Anders arbeiten, anders denken, anders leben #3
Neue Arbeit als PR-Strategie
Ende der 70er Jahre entwickelte Frithjof Bergmann das kapitalismuskritische Konzept »New Work«. Vier Jahrzehnte später steht es für Open-Space-Büros, flache Hierarchien und Obstteller
In irgendeinem Start-up in Deutschland klingelt an einem Vormittag ein Telefon. Eine Mitarbeiterin ruft an und erklärt: Für den kommenden Monat brauche sie ausnahmsweise einen höheren Lohn als bislang, denn ihr Umzug stehe bevor. Die Kollegin aus der Buchhaltung, die den Anruf entgegen nimmt, veranlasst daraufhin die Auszahlung. Immerhin hatte sich das kleine Unternehmen auf einen sogenannten Bedarfslohn verständigt: Alle Mitarbeitenden können selbst angeben, wie viel sie zum Leben brauchen. Nur wenige Wochen später wird dieser Mitarbeiterin gekündigt. Die Begründung: Sie habe eigenmächtig über eine Gehaltserhöhung entschieden.
Es ist nur einer der Fälle, die Rupay Dahm, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin, am Telefon schildert. Seit einigen Jahren arbeitet er in diesem Bereich, neben seiner Tätigkeit in einem Reinigungskollektiv und der Beratung von selbstorganisierten Unternehmen ohne Chef*in. Das Konzept »New Work« begegnet ihm häufig, oder besser gesagt, die Auslegung, die heute vor allem für die Start-up-Welt typisch ist: flache Hierarchien, Home Office, agile Unternehmensstrukturen, Obstteller. »Eine Scheindemokratie«, sagt Rupay Dahm. »Denn alle wissen, dass im Zweifel die Führungsebene entscheidet, wie lange die Mitsprache aufrecht erhalten bleibt.« Und dann steht häufig der Vorwurf »Redwashing« im Raum: Präsentiert sich dieses Unternehmen womöglich nur deswegen als progressiv und bemüht um soziale Gerechtigkeit, um diese Wahrnehmung für PR-Zwecke zu nutzen?
Dabei hatte der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann eigentlich etwas anderes im Sinn, als er Ende der 70er Jahre das Konzept des »New Work« entwickelte. Nach einer Reise durch die damaligen Ostblockstaaten und seiner Enttäuschung darüber, wie im real existierenden Sozialismus Arbeit organisiert wurde, begann er ein kapitalismuskritisches Gegenmodell zu entwickeln. Es versprach Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft — drei Säulen, um Arbeit zu schaffen, die man »wirklich, wirklich will«, so Bergmann. Als General Motors 1984 in der Automobilstadt Flint in Michigan ein großes Werk schließen wollte, organisierte er dort für rund 5000 Beschäftigte das erste »Center for New Work«, in der selbsbestimmt Ideen für eine neue Arbeit nach der Entlassung entwickelt wurden.
»Ich finde die anarchistische und sozialistische Perspektive von Bergmanns Konzept eigentlich sehr gut«, sagt Rupay Dahm. »Und wenn es gut umgesetzt wird, können sich auch selbstverwaltete Betriebe etwas davon abgucken. Etwa die Organisation in Kleingruppen, in denen bestimmte Rollen verteilt sind und bei deren wöchentlichen Treffen man Aufgaben besprechen kann.« Gerade in selbstverwalteten Betrieben könne das bei der Personalführung helfen, denn die falle häufig hinten runter. »Im Beratungsgespräch mit Kollektiven stellt sich oft die Frage: Wer kümmert sich bei euch eigentlich darum, dass es allen Mitarbeitenden gutgeht oder dass Konflikte besprochen werden?«
Doch in der heutigen Auslegung von New Work kommen derlei Überlegungen nur noch selten vor. Das kritisiert auch der Psychologe Carsten C. Schermuly in seinem Buch »New Work Dystopia«, in dem er beschreibt, wie das Konzept instrumentalisiert wird, um wirtschaftlichen Interessen zu nutzen: »Möchte ein Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin Open-Space-Büros einführen, um Mietfläche zu sparen, dann nennt er oder sie das ›New Work‹. Ein Trend, der sich auch in dem von Schermuly geleiteten jährlichen »New Work Barometer« abzeichnet, wenn etwa Führungskräfte deutlich seltener der Praktik der demokratischen Unternehmensorganisation zustimmten als die befragten Mitarbeitenden. Frithjof Bergmann selbst kommentierte 2017 in einem Interview am Rande einer Tagung zu New Work in Berlin: »Ich habe mir diese ›Neue Arbeit‹ schon anders vorgestellt, als sie heute zelebriert wird. Hier wurde sehr viel über Führungstechniken und Organisationsfragen geredet, also darum, wie Unternehmen ihre Angestellten noch raffinierter domestizieren und ausbeuten können. Diese Perspektive hat mich nie interessiert.«