Anders arbeiten, anders denken, anders leben #2
Die Ebene ist ein Streetfood-Festival
Ein Gespräch mit Ianna und Helena vom »Locura Festival« über die berühmt-berüchtigten Mühen der Ebene
Was 2014 mit vier Studierenden begann, ist heute eine 14-köpfige Gruppe: Das »Locura Kollektiv« backt und füllt argentinische Empanadas, bereitet damit das Catering für Feiern oder ist mit seinem Foodtruck auf Streetfood-Festivals unterwegs. Jeden Donnerstag steht er auf dem Rudolfplatz. Seit 2018 ist Locura, mit Sitz in Weiden, eine Genossenschaft und damit ein Kollektivbetrieb.
Ianna und Helena kommen in der Stadtrevue auf ein Gespräch vorbei. Nach den theoretischen und gesellschaftspolitischen Diskussionen mit Heinz vom SSM interessiert mich die konkrete Arbeit. Wie organisiert sich ein Caterer ohne Hierarchien?
Ianna hat zunächst in Bonn ein betriebswirtschaftliches Studium absolviert, lebt seit zwei Jahren in Köln, ist seit 2018 bei Locura und auch aktiv in der Kölner und bundesweiten Vernetzungsarbeit der Kollektive. Helena hat in BWL einen Bachelor und in Anthropologie einen Masterabschluss. Sie lebt seit 2018 in Köln, ist seit zwei Jahren bei Locura dabei und froh, ihren Job in der Logistik bei einem »normalen Unternehmen« gekündigt zu haben.
Ianna, Helena, was zeichnet Locura aus? Was fällt euch spontan ein?
Ianna: Wir kommen aus ganz unterschiedlichen Kontexten. Manche haben studiert, andere eine Ausbildung gemacht und es gibt Menschen bei uns, die einfach viel Erfahrungen gesammelt haben. Wir haben in unserem Team Menschen aus Argentinien, Kolumbien, Ghana, Spanien, Frankreich und Deutschland. Unsere Hauptsprachen sind Deutsch, Spanisch und Englisch, wobei manche auch Französisch und Italienisch miteinander sprechen. Es gibt Menschen, die sich nicht in einer Sprache unterhalten können, weil eine Person nur Spanisch, die andere nur Deutsch oder Englisch spricht. Aber verstehen tun sie sich trotzdem und es werden immer wieder neue Wege der Kommunikation gefunden. Trotz der vielen Sprachen kriegen wir es immer gut hin, gemeinsam Entscheidungen zu treffen.
Helena: Mir gefällt die gegenseitige Unterstützung, dass wir untereinander die Aufgaben verteilen, wie es für uns am besten passt. Man ist immer Teil des Entscheidungsprozesses, das unterscheidet sich grundsätzlich von meinem früheren Job.
Was muss ich mir unter einer Genossenschaft vorstellen?
Ianna: Wer bei uns neu anfängt, hat eine dreimonatige Onboarding-Phase. Die Person hat einen Buddy aus dem Kollektiv an ihrer Seite, eine Ansprechperson. Einmal im Monat findet ein Onboarding-Gespräch statt, in dem wir uns mit der neuen Person austauschen. Nach drei Monaten entscheidet das Kollektiv, ob sie aufgenommen wird. Dann kauft sie einen Genossenschaftsanteil in Höhe von 100 Euro.
Das hört sich wenig an.
Ianna: Ja, aber viele Leute, die bei uns anfangen, haben keine Rücklagen. Die Genossenschaftsanteile sind im Kollektiv noch ungleich verteilt. Ziel ist aber, dass mittelfristig alle gleich viele Anteile halten. Deshalb bekommen alle Locuristas mit weniger Anteilen als der Durchschnitt mehr Genossenschaftsanteile gutgeschrieben. Gleichzeitig zeichnen Mitglieder, die bereits den Durchschnitt erreicht haben keinen neuen mehr. So gleicht sich das mit der Zeit langsam an.
Wie zahlt ihr euch aus?
Helena: Wir haben einen Einheitsbruttolohn und wir diskutieren jedes Jahr, ob wir ihn erhöhen können. Früher hatten wir einen Bedarfslohn. Da haben wir festgelegt, was wir minimal brauchen und maximal wünschen.
Ianna: Aber das Modell war auf Dauer recht konfliktreich, das musste sehr intensiv ausgehandelt werden. Es setzt zum Beispiel ein hohes Maß an Verantwortung dem Kollektiv gegenüber voraus. Da ist der Einheitslohn eine klarere Lösung. Aber auch in diesem haben wir viele Fragen und unterschiedliche Ansichten. Haben Leute mehr Verantwortung für den Betrieb und deshalb auch einen Anspruch auf höheren Lohn? Diese Frage taucht immer wieder auf.
Oder auch: »Ich arbeite mehr als du — trotzdem verdienen wir den gleichen Lohn.« Das löst Konflikte aus. Habt ihr eine Übersicht über eure Arbeitsstunden?
Ianna: Jede*r schreibt für sich seine/ihre Stunden auf, das ist also bislang individuell gelöst. Das klappt eigentlich ganz gut. Trotzdem kann man sich fragen: Habe ich jetzt 45 Minuten gearbeitet oder eine Stunde, weil die Pause ja auch zur Arbeit gehört? Und wenn man mich um 20 Uhr anruft und irgendeine Frage zu Locura hat — ist das dann auch Arbeit? Das haben wir noch nicht einheitlich geklärt.
Helena: Wir machen einen Plan, wie viele Stunden wir im Monat brauchen werden, um unser Pensum zu erreichen. Am Ende ist es immer aufgegangen. Manchmal liegen wir zehn Stunden darunter, manchmal zehn darüber, das sind kleine Schwankungen. Und das zeigt ja, dass niemand Stunden schindet, keiner zu viele aufschreibt. Da sind wir alle sehr gewissenhaft.
Seid ihr in eurer Arbeit auf Rollen festgelegt?
Ianna: Ja, sind wir. Wir sind aber immer bereit, für andere einzuspringen, wenn die mal krank sind. Oder wenn jemand kurzfristig aufhört.
Helena: Wir können auch wechseln. Ich war längere Zeit für den Einkauf von Verpackungen, Geschirr und Besteck zuständig. Dann bin ich in die Koordination des Caterings gewechselt und habe eine Kollegin für meine bisherige Rolle ein bisschen eingelernt. Es macht auch Spaß, die Rollen zu wechseln. Die Rollen an sich sind klar definiert, aber die Personen können wechseln.
Wie häufig trefft ihr euch als Kollektiv, um die Fragen, die ihr genannt habt, zu diskutieren?
Helena: Alle zwei Wochen für zwei Stunden. Manchmal türmt sich so viel auf, dass wir uns wöchentlich treffen müssen. Wir haben auch kleinere Gruppen, die wir »Tandem« nennen. Zum Beispiel »Tandem Produktion«, die für verschiedene Bereiche in der Produktion verantwortlich sind, also Teig, Füllungen, Foodtruck-Vorbereitung usw. Die besprechen die Themen, die nur sie betreffen. Darin können sie autonom Entscheidungen fällen und gemeinsam als Tandem einzelnen Rollenträger*innen Entscheidungskompetenzen zuweisen.
Ianna: Dann gibt es das »Tandem Beziehung und Netzwerke«: Da sind alle Rollen inbegriffen, die die Kontakte nach draußen halten: Catering-Akquise, Vertrieb, Social Media, Design… Wir haben insgesamt vier Tandems: außerdem noch »Transparenz«, das ist unsere Buchhaltung und Bürokratie und »Gruppe«, da geht es um’s Onboarding, Team-Planung, Weiterbildung.
Helena: Und es gibt es noch Team-Tage, auf denen wir zum Beispiel unsere Statuten und unser Selbstverständnis neu diskutieren. Das braucht mehr Zeit.
Wie geht ihr mit Gewinnen um? Das kann ja schnell zum Problem werden, wenn man plötzlich mehr Geld hat.
Ianna: Nach den Corona-Jahren hatten wir letztes Jahr wieder einen Gewinn und haben beschlossen, unseren Stundenlohn von 12 auf 14 Euro zu erhören.
Ihr arbeitet alle sozialversichert?
Ianna: Genau. Wir haben ein paar Kollektivistas, die als Mini-Jobber arbeiten, weil sie entweder noch andere Projekte haben oder nebenbei studieren. Aber die meisten sind als Genossenschaftler*innen beides: Eigentümer*innen und Angestellte. Aber zum Gewinn: Unser Ziel ist schon, dass wir regelmäßig unseren Stundenlohn erhöhen, um gut leben zu können. Wir mussten aber auch viel in unsere Küche investieren oder in unseren Foodtruck. Wir sind immer noch im Aufbau. Wir haben in unseren Statuten festgelegt, dass wir perspektivisch Teile unseres Gewinns an ökologisch-soziale Projekte spenden oder in die bundesweite Kollektiv-Vernetzung.
Habt ihr eine geregelte Wochenarbeitszeit? Wie viel arbeitet ihr?
Helena: Unsere Arbeitszeit kann je nach Monat etwas variieren. Jede Person sagt der Rolle Teamplanung wie viel Schichten sie pro Monat für die Arbeit im Foodtruck, in der Teigproduktion und in der Küche übernehmen kann und möchte. Dabei berücksichtigt jede Person für sich selbst, wie viel Stunden sie bereits für Rollenarbeit braucht. Die Rolle Teamplanung erstellt damit dann den Schichtplan für die Produktion und für den Verkauf im Foodtruck, mit dem wir an Wochenenden auf Streetfood-Festivals und ab Mitte November auf Weihnachtsmärkten unterwegs sind.
Weihnachtsmärkte? Hört sich sehr stressig an.
Helena: Ist es auch. Im Dezember ist super viel los, im Sommer auch, da haben wir die meisten Catering-Anfragen. Wir müssen darauf flexibel reagieren, das ist der Nachteil, wenn man in der Gastronomie arbeitet. Im Januar und Februar passiert fast nichts. Über das Jahr gleicht sich das aus.
Ianna: Wir haben zum Glück Spielraum. Wenn Leute von uns mehr arbeiten wollen oder müssen, weil sie das Geld brauchen, können wir noch Streetfood-Festivals dazubuchen. Aber man muss es offen sagen: Es ist ein harter Job. Am Wochenende haben wir 10- bis 12-Stunden Schichten. Wenn wir auf einem Festival in Osnabrück sind, dann wechseln die Schichten nicht, dann ballert da ein Team durch.