La chimera
In einer Welt des magischen Realismus spielen die Filme der italienischen Regisseurin Alice Rohrwacher, die nach »Land der Wunder« und »Glücklich wie Lazarro« mit »La chimera« eine lose Trilogie beendet. Verbindendes Element ist die Region Etrurien — auch Rohrwachers Herkunft —, vor allem aber ein spezieller Blick auf Außenseiter der Gesellschaft: Magier, Zirkusleute, Vagabunden oder in diesem Fall eine Gruppe tombaroli, Grabräuber, die nach wertvollen Relikten der Vergangenheit suchen. Zu ihnen gehört Arthur, die Hauptfigur, der als Engländer in Italien ein doppelter Außenseiter ist.
Anfang der 80er Jahre sitzt Arthur im Zug in seine Wahlheimat. Im Schatten der Stadtmauer einer antiken Stadt lebt er in einer Baracke, sein heller Anzug ist viel zu leicht im winterlichen Italien, doch mehr als die Kälte schmerzt ihn der Verlust seiner großen Liebe Beniamina. Diese war die Tochter der eleganten Gräfin Flora, die mit einer Gruppe Frauen in einem verfallenden Palast lebt. Arthur besitzt eine spezielle Gabe: Mittels einer Wünschelrute ist er in der Lage, unterirdische Grabkammern zu finden, in denen die Etrusker, die Ahnen der modernen Italiener, einst ihre Toten reich bestatteten. Doch Arthur sucht nicht nach wertvollen Grabbeigaben, sondern nach dem mythischen Tor in die Unterwelt, denn er hofft, Beniamina doch noch wiederzufinden.
Ein vielfältiges Geflecht an Bezügen zur Mythologie, der Geschichte Etruriens, dadurch auch zur Geschichte Italiens, entwirft »La chimera«. Lose reiht Rohrwacher Bilder aneinander, evoziert mit analogem Filmmaterial jene aus der Zeit gefallene Atmosphäre, die ihre Filme unverkennbar macht. Im Gegensatz aber zu ihrem (bisherigen) Meisterwerk »Glücklich wie Lazarro«, in dem die impressionistischen Bilder entlang einer deutlich stringenteren Narration aufgezogen waren, verliert sich »La chimera« bisweilen in seinen vielen Handlungssträngen. Ein so kohärentes Ganzes wie in früheren Filmen gelingt diesmal nicht. Nach dem brillanten Vorgänger mag das leicht enttäuschen, eine der interessantesten und originellsten Regisseurinnen des zeitgenössischen Kinos bleibt Alice Rohrwacher dennoch.
I 2023 R: Alice Rohrwacher, D: Josh O’Connor, Carol Duarte, Isabella Rossellini, 130 Min. Start: 11.4.