Dirk Michel ist klar: »Wer in die Innenstadt kommt, will shoppen! Trial-and-Error bei Verkehrsversuchen aus der Bezirksvertretung Innenstadt zerstört Existenzen. Es braucht datenbasierte Stadtentwicklung! Autos kaufen ein! Wird die Anreise erschwert, bleibt der Umsatz weg.«

Boris Hedde vom Institut für Handelsforschung sagt, für manche Einkäufe eigne sich der ÖPNV. »Darüberhinaus aber hat Köln auch eine starke Sogkraft ins Umland, und von dort ist die Anreise mit dem ÖPNV so eine Sache. Der motorisierte Individualverkehr ist relevant. Wir haben hier eine Affinität für den PKW, die stärker ausgeprägt ist als an anderen Orten.« Hedde sagt aber auch: »Wer mit dem PKW nach Köln kommt und keine Parkmöglichkeit findet, ist genervt. Aber nur, weil man gut parken kann, kommen nicht mehr Besucher in die Innenstädte.«

Wir waren im Dom und im Café, und jetzt wollen wir ein wenig durch die Innenstadt spazieren. Wir können sehen: Es geht hier um Konsum, aber die Individualität des Einzelhandels fehlt. Es gibt nur Süßigkeitengeschäfte und große Marken, die man überall findet.   
Bianka Scherer und Katja Pfeiffer aus Ludwigshafen, zu besuch in Köln wegen des Konzerts von Rival Sons

Das Architektur Forum Rheinland (AFR) hat sich schon vor einigen Jahren in einer Gesprächsreihe mit der Situation der Einkaufsstraßen und der Zukunft des Handels befasst. Geschäftsführer Jörg Beste sagt: »Es steht und fällt mit den Eigentümern der Immobilien. Die muss man dazu bewegen, hier gesamtverantwortlich zu entscheiden — und sich so letztlich auch zukunftsträchtig aufzustellen. Denn wenn die Lagen verramschen, sinkt auch der Immobilienwert.« Beste regt an, mit den Eigen­tümern auch Exkursionen zu unternehmen, um zu zeigen, wie eine Innenstadt mit anderen Geschäften besser funktionieren kann. ­Ansonsten ist es der übliche Weg, ihnen mit Verkehrsplanung und Gestaltung des öffent­lichen Raums entgegenzukommen. »Aber ­ die Förderung müsste sich eigentlich auf die kleinen und krea­tiven Läden konzentrieren. Diesen Pionieren müsste man ein Umfeld bereiten — und sie auch stützen. Auf der Ehrenstraße haben wir gesehen, wie diese Pioniere wieder durch die Ketten und Flagship-Stores verdrängt werden — eine Art Gentrifizierung der Einkaufslagen«, so Beste.

Dass nun so häufig Mischnutzungen eingeplant werden und der Handel nur noch im Erdgeschoss vertreten ist, ist für Annett Polster nichts Neues. Sie ist Geschäfts­führerin von Stadtmarketing, einem Verein von mehr als 200 Unternehmen aus der Kölner Wirtschaft. »Dass wir in der City mehr brauchen als »nur« Handel, wissen wir — und gibt es auch bereits: Büros, Dienstleistungen und auch Wohnen, sogar in Hohe Straße und Schildergasse«, so Polster. Sie will lieber über die Potenziale der Kölner Innenstadt sprechen, die vielen Passanten, den vergleichsweise geringen Leerstand, und dass alle zentralen Einkaufs­straßen gut fußläufig erreichbar sind — ein Vorteil in Zeiten des demographischen Wandels. Doch wenn es um die Aufenthaltsqualität geht, hört auch Polster mit dem Schwärmen auf. Es fehle an Grün und an Rückzugsorten, gerade auch für Kinder und alte Menschen. Viel drängender aber sei noch etwas anderes: »Das betrifft die Themen Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit, gerade im zentralsten Raum der Stadt. Aktuell gibt es viel Engagement für das Dom­umfeld, das ist gut und deutlich spürbar«, so Polster. Doch sie sieht noch immer den Bedarf für einen »ganzheitlichen Ansatz, um das ­Innenstadterlebnis nicht zu schmälern.«

Andere können durchaus eine Strategie ­erkennen, Köln ein bestimmtes Image zu geben, allerdings eine andere als erhofft. »Köln-Besucher bekommen vermittelt: Hier erwartet dich viel Fun und an jeder Ecke die Ver­sorgung mit Alkohol und Fastfood«, sagt ­Joachim Groth, Vorsitzender der Bürger­gemeinschaft Altstadt. Unter der einseitigen Ausrichtung auf Event und schnellen Konsum hätten die Anwohner und Händler der Altstadt schon lange zu leiden, nun habe der Trend auch Hohe Straße und Schildergasse ­erfasst. Groth sieht vor allem die »Gastrono­misierung« der Innenstadt als problematisch an. Sie bringe nur noch mehr Events, Fastfood-Lokale und Kioske hervor, und diene allein der Gewinnmaximierung. »Die Gastro kann im Gegen­satz zum Einzelhandel in erheblichem Maß den öffentlichen Raum bewirtschaften und ist damit in der Lage, mit mehr Quadratmetern noch höhere Mieten zu zahlen«, so Groth. Die Folge: »Es kommen vor allem Leute, die sich umschauen, ihren Döner essen und wieder wegfahren. Die Innenstadt verödet. « Das im Leitbild Innenstadt genannte Ziel von noch mehr Gastronomie findet Groth wenig zukunftsweisend.

Groth will stattdessen andere Bereiche gestärkt sehen. Neben Kultur, Green Architecture und Handel ist das vor allem das Wohnen. »Wenn Sie die City wiederbeleben wollen, kann das nur passieren, wenn in den oberen Etagen das Wohnen wieder ermöglicht wird. Stadt ist mehr als eine Partyzone. Diesem Anspruch muss die Politik gerecht werden.«

Und wie sieht Brigitte Scholz, Leiterin des Stadtentwicklungsamtes, die Innenstadt in zehn Jahren? Wird das Leitbild dann um­gesetzt sein? Scholz sagt: »Die Innenstadt wird deutlich nutzungsgemischter sein und der öffent­liche Raum hat mehr Qualität, so dass man sich gern bewegt, viel entdecken und erleben kann. Und es ist grüner — auch wenn ich weiß, dass das schwierig wird, weil in Köln so vieles im Untergrund ist, was die Möglichkeiten einschränkt.« Die Kölner Schönheiten aber könne man besser herausstellen, so Scholz. »Die italienischen Städte sind nicht ­besonders grün, aber unglaublich schön und belebt, weil es Plätze und Aufenthaltsqualität gibt.«

Bis Köln so schön ist wie eine italienische Stadt, wird es dauern. Die neueste Veränderung läuft nicht gerade nach Leitbild-Lehrbuch: Am Eingang der Schildergasse hat der Textildis­counter KIK eröffnet.