Besseres Lernen ist möglich
Schon in frühen Filmklassikern wird gegen ein verhasstes repressives System rebelliert — in Lindsay Andersons »If!« (1968) mit dem Maschinengewehr, in Truffauts »Sie küssten und sie schlugen ihn« (1959) mit Blaumachen und Fortträumen. Schulfilme haben Dauerkonjunktur: Im Spannungsfeld zwischen Pennälern und Paukern positionierten sich zuletzt Ilker Cataks »Das Lehrerzimmer« über institutionalisierten Dauerstress und Alexander Paynes an einem Internat spielender Weihnachtsfilm »The Holdovers«.
Neben dem Aufstand formuliert der Schulfilm regelmäßig Alternativen zur traditionellen Beschulung — und die Hoffnung, dass ein anderes Lernen möglich ist. Léa Todorov hat schon für ihren Dokumentarfilm »School Revolution: 1918–1939« über alternative Pädagogik viel Material zu Maria Montessori (1870–1952) zusammengetragen. Todorovs Spielfilm »Maria Montessori« setzt nun bei dem biografischen Abschnitt um 1900 ein, als die junge Ärztin — eine der ersten in Italien — in Rom ein Institut für Kinder mit Behinderung leitet. Gutachter genehmigen nur widerwillig die Fortführung des Bildungsprogrammes für »Idioten«, hinterfragen die biologische Eignung einer Frau als Ärztin und Pädagogin. Als Konsequenz bekommt Maria kein Gehalt und muss bei ihren Eltern leben. Dennoch verweigert sie eine Eheschließung, um ihre Freiheit zu wahren. Ihr stellt Regisseurin Todorov die aus Paris angereiste Lili gegenüber, eine gesellschaftlich einflussreiche »Edelprostituierte«. Lili möchte ihre behinderte uneheliche Tochter in Marias Heim unterbringen — zunächst, um sie loszuwerden, später, um ihr die bestmögliche Förderung angedeihen zu lassen. Schließlich wird Lili sich sogar als Musikpädagogin einbringen. Sowohl Maria als auch Lili behaupten sich in der heteronormativen, misogynen Gesellschaft, die auf Fehltritte und Skandale lauert, und der jedes Privileg nur mit Zähigkeit entrissen werden kann.
In vielen Regionen der Welt ist Schulbesuch ein Privileg
Die Französin Todorov zeigt diesen frühen feministischen Kampf als Vielfrontenkrieg um intellektuelle Anerkennung sowie materielle, juristische, soziale Gleichstellung. Schließlich erkämpft sich Maria Montessori — mit Lilis Hilfe salonfähig gemacht — eine Professur, die es ihr ermöglicht, die bei den Kindern mit Behinderung erfahrene Lernbegeisterung ins Allgemeine zu übertragen. Das führt sie zu ihrem längst weltberühmten Grundsatz der Montessori-Pädagogik: »Hilf mir, es selbst zu tun«. In Deutschland gibt es heute rund tausend Montessori-Einrichtungen — und eine Vielzahl weiterer alternativer Schulkonzepte.
2013 folgte Barthélémy Fougea Schüler*innen »Auf dem Weg zur Schule«. Er zeigt beschwerliche Anreisen — durch die Steppe Kenias, über das Atlasgebirge in Marokko wandernd, oder durch Patagonien reitend. 2021 dokumentierte Emilie Therond in »Schulen dieser Welt« den prekären Alltag in Lehranstalten der globalen Peripherie: eine Hütte in Burkina Faso, ein Boot in Bangladesch, eine Baracke im sibirischen Schnee. In vielen Regionen der Welt ist Schulbesuch keine öde, zu schwänzende Angelegenheit, sondern ein Privileg. Kostbar — und bedroht, sobald die Eltern es sich nicht leisten können, auf eine zusätzliche Arbeitskraft zu verzichten.
Mit dokumentarischer Tiefe inszeniert jetzt Christopher Zalla in seinem Spielfilm »Radical — Eine Klasse für sich« das Leben in einem mexikanischen Slum: Sergio Juarez kommt an die Jose-Urbina-Lopez-Grundschule und versucht, die schlechtesten Sechstklässler Mexikos für den Unterricht zurückzugewinnen. Sergio mischt das phlegmatische Kollegium, frustrierte Schüler*innen und desillusionierte Eltern mit antiautoritären und unkonventionellen Lehrmethoden auf. Die Kinder, die inmitten von Müllbergen, dem Einfluss der Drogenmafia und einer Korruption aufwachsen, die bis in die Schule reicht, erreicht er mit konkreten Alltagsfragen und ehrlichem Interesse am Einzelnen. Eine neue Lehrkraft, die eine Problemklasse begeistert und bald bei der Leitungsebene aneckt — das ist seit »Club der toten Dichter« des Öfteren variiert worden. »Radical« macht es originell, glaubhaft und berührend — mit spannenden Figuren und viel Realitätsnähe.
Maria Montessori (La Nouvelle Femme) F/I 2023, R: Léa Todorov, D: Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Rafaëlle Sonneville-Caby, 101 Min.
Radical USA 2023, R: Christopher Zalla, D: Eugenio Derbez, Daniel Haddad, Jennifer Trejo, 126 Min.