Durchgefroren und trotzdem da: Kölner Heumarkt-Antifa

Offene Geheimnisse

Mitglieder von AfD und CDU haben auf einem Treffen Deportationspläne diskutiert. Viele Spuren führen nach Köln

Millionenfache Vertreibung — so lässt sich zusammenfassen, was bei einem Treffen in einer Pots­damer Villa im November besprochen wurde. Dort diskutierten Mitglieder von AfD und CDU mit Martin Sellner, Gesicht der Identitären Bewegung (IB), über seine Ideen zur »Remigration«. »Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Rassifizierung des Wir, bei der der deutsche Pass nur zu einem Stück ­Papier wird«, sagt die Rechtsextremismusforscherin Anke Hoffstadt von der Hochschule Düsseldorf. »Teile der AfD haben diese Posi­tion schon länger vertreten.«

Die Enthüllungen des Recherchebüros Correctiv über das Treffen in Potsdam weisen auch nach Köln, etwa an die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität. Dort habilitierte sich 2012 ein Teilnehmer des Treffens: Ulrich Vosgerau. Auf der Homepage der Uni wurde er als »Privatdozent« gelistet. Die Universität zu Köln erklärte darauf hin, Vosgerau habe seit 2018 nicht mehr dort gelehrt. Ein Privatdozent, der nicht doziert? Wie soll das gehen? »Die Fakultät prüft zur Zeit, ob die Voraussetzungen gegeben sind, diesen Titel zu führen«, sagt ein Sprecher der Universität. Vosgerau selbst sagte gegenüber DPA, er habe Martin Sellner treffen wollen. Er habe gehört, dass er »ein angenehmer Typ« sei, so Vosgerau, der in Berlin arbeitet und sich selbst als Mitglied der CDU bezeichnet.

Neben Vosgerau nahm noch mindestens ein weiteres CDU-Mitglied an dem Treffen teil: Simone Baum aus Engelskirchen, die stellvertretende Vorsitzende der Werte­union. Ihr Kreisverband, die CDU Oberberg, reagierte kurz darauf: »Die erforderlichen Schritte für ein Parteiausschlussverfahren gegen ein Mitglied wurden eingeleitet«, so der Kreisverbandsvorsitzende Carsten Brodesser gegenüber der Stadtrevue. Bis zum 26. Januar habe das Mitglied Zeit, sich zu äußern, dann werde über das weitere Vorgehen beraten.

Die Ziele der AfD sind nun breit bekannt — und ­stoßen auf Protest

In Bedrängnis bringt die Perso­nalie Simone Baum auch die Kölner Stadtverwaltung. Dort soll Baum laut einem Bericht des Video­portals Kivvon im Beschwer­demanagement des Amt für Umwelt und Verbraucherschutz tätig sein. »Es muss unbedingt aufgeklärt werden, ob sie sich als Mitarbeiterin der Stadt korrekt verhalten hat«, sagt Sercan Karaağaç, Vorsitzender der Kölner Jusos. »Es darf jedenfalls keinen Unterschied machen, ob jemand aussieht wie Olaf Scholz oder wie ich.« Baums Teilnahme an dem Treffen müsse aufgearbeitet werden, forderten auch die Kölner Grünen, und Jörg Detjen (Die Linke) sagt: »Ich denke, es wird Zeit über eine Dienstaufsichts­beschwerde nachzudenken.« Die Stadt Köln erklärte auf Anfrage, man werde »den Sachverhalt, auch in Bezug auf die natürlich erforder­liche Verfassungstreue unserer Mitarbeitenden, prüfen«. Wann diese Prüfung beginnen, bis wann sie abgeschlossen sein soll und welche Konsequenzen Baum dabei drohen könnten, verriet sie nicht. 

Auch die Kölner CDU steht nun unter Druck. Kurz nach den Enthüllungen über Simone Baum meldete Der Spiegel, dass Peter Kurth, der 2009 für die Kölner CDU als OB-Kandidat angetreten ist, im Juli 2023 in seiner Wohnung ein Treffen mit Martin Sellner und seinem Verleger Götz Kubitschek abgehalten habe. Wenige Tage später meldete das Hamburger Nachrichtenmagazin, dass Kurth sogar an der Finanzierung einer Immobilie der Identitären Bewegung beteiligt sei. Die Kölner Grünen forderten ihren Koalitionspartner auf, sich von Kurth zu distanzieren. CDU-Parteichef Karl Alexander Mandl erklärte, Kurth sei seit 15 Jahren nicht mehr bei der Kölner CDU aktiv und auch aus der Bundes-CDU ausgetreten. »Die CDU hat einen klaren Kompass, deshalb begrüße ich es zudem, dass die CDU-Bundesspitze jetzt einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Mitgliedschaft in der Werteunion anstrebt«, sagt Mandl.

Weniger Aufmerksamkeit durch die Lokalpolitik erhält dagegen die Kölner AfD. »Im Rheinland gibt es viele Berührungspunkte zwischen AfD und Identitärer Bewegung — sowohl perso­nell, etwa auf der Ebene der Mitarbeitenden, als auch bei den Aktionsformen«, sagt die Rechtsextremismusforscherin Anke Hoffstadt. Der Kölner AfD-Bundes­tags­abge­ordnete und Ex-Ratsherr Roger Beckamp hat kurz nach dem Treffen auf Instagram »Remigration« als »Wort des Jahres« bezeichnet. In der Vergangenheit erklärte er, dass er den Programmierer eines IB-Videospiels finanziell mit Mitteln aus seinem MdB-Gehalt unterstützen würde. Zu seiner Zeit als NRW-Landtagsabgeordneter besuchte Beckamp 2018 ein heute nicht mehr existentes Hausprojekt der Identitären in Halle.

Gegründet wurde dies von Mario Müller, der heute als wissenschaftlicher Arbeiter für die AfD im Bundestag arbeitet. Auch er war laut Correctiv bei dem Treffen in Potsdam anwesend und brüstete sich damit, Schläger auf den Kronzeugen im Prozess gegen die Leipziger Antifa-Aktivistin Lina E. gehetzt zu haben. Auf Twitter soll er zudem einen Account betreiben, auf dem er Aktivist:innen, die sich gegen Rechtsextremismus stellen, mit Klarnamen und Adresse nennt. Konfrontiert mit diesen Vorwürfen, stritt Müller sie gegenüber Correctiv ab.

Eine weitere Verbindungs­person ist Irmhild Boßdorf, Frak­tionsgeschäftsführerin derAfD-Fraktion im LVR und Mitarbeiterin von Carlo Clemens, AfD-Landtagsabgeordneter und ehemaliger Kölner Ratsherr. Mit einer Rede, in der sie vor »menschengemachtem Bevölkerungswandel« warnte und die »millionenfache Remigration« forderte, schaffte sie es im Juli auf dem AfD-Parteitag auf Platz 9 der Liste zur Europawahl. Boßdorfs gesamte Familie ist im rechten Milieu fest verankert. Ihr verstorbener Mann Peter war jahrzehntelang Autor der Jungen Freiheit, Tochter Reinhild war lange Mitglied der Identitären und ist heute eins der Gesichter der Lukreta-Bewegung. »Die Bewegung propagiert einen Feminismus von rechts, bei dem etwa der Schutz vor sexuellen Übergriffen rassistisch aufgeladen wird«, sagt Anke Hoffstadt.

Solche Täuschungs-Strategien verfangen nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens schlechter als zu vor. Die Ziele der Partei sind nun breiter bekannt und stoßen auf Protest. 30.000 Menschen demonstrierten Mitte Januar bei Eiseskälte auf dem Heumarkt, wenige Tage später 70.000 auf der Deutzer Werft — für ein AfD-Verbot und für ein solidarisches Miteinander.