»Über Scheiße spricht man nicht«
Herr Thurn, »Holy Shit« richtetet einen globalen Blick auf alternative Entsorgung von Fäkalien. Filmemacher Rubén Abruña bereist 16 Städte auf vier Kontinenten, besichtigt Pariser Abwasserkanäle, Kläranlagen in Chicago, Trockentoiletten-Projekte in Uganda. Er spricht mit Abwasser-Aktivist*innen in Schweden, Hamburg und in Brandenburg. Gibt es eine weltweite Bewegung?
Unser Regisseur reist stellvertretend für die Zuschauer*innen quer durch die Welt — wissenschaftlich unterfüttert, aber mit dem nötigen Augenzwinkern bei so einem Thema. Das Verrückte: Ruben hat Leute in Schweden und Korea getroffen, die an ähnlichen Dingen arbeiten, sich aber nicht kennen. Über Scheiße spricht man nicht! Selbst die Wissenschaftler*innen und Tüftler*innen unter unseren Protagonist*innen haben sich bisher nicht auf internationaler Ebene vernetzt.
Initiativen und Wissenschaftler*innen verbünden sich weltweit auf Kongressen zum Thema Wasser oder Landwirtschaft — aber es gibt noch keine internationale World-Toilet-Organisation?
Ich glaube, es muss erst mal ein anderes Nachdenken einsetzen. Mit wertvollem Wasser spülen wir da eine riesige Ressource weg. Noch schlimmer sind die Nährstoffe, die wir in Flüsse und Ozeane spülen, wo sie sauerstofffreie Zonen erzeugen. Dabei sind genau das die Nährstoffe, die unsere Bauern ohnehin schon auf den Acker bringen — in Form von aus Minen gewonnenen Mineralien, die irgendwann mal erschöpft sind, Phosphate und Kali vor allem. Das Schlimmste, der größte Klima-Fußabdruck unserer Ernährung, ist der Stickstoff-Kunstdünger, der mit viel Energie aus der Luft synthetisiert wird. Allein wenn man den ersetzen würde durch unsere Ausscheidungen, dann hätten wir sehr viel weniger Klimabelastung. Und noch etwas: Die Fäkalien würden in Form von Kompost auf den Acker kommen, was das Bodenleben anregt, die Wasserhaltefähigkeit vergrößert. Ein Kunstdünger hingegen ist zuerst effektiv, zerstört aber die Kleinstlebewesen. Im folgenden Jahr muss man dann noch mehr zuführen.
Und dieses Landwirtschaftsmodell ist weltweit vorzufinden?
In allen Industrieländern wird auf diese industrielle Modell gesetzt. Das weiß ich von meinen Reisen für eigene Dreharbeiten. Das ist nur in Entwicklungs- und Schwellenländern ein bisschen anders, die noch ihre regionalen Besonderheiten pflegen, weil sie nicht über das Kapital für diese Kunstdünger-Pestizide verfügen.
Ihr Film »Taste the Waste«, bei dem Sie Regie führten, hat sich 2011 mit einem anderen tabuisierten »Wohlstandsprodukt« befasst — mit als Müll deklarierten, aber noch verwertbaren Lebensmitteln. Auf den Film folgte eine Kampagne, die ein gesellschaftliches und politisches Umdenken inspirierte: Tafeln und Lebensmittelretter sind jetzt verbreitet und akzeptiert. Könnte »Holy Shit« ähnlich viele Menschen aufwecken?
Das wäre natürlich großartig. Aber da liegt viel Arbeit vor uns, gerade weil es schon ein Abwassersystem gibt, von dem eine milliardenschwere Industrie profitiert. In vielen Kommunen ist es auch in der Hand der Stadt, trotzdem müssen wir sagen: Eine Umstellung auf ein ökologischeres Sanitärsystem ist nicht so einfach. In Neubauvierteln geht es leicht. In den vielen Ländern, in denen es noch keine Abwasserkanäle gibt, ist das nicht nur ökologischer, sondern auch billiger. Deswegen werden die vielleicht diesen teuren Umweg, den wir mit der Wassertoilette eingeschlagen haben, gar nicht erst gehen.
Welche Industrienationen sind schon weiter und haben ein Bewusstsein für das Thema entwickelt?
Finnland hat, glaube ich, 70 Prozent Öko-Toiletten — das ist unglaublich! Natürlich gibt es da auch viele isolierte Siedlungsformen, und dort in großen Sammelkanälen und riesigen Kläranlagen zu sammeln, wäre unsinnig. Aber es wäre auch in Schweden unsinnig, doch die haben trotzdem unser Abwassersystem.
Bei den Toiletten liegen die Deutschen im Mittelfeld
Zeichnen sich die Deutschen im internationalen Vergleich durch irgend etwas aus?
Der »anale Charakter«, den man uns immer nachweisen will, zeigt sich bei den Toiletten nicht so sehr — tatsächlich liegen die Deutschen irgendwo im Mittelfeld. Ganz schlimm ist es in Amerika — auch mit unserem Titel »Holy Shit« kommst du in den USA nirgendwo hin.
»Holy Shit« zeigt viele Beispiele, wie in kleinerem oder größerem Rahmen eine neue Abfallwirtschaft probiert wird. Was wäre eine praktikable politische Handlungsanweisung auf kommunaler Ebene in Deutschland?
Das Allerwichtigste wäre zu sagen: Hey, das ist kein Abfall, das ist ein Wertstoff! Dort wo es passende Strukturen gibt, kann sich bereits jetzt eine neue Branche entwickeln, die sauberen Dünger herstellt. Es gibt Landwirte, die den abnehmen — und der ist zehnmal besser, also hygienischer, als jeder Tierdung, der heute massenhaft auf die Felder geschmissen wird. Und er ist frei von Antibiotika! Das ist auch vom Gestank her eine ganz andere Nummer. Wenn man festen Mist auf den Misthaufen gibt, und der ist gut durchlüftet, dann stinkt er nur wenig. Und wenn man noch Sägespäne darauf gibt, wie bei Kompost-Toiletten, dann riecht er gar nicht mehr. Nur wenn flüssig und fest vermischt werden, kommt es zu der »anaeroben Vergärung« ohne Sauerstoffzufuhr, wie in Bio-Gasanlagen. Dann nimmt man das Ammoniak wahr, diesen stechenden Geruch, den man von der Gülle kennt, aus der Massentierhaltung. Wenn man es trennt, kann man es vermeiden. Das gibt dann eine ganz feine Erde.
Viele Gründe halten aber das bisherige System am Laufen. Sie haben wirtschaftlichen Lobbyismus genannt, aber auch psychologische, kulturelle Vorbehalte. Ist ein Wandel dennoch zu erreichen?
Absolut! Der Wandel darf nicht als Rückschritt erscheinen, als Gedanke, ich müsse wieder auf ein zugiges, stinkendes Plumpsklo, wo man ein Schäufelchen nimmt und immer brav Sägespäne hinterherkippt. Das würde keine Mehrheiten finden. Es geht um moderne Klos, zum Teil Vakuum-Klos. Die Designerin Anastasia Bondar wird in Köln die erste öffentliche Trenn-Trockentoilette in den Volksgarten bringen. Die Einweihung findet in Anwesenheit von Oberbürgermeisterin Henriette Reker am 28. November, demTag unserer Filmpremiere, statt. In dieser Toilette gibt es einen Sensor, und dieSpäne rieseln automatisch nach. So kann man das machen, dann ist der Geruch weg.
D/CH, R: Rubén Abruña, 85 Min., Start: 30.11.
Das Buch zum Film erscheint bei Orange Press.
Infos: orange-press.com