Partizipation und Biomasse

Das inklusive Kunsthaus kaethe:k aus Pulheim geht neue Wege

Ein Freitagabend, Anfang März, Ebertplatz: Zwei Passant*innen schauen von draußen in den Off-Space Gold+Beton hinein. Sie sagt zu ihrer Begleitung: »Ein Rochen!« und zeigt auf eine der etlichen Zeichnungen des Künstlers Merten Fellmann. Die Zeichnungen, die der 1974 in Duisburg geborene Fellmann auf Papier bannt, sind einladend. Auf einem Blatt grüßen nicht nur das Kolosseum und die Gebrüder Romulus und Remus, in der rechten unteren Ecke steht eine Vespa.

Doch der Blick ist unverstellt und direkt: Was Fellmann unter dem »Thema: Italien Rom« zusammengefasst hat, beinhaltet genauso die Gladiatorenkämpfe mit dem Kurzschwert Gladius oder die heu­tige Unterweltorganisation Mafia. Viele Blätter in der Ausstellung »OktopusKarma« sind in präzisen Strichen festgehaltene, konzise Typologien, entweder im Rahmen eines Themas oder einer biologischen Gattung. Da gehört dann auch mal eine Gruppe Rochen dazu. Das zufällig vorbeiziehende Paar ist nicht alleine in der Faszina­tion für diese Zeichnungen, ganz im Gegenteil: Zur mittlerweile dritten Kooperation des Kunstraums Gold+Beton und des Pulheimer Kunsthauses kaethe:k haben sich viele Köpfe, trotz März-untypischen Herbstwetters, zum Ebertplatz bewegt. Kunstinteressierte, Freund*innen der beiden Institutionen und immer mal ­wieder Laufpublikum diskutiert gleichermaßen über Meerestiere, Fledermäuse oder Mammuts.

Gleicher Tag, ein paar Stunden früher, Schauplatzwechsel: Am Vormittag trifft man Merten Fellmann zwar nicht im Gebäude des Kunsthauses kaethe:k in Pulheim-Brauweiler an, doch die Leiterin des Hauses, Melanie Schmitt, gewährt einen Einblick in den Arbeits­­platz des Künstlers. Im ­selben Gruppen-Atelierraum wie Fellmann arbeitet auch der 1996 in Bergisch Gladbach geborene Elias von Martial an einer Zeichnung im Din-A3-Format, während hinter ihm eine über drei Meter brei­te Papierarbeit ein ganzes Science-­Fiction-Universum aufmacht — inklusive riesenhafter Gottheiten und einem Kampf zwischen anthropomorphen Tieren und menschlichen Gegenspielern.

Im Erdgeschoss präsentiert Schmitt das eigenwillige Werk von Andrea Wolf, die wie »eine ­Alchemistin« Experimentierreihen anlegt und den kultivierten Zerfall von Pansen oder Eiern beobachtet. Auf ihren Einmachgläsern prangt das Wort »Biomasse«. Schmitt erklärt: »Andrea Wolf, die mit ihren 65 Jahren die älteste Künstlerin im Haus ist, ist ein gutes Beispiel dafür, welche Rolle wir als ›kaethe:k‹ einnehmen: Gerade Künstler*innen, die sich obsessiv mit Themen wie Biologie — oder auch selbstgeschaffenen Parallel­welten — beschäftigen, unterstützen wir dabei, Gedankenwelten und Ideen in bildnerische Lösungen umzusetzen. Wir geben Tipps bezüglich der Arbeitsweisen oder schlagen vor, etwas Neues zu versuchen: vielleicht mit anderen Materalien.« Wolf, beispielsweise, übersetzt ihre Biomassen neuerdings in bildhauerische Objekte mit abjekter Qualität: Fleisch — oder exkrementähnliche kleine Plastiken. So abstoßend wie spannend.

Die Ateliers befinden sich in einem Neubau am Guidelplatz, der Teil eines Ensembles ist, das gegenüber der von weitem sichtbaren Abtei Brauweiler steht. In einem weiteren Neubau befinden sich acht Wohnungen und ein Pro­jektraum für Künstler*innen, ­außerdem die Administra­tion — alles realisiert von der Gold-­Kraemer-Stiftung, die auch Träger des kaethe:k ist.

Die Stiftung wurde 1972 von dem Unternehmer-Ehepaar Paul R. und Katharina Kraemer nach ­einem persönlichen Schicksalsschlag ins Leben gerufen: 1953 kam ihr Sohn Rolf mit multiplen Behinderungen auf die Welt, verstarb aber bereits 1966 trotz intensiver Betreuung. Fortan engagierte sich das Ehepaar, das eines der führenden Juwelierunternehmen der BRD leitete, in der Behinderten­hilfe und anderen sozialen Wohltätigkeitseinrichtungen — bis zur Gründung der eigenen Stiftung. »Viele Einrichtungen der Stiftung sind nach Paul Kraemer benannt, weswegen wir mit unserem Haus Katharina — also Käthe — Kraemer würdigen«, erklärt die stellvertretende Leiterin Maren Walter. »Wir haben den Namen nicht vorgegeben, er wurde zusammen mit den Künstler*innen entwickelt.«

Andrea Wolf übersetzt ihre Biomassen neuerdings in bildhauerische Objekte mit abjekter Qualität: Fleisch — oder exkrement­ähnliche ­klei­ne Plastiken. So ab­­stoßend wie spannend

Das war 2020, wegen der Co­rona-Pandemie und ihren Regeln wurde alles über Zoom gestaltet. Eine Top-Down-Entscheidung kam dennoch nicht in Frage: Par­tizi­pa­tives Arbeiten wird im Haus groß geschrieben, so gibt es auch eine Künstler*innenvertretung, die unabhängig von den Administration und den angestellten Künstler*innen und Pädagog*innen Forderungen und Ideen mitentwickelt.

Doch das Projekt startete bereits fünf Jahre vorher: Damals ist die Gold-Kraemer-Stiftung, bei der Maren Walter bereits im Kultur­bereich arbeitete, auf die heutige Leiterin Melanie Schmitt zugekom­men, um eine Idee für ein inklusives Kunsthaus am Guidelplatz zu entwickeln. Schmitt hatte bereits in Frankfurt das renommierte Atelier Goldstein mit aufgebaut. Was sich simpel anhört, ist es beileibe nicht: »Es stellen sich schnell Fragen, die entschieden werden müssen: Wie alt sollen die Künstler*innen sein? Von welchen Behinderungsformen reden wir?«

Das Team reiste in der Folgezeit durch NRW, sprach mit Hilfeträgern: »Wir fragten: Kennt ihr kreative Menschen mit Behinderung, die sich vorstellen könnten, sich zu professionalisieren?«, erzählt Schmitt und gibt zu, dass man sich der Wirkmacht dieser Frage gar nicht bewusst gewesen sei, schließlich bedeutete dies für Menschen mit Behinderung eine völlig neue Perspektive: Ein Dasein als professionelle Künstler*in. Nicht weniger als eine Revolution.

Nach einer Phase mit Workshops kristallisierte sich eine Gruppe von zehn Künstler*innen heraus, die neben dem nötigen Talent auch den Willen zum Umzug nach Pulheim-Brauweiler mitbrachten. Eine Gruppe, die sowohl altersmäßig, als auch in der Behinderungsform sehr divers ist: Die jüngste ist 19 Jahre, die älteste Künstlerin 65; es sind Menschen mit Lernschwie­rigkeiten, Autismus-Spektrums-Störungen und mobilen Körper­behinderungen; mit und ohne ­familiärer Migrationsgeschichte; Männer und FLINTA* paritätisch.
Doch kommt man der Besonderheiten des kaethe:k eigentlich nicht über Zahlen oder Quoten näher, sondern vielmehr über den direkten Kontakt mit der Kunst und den Menschen dahinter. Zum Beispiel bei den jährlich stattfindenden offenen Ateliers, zu denen man das Kunsthaus besuchen kann. Oder bei einer Ausstellung im Gold + Beton, wo man sich zwischenzeitlich und in Kooperation mit dem Kölner Kunsthaus Kat18 sogar Motive Merten Fellmanns tätowieren lassen konnte.

Weitere Informationen und Newsletter-­Anmeldung unter kaethe-k.de
Dort findet man auch Informationen zum Förderverein »kaethe:k Freunde e.V.«