Avatare blicken dich an
Vorab ein Funfact: Den Begriff »Tanzfilm« gibt es nur im Deutschen, keine andere Sprache hat ein Äquivalent dafür. Dabei war es ein US-Amerikaner, der Tänzer und Choreograf Fred Astaire (1899-1987), der dem Genre zu seiner kulturellen Bedeutung verhalf. Als einer der ersten bestand er darauf, dass die Tänzer*innen in Ganzkörperansicht gefilmt wurden, mit einem Weitwinkelobjektiv. Niemals zuvor hatten Tanzszenen in einem Film eine solche Prominenz gehabt. Und heute? Ist der Tanzfilm längst zum eigenen künstlerischen Genre geworden — nicht nur als Tanznummern, die in eine filmische Handlung eingebettet sind, wie bei »Dirty Dancing« oder dem Musical »La La Land«, sondern als Dokumentation von Bühnentanz oder in Form von hybriden Stücken, die Choreografie, Live-Bewegungserfassung, 3D-Design und Sound miteinander verweben.
Der Tanzfilm ist Experimentierfläche für Digitalität und Virtualität — und genau das ist auch Fokus beim Moovy Tanzfilmfestival. Seit 2017 findet das Festival in Köln statt und gibt dieser, bisweilen noch randständigen Kunstform eine regelmäßige Plattform: Einmal im Jahr wird unter der Leitung von Ágota Harmati ein umfassendes und sich über zwei Wochen erstreckendes Programm gezeigt. Im Filmforum NRW und im Tanzmuseum im Mediapark laufen Tanzfilme, es findet das Symposium »Dance 4.0 — Tanz, Film und Wissenschaft im digitalen Wandel« statt und die Tanzfaktur zeigt Installationen unter dem Titel »Choreografien für eine virtuelle und erweitere Realität«.
Sicherlich eine der spannendsten Kulturveranstaltungen, bei denen man sich im März aufhalten kann; angefangen mit dem VR-Stück »How am I here?!« von der in Damaskus geborenen Mey Seifan. 2011 hat sie das »Syrian Dreams Projekt« ins Leben gerufen, in dem sie Träume von Syrer*innen in Zeiten des beginnenden Bürgerkriegs archivierte. Seitdem basieren ihre Projekte auf diesem Archiv — auch die Performance, in der sie den wechselhaften Gefühlen von diasporisch lebenden Syrer*innen zum Thema »Heimkehr« nachgeht. Gezeigt wird hier auch »Proxy«, eine digitale Live-Performance von Charlotte Triebus, in der drei Avatare individuell auf jede*n Betrachter*in reagieren, und »Hair« von Angie Hiesl und Roland Kaiser, das das menschliche Haar in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zeigt: als Symbol weiblicher Schönheit, aber auch als Zeichen von Stärke — oder Zerbrechlichkeit.
Moovy Tanzfilmfestival, diverse Orte, 8.–24.3., moovy-festival.com