Miete plötzlich verdoppelt: Städtisches Flüchtlingswohnheim am Severinswall

»Die Menschen sind verzweifelt«

Viele erwerbstätige Geflüchtete müssen seit Januar erheblich mehr für ihre städtische ­Unterkunft zahlen — weil die Gebühren neu berechnet wurden

Es waren schier unglaubliche Fälle, die im vergangenen Jahr durch die Presse gingen. Zehntausende Euro Schulden hatten manche Geflüchtete angehäuft — ausgerechnet, weil sie eine Arbeit aufgenom­men und die horrenden Gebühren für ihre Unterkunft fortan selbst zahlen mussten. Bis zu 54 Euro pro Qua­dratmeter Wohnfläche waren laut städtischer Gebührensatzung fällig. Die Spitzensätze waren zustande gekommen, weil die Stadtverwaltung zusätzlich zu den Wohnkosten auch solche für die Überwachung durch Sicherheitsdienste und für Sozialarbeiter in die Gebühr mit eingerechnet hatte.

Zwar konnten die Betroffenen einen Härtefallantrag auf Absenkung der Gebühr stellen. Doch viele erfuhren davon nicht, oder erst zu einem Zeitpunkt, als die Rückstände schon gewaltig waren. Geflüchtete hätten einander daraufhin schon davon abgeraten, überhaupt eine Arbeit aufzunehmen, hieß es. Die Empörung war groß — und seit Beginn 2023 stellte sich dann auch noch das Jobcenter quer, das die Kosten für Geflüchtete ohne Job bis dato übernommen hatte. Das Jobcenter habe »die Nutzungsgebühren aus sozial­hilferechtlicher Sicht als zu hoch angesehen«, heißt es in einer Mitteilung der Stadt.

Im Dezember beschloss der Stadtrat, die Gebührensatzung zum Jahreswechsel hin zu ändern. Ex­treme Quadratmeterpreise wie in den vergangenen Jahren sind nun nicht mehr möglich. Doch gleichzeitig hat man auch die Härtefallregelung abgeschafft. Mit der neuen Satzung werde für alle Geflüchteten — egal ob Bezieher von Sozial­leistungen oder Erwerbs­tätige — »eine Deckelung der Nutzungsgebühr in Höhe der sozialhilferechtlichen Mietobergrenze vorgenommen«, so eine Stadtsprecherin.

Die Stadt bekommt nun weniger Geld vom Jobcenter erstattet, die erwerbstätigen Geflüchteten aber müssen deutlich mehr zahlen. Ende Januar kamen die neuen Bescheide mit der Post: So muss ein Ehepaar, das in einer städtischen Unterkunft in der Südstadt lebt, statt 530 Euro nun knapp 1070 Euro zahlen — für eine Zweizim­mer­wohnung, »deren Zustand kaum zu unterbieten ist«, wie der ehrenamtliche Helfer Klaus Kirsch­baum sagt. »Sie arbeiten im unteren Lohnsegment, daher trifft sie eine solche Erhöhung stark.«
Oder die Bewohner des Männerwohnheims an der Mündelstraße in Mülheim: Sie leben in Einzelzimmern und teilen sich Küche und Bad. Auch dieses Haus sei in miserablem Zustand, sagt Marianne Arndt, Gemeindereferen­tin in Höhenberg-Vingst und Vorstand im Verein Mosaik Mülheim. Gleichwohl sollen die Bewohner seit Januar knapp 19 Euro pro Quadratmeter zahlen, rund doppelt so viel wie zuvor. Etwa sechzig Prozent der Bewohner seien erwerbstätig und somit Selbstzahler.

Der Rat hat die neue Satzung ohne Diskussion beschlossen, obwohl wir vor den ­Folgen gewarnt habenMarianne Arndt, Gemeindereferentin

Besonders krass ist der Fall eines Bewohners einer städtischen Gemeinschaftsunterkunft in Marsdorf. Er teilt sich sein Zimmer mit einem weiteren Mann. Seine Gebühr hat sich von rund 180 Euro im Jahr 2022 auf nun knapp 670 Euro sogar beinahe vervierfacht. »Die Menschen sind verzweifelt, sie haben Angst«, so Arndt.
Soweit sich »eine deutliche ­Erhöhung der zu zahlenden Nutzungsgebühr gegenüber der alten Härtefallgebühr ergibt«, könne ein Antrag auf Wohngeld gestellt werden, heißt es bei der Stadt. Doch bis dieses bewilligt und ausgezahlt werde, vergehe oft ein Dreivierteljahr, sagt Arndt. Wenn die Menschen dann zur Überbrückung zum Jobcenter gingen, habe dies wiederum Folgen für ihren Aufenthaltsstatus: Wer Leistungen vom Jobcenter erhält, hat keine Chance auf eine Niederlassungserlaubnis oder gar eine Einbürgerung.

Arndt ärgert sich, dass der Rat die neue Satzung ohne große Diskussion beschlossen hat, »obwohl wir im Integrationsrat und in Fach­gesprächen vor den Folgen gewarnt haben«. Sie und der Kölner Flüchtlingsrat ermuntern nun Betroffene, Widerspruch einzulegen. Sie argumentieren, die geänderte Satzung verstoße — wie schon die vorangegangene — gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. »Das Gesetz verpflichtet Kommunen zwar darauf, wirtschaftlich zu handeln, Vorrang haben aber die Grundrechte der Betroffenen«, sagt die Juristin Dorothee Frings. »Die Kommunen dürfen nur solche Nutzungsgebühren von Wohnungslosen oder Geflüchteten verlangen, die auch dem Nutzwert der Unterkunft entsprechen.« Bei 29 Euro pro Quadratmeter für einen Platz in einem Mehrbettzimmer in einer Containereinrichtung, wie bei dem Geflüchteten in Marsdorf, sei das sicherlich nicht der Fall.

Jörg Detjen (Linke) ist langjähriges Mitglied im Sozialausschuss und Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses. »Die Gebüh­rensatzung ist zwingend notwendig, damit wir Geld vom Bund erstattet bekommen«, sagt Detjen. Er verweist auf die hohen Kosten von künftig rund 40 Mio. Euro jährlich, die allein die Bewachung der Flüchtlingsunterkünfte für den städtischen Haushalt bedeuten. Die drastische Erhöhung für Erwerbstätige sei aber ungerecht, gibt Detjen zu. »Auch diese Gebührensatzung muss wieder auf den Prüfstand.«