Anders arbeiten, anders denken, anders leben #3

Was vor ein paar Jahren noch wie ein Relikt aus den 70er Jahren erschien, ist wieder aktuell: arbeiten im Kollektiv — unter Bedin­gun­gen, die nicht von Chefs, Karriere und in Rendite gemes­senem Erfolg diktiert sind. Ohne Hierarchie, mit egalitären Löhnen, inklusiv und verbunden mit politi­schen Pro­jekten — das sind die Prinzipien dieser Bewegung. Auch in Köln werden diese Ideen wieder von mehr Menschen disku­tiert. Philippa Schindler beobachtet, dass die Ideen vom kollektiven und hierarchie­freien Arbeiten auch in großen Unter­nehmen einge­führt werden — als ­Mittel, um effektiver und flexibler zu arbeiten. Thomas Schäkel foto­grafierte das Locura-Kollektiv bei der Arbeit.

Neue Arbeit als PR-Strategie

Ende der 70er Jahre entwickelte Frithjof Bergmann das kapitalis­mus­kritische Konzept »New Work«. Vier Jahrzehnte später steht es für Open-Space-Büros, flache Hierarchien und Obstteller

In irgendeinem Start-up in Deutsch­land klingelt an einem Vormittag ein Telefon. Eine Mit­arbeiterin ruft an und ­erklärt: Für den kommenden Monat brauche sie aus­nahms­weise einen höheren Lohn als bislang, denn ihr Umzug stehe bevor. Die Kollegin aus der Buch­haltung, die den Anruf entgegen nimmt, veran­lasst darauf­hin die Auszahlung. Immer­hin hatte sich das kleine Unter­nehmen auf einen soge­nannten Bedarfs­lohn verständigt: Alle Mit­arbeitenden können selbst angeben, wie viel sie zum Leben brauchen. Nur wenige Wochen später wird dieser Mit­arbeiterin gekündigt. Die Begründung: Sie habe eigen­mächtig über eine Gehalts­erhöhung entschieden.

Es ist nur einer der Fälle, die Rupay Dahm, Fach­anwalt für Arbeits­recht in Berlin, am Telefon schildert. Seit einigen Jahren arbeitet er in diesem Bereich, neben seiner Tätig­keit in einem Reinigungs­kollektiv und der Beratung von selbst­organisierten Unter­nehmen ohne Chef*in. Das Konzept »New Work« begegnet ihm häufig, oder besser gesagt, die Auslegung, die heute vor allem für die Start-up-Welt typisch ist: flache Hierarchien, Home Office, ­agile Unter­nehmens­strukturen, Obst­teller. »Eine Schein­demokratie«, sagt Rupay Dahm. »Denn alle wissen, dass im Zweifel die Führungs­ebene entscheidet, wie lange die Mit­sprache aufrecht erhalten bleibt.« Und dann steht häufig der Vorwurf »Red­washing« im Raum: Präsentiert sich dieses Unter­nehmen womöglich nur des­wegen als progressiv und bemüht um soziale Gerech­tig­keit, um ­diese Wahr­nehmung für PR-Zwecke zu nutzen?

Dabei hatte der Sozial­philosoph Frithjof Berg­mann eigent­lich etwas anderes im Sinn, als er Ende der 70er Jahre das Konzept des »New Work« entwickelte. Nach ­einer Reise durch die damaligen Ost­block­staaten und ­seiner Ent­täuschung darüber, wie im real existierenden Sozialismus Arbeit organisiert wurde, begann er ein kapitalismus­kritisches Gegen­modell zu entwickeln. Es versprach Selbst­ständig­keit, Frei­heit und Teil­habe an der Gemein­schaft — drei Säulen, um Arbeit zu schaffen, die man »wirklich, wirklich will«, so Berg­mann. Als General Motors 1984 in der Automobil­stadt Flint in Michigan ein großes Werk schließen wollte, organisierte er dort für rund 5000 Beschäftigte das erste »Center for New Work«, in der selbs­bestimmt Ideen für eine neue Arbeit nach der Entlassung entwickelt wurden.

»Ich finde die anarchis­tische und sozialis­tische ­Perspektive von Berg­manns Konzept eigent­lich sehr gut«, sagt Rupay Dahm. »Und wenn es gut umgesetzt wird, können sich auch selbst­verwaltete Betriebe etwas davon abgucken. Etwa die Organisation in Klein­gruppen, in denen bestimmte Rollen verteilt sind und bei deren wöchent­lichen Treffen man Aufgaben besprechen kann.« Gerade in selbst­verwalteten Betrieben könne das bei der Personal­führung helfen, denn die falle häufig hinten runter. »Im Beratungs­gespräch mit Kollektiven stellt sich oft die Frage: Wer kümmert sich bei euch eigentlich darum, dass es allen Mit­arbeitenden gut­geht oder dass Konflikte besprochen werden?«

Doch in der heutigen Auslegung von New Work ­kommen derlei Über­legungen nur noch selten vor. Das kritisiert auch der Psychologe Carsten C. Schermuly in seinem Buch »New Work Dystopia«, in dem er beschreibt, wie das Konzept instru­men­ta­lisiert wird, um wirt­schaft­lichen Interessen zu nutzen: »Möchte ein Geschäfts­führer oder eine Geschäfts­führerin Open-Space-Büros einführen, um Miet­fläche zu sparen, dann nennt er oder sie das ›New Work‹. Ein Trend, der sich auch in dem von Schermuly geleiteten jährlichen »New Work Baro­meter« abzeichnet, wenn etwa Führungs­kräfte deutlich seltener der Praktik der demo­kratischen Unter­nehmens­organisation zustimmten als die befragten Mit­arbeitenden. Frithjof Bergmann selbst kommentierte 2017 in einem Interview am Rande einer Tagung zu New Work in Berlin: »Ich habe mir diese ›Neue Arbeit‹ schon anders vor­gestellt, als sie heute zelebriert wird. Hier wurde sehr viel über Führungs­techniken und Organisations­fragen ­geredet, also darum, wie Unter­nehmen ihre Angestellten noch raffinierter domesti­zieren und aus­beuten können. Diese Perspektive hat mich nie interessiert.«