Ekstaseschlagzeuger zwischen Museumsbesuchern: Denis Wanic, Ralph Schmidt und Lucia Seiß sind Suir

Jeden Moment Richtung Weltall

Suir aus Köln spielen Shoegazer-Pop und bestechen durch ihre ganz eigene Psychodynamik

»Fell In Love With A Boy«. Joss ­Stone, die britische Soulröhre, schleicht sich an diesem nass­kalten Novemberabend in meine ­beiden Gehörmuscheln. Es ist, als verwandle sich das unermüdliche Rappeln der Straßenbahnlinie 13 in sanfte Back-Beats zu der Nummer.

Ziel heute: Das Bumann & Sohn. Denn das Münsteraner Independent-Label This Charming Man Records hat zu einem Konzertabend eingeladen. Mit dabei sind drei ihrer Schützlinge. Sex Beat, Mouth und: das Kölner Duo Suir. Denis Wanic — Gitarrist und Sänger — heißt der eine, Lucia Seiß — Bassistin und Gitarristin — die andere. ­Beide sind auch ein Paar, seit ­vielen Jahren schon. 

Zwei Wochen später dann, im Proberaum auf der Schäl Sick, plaudert Lucia ein bisschen darüber, wie das ­damals so gewesen sei mit dem Philosophie-Studenten Denis und ihr, der Studentin für Kunstgeschichte. Fell in love with a boy, na klar. Aber dieser Boy, der sei süchtig nach Musik gewesen, ­erzählt sie. Denis kann dem nur beipflichten. Musik habe schon immer etwas in ihm ausgelöst, diese Kunstform habe ihn schon immer am meisten erwischt. Während er das so sagt, schaut er kurz zu Lucia herüber. Innig ist das. Geschichts-schwanger. Ruhig wird es. Für zwei, drei Sekunden vielleicht.

Dass Ralph Schmidt, der Frischling im ­Bunde, in diesem Setting eher ­außen vor wirkt, ist daher mehr als selbstverständlich. Der Zweimeter-Hüne schaut sich das »Schauspiel« von der Seite an. Er schmunzelt, als Lucia die Liebes-Szenerie mit einem Satz vom Tisch wischt: »Denis und ich gehen oft zusammen ins Museum.« Im Düsseldorfer K20 seien sie ­zuletzt gewesen. Chaim Soutine hätten sie sich angeschaut. Den Maler, dessen expressive ­Gemälde so sehr Zeugnisse einer prekären Existenz am wüsten Rand der Gesellschaft sind.

Aber bevor ich so etwas wie »Wieviel Soutine steckt denn in euch?« fragen kann, klettert Denis auch schon die schmalen Stufen hoch zur hölzernen Empore, die sie am hinteren Ende ihres Räumchens installiert haben. Auf ihr ­liegen Dinge, die sie nicht jede Probe bräuchten. Ganz schön viel Merchandise-Zeug zum Beispiel. ­Während Denis also da oben eine Kassette ihres neuen Albums »Not All Of Your Pain Is Self Chosen« sucht und zu Lucia »Weißt du, wo wir die hingelegt haben?« herunterruft, schmunzelt Ralph wieder.

Ralphs Schmunzeln muss man einfach mögen. Weil darin so viel Gelassenheit steckt. Auf seiner Stirn könnte »Alles schon gesehen. Alles schon erlebt.« stehen. Vielleicht auch das verzweifelte Umherstochern eines Shoegazing-Frontmanns auf einer Empore irgendeines Proberaums irgendwo in dieser Republik. Der gebürtige Heppenheimer und Gitarrist der schon berühmten Kölner Black-Metal-Kombo Ultha kennt sich gut aus mit Such-Situationen. »Wir wussten erst gar nicht, dass Ralph auch Schlagzeug spielen kann«, hört man Denis, eingequetscht zwischen den Holzleisten, etwas schnappatmend dahernuscheln. Dann steigt er leichtfüßig wieder herunter. Die Kassette fest in einer Hand. Gott sei Dank. Lucia scheint erleichtert.

Ja, Schlagzeug kann Ralph spielen. Auch an diesem Abend im Bumann & Sohn. Aber Bock auf ein normales Drumset hat er nicht. Deshalb drischt er auf seine Snare und seine Stand-Tom samt rudimentärer Beckenauswahl ein. Im Stehen. Gesehen haben muss man das. Wie er da so mit seinen Trommeln zwischen Denis auf der einen und Lucia auf der anderen Seite posiert und zu den sphärischen Klangbildern von »Haunted«, »Vampires« oder »What Is Real?« den Ekstase-Schlagzeuger gibt. Nein: ein Ekstase-Schlagzeuger ist. Überhaupt wirken die drei in diesem ihrem Dasein ihres Schaffens wie nicht von dieser Welt. Als seien sie musikalisch-magnetische Boten einer anderen, einer parallelen Welt. Unglaublich anziehend ist das. Niemand würde sich ­wundern, hebe der Laden jeden Moment Richtung Weltall ab.

Zurück im Proberaum. In dem hebt aber niemand ab. Ralph ist in seinem zweiten Leben Lehrer an einer Gesamtschule. Ein Raunen überschwemmt die elf Quadratmeter, in denen wir sitzen. Von »Cool« über »megacool« bis hin zu »total cool« ist alles dabei. »Ich find’s wirklich cool, also was Lehrerinnen und Lehrer alles so leisten. Allerdings mache ich nur ein Praktikum an einer Schule. Aber freiwillig!« Denis haut den einfach mal so raus und bricht eine Lanze für den Beruf der Lehrerin / des Lehrers. Was für ein Bild: Der Typ, der auf der Bühne samt seiner ­Gitarre, ähnlich wie einst Gavin Rossdale, in sich und aus sich herauszappelt, schon als Haupt- oder Support-Act für Künstler wie Motorama, Lebanon Hanover, Esben and the Witch, The Underground Youth und The KVB auftrat und dessen Stimme sich wie der Kloben eines Bohrturms auf Vaselin-Creme in die Innereien der Zuhörer hämmert — dieser Typ macht ein Praktikum an einer Schule.

Sie wirken wie musikalisch-magnetische Boten einer anderen, einer parallelen Welt

Dass der Beruf des Lehrers aber auch seelisch herausfordernd sei, und das ganze System »Schule« zurzeit ganz schön ins Wanken gerät, darüber müssen wir an diesem Abend in der Schanzenstraße nicht reden. Aber über Sebastian Vettel, über den redet Ralph gerne. Vettel nämlich habe früher in Ralphs Heppenheimer Jugendzentrum, das er geleitet habe, ­abgehangen und zu oft »ein paar aufs Maul bekommen«. Irgendwann habe der heranwachsende Sebastian die Kartbahn für sich entdeckt. Da haben die anderen eine aufs Maul bekommen (im übertragenen Sinn). Geile Geschichte. Lucia und Denis sind schwer angetan von ihr. Kannten sie die doch auch noch nicht. Vielleicht ist es genau das, was dieses Gespräch mit den Dreien so lebendig macht: die unausweichliche Leichtigkeit des Unbekannten sozusagen. Allzu gerne würde man Mäuschen bei den Proben des ­Ehrenfelder Shoegazing-Pärchens und des Bickendorfer Ekstase-Drummers spielen. »Wie die sich wohl weiterhin kennenlernen werden?«, fragt man sich.

Zurück im Bumann & Sohn. Lucia sitzt da. Hinter diesem wuchtigen Holztisch versteckt sie sich. Auf dem: Ein paar Kassetten, CDs, vier Platten, dazu Sticker und T-Shirts. Alles davon geht gut weg. Die Band Mouth ist ziemlich laut. Lucia erträgt es. In ein paar Minuten wird sie auftreten. — Dass sie eigentlich eher durch ­Zufall in dieses Band-Projekt hineingetapst sei und von Natur aus gar nicht so gerne im Mittelpunkt stehe, erfahre ich erst zwei Wochen später von ihr. Ebenso, dass die ersten Auftritte für sie »ganz furchtbar« gewesen seien und sie am gesamten Körper gezittert habe. Die Tasten des Synthesizers habe sie damals oft vor lauter ­Zittern überhaupt nicht getroffen. So schlimm sei das alles am Anfang gewesen.

Ob sie denn auch weiterhin Musik machen würde, wenn es Suir nicht mehr gäbe? Lucia ist sich etwas unsicher, was die ­Antwort auf diese Frage angeht und sagt dann doch noch, fast ­nebenbei: »An Suir hängt mein Herz. Ohne die Band, ohne Denis würde ich musikalisch nicht ­weitermachen, denke ich.« Suir. Was für eine Liebesgeschichte.

suir.bandcamp.com/music