Kennt keine schwierigen Räume: Markus Saile

Breite Pinsel, Analoge Screens

Die Galerie Drei zeigt die erste Kölner Solopräsentation von Markus Saile

Farblasuren schimmern, wechseln ihre Tonalität je nach eingenomme­ner Perspektive. Als transluzide Schichten stark verdünnter Farbe legen sie sich über den hölzernen, glatt geschliffenen Bildträger. Markus Saile bezeichnet die Bilder als »analoge Screens«, weil die helle Grundierung durch die dünnen Farbschlie­ren leuchtet. Letztere le­gen sich in Schwünge, Wirbel oder Schleifen, scheinen die Wischbewegungen unserer Finger auf digitalen Endgeräten nachzuvollziehen. Ganz so, als könnten wir mit zwei Fingern in Details zoomen oder zum nächsten Bild swipen.

Der in Stutt­gart geborene Künst­ler wählt für seine Malereien die unterschiedlichsten For­mate: Von Quasi-Miniaturen bis hin zum menschlichen Körpermaß als Referenz. Die Inspi­ration für die Wahl der Farben bezieht Saile ebenfalls aus seiner direkten Umgebung, die­nen ihm doch gedeckte Farben aus dem alltäglichen Leben als Ankerpunkte.

Saile studierte bis 2011 an der HBK Braunschweig und schloss als Meisterschüler bei Frances Scholz ab. Schon damals ließen sich seine Malereien auf der Schwel­le zwischen Zwei- und Dreidimensionalität in einer Art Zwischenzustand ansiedeln — ein Vexierspiel, das er bis heute beibehalten hat. Es ragen dickflüssige Farbnasen über die Ränder der Bilder, lassen diese fast objekthaft erscheinen. Es ist einer der Gründe, warum Sailes Werke so schwer zu dokumentieren sind, müsste man sie doch von allen Seiten gleichermaßen präsentieren.

Die Ränder nämlich legen ähn­lich den Ringen eines Baumes den Schaffensprozess offen, indem sich Spuren vergangener Farbaufträge ausmachen lassen. Doch nicht nur formal sind die Bilder in der Schwe­be verortet, sondern auch inhaltlich. Die abstrakten Striche ziehen in dynamischer Bewegung breite Bahnen, die von ebenso breiten, eigens angefertigten Pinseln stam­men. Es scheint, als wäre etwas im Gange, als gebe es ein unbekanntes Vor und Danach, würde die Zeit nur für einen kurzen Moment verharren. Sailes Bilder muten wie Cliffhanger ohne Auflösung an, die das Publikum im Spannungsmoment mit den eige­nen Gedanken alleine lassen.

Sailes Bilder muten wie Cliffhanger ohne Auflösung an

Eine fortlaufende Reihe bilden die durchnummerierten »Pipes«. Das ist Englisch für den senkrechten Strich, der vor allem innerhalb digitaler Schreibpraktiken Verwen­dung findet. Als hyper­schmale malerische Formate sitzen die »Pipes« mit einer Minimalbreite von 11 cm wie Balken auf der Wand auf, zeigen ähnlich farbige Schwünge wie die kleineren Tableaus. Sie entsprechen einer Zäsur, markieren Anfang wie Ende eines Abschnitts. Saile hat sie in vorangegangenen Ausstellungen als eine Art Abstandshalter genutzt, in ­seiner derzeit laufenden Solopräsentation in der Galerie Drei sollen sie erstmals für sich alleine stehen. Ein Spiel mit dem Raum und dessen architektonischen Besonderheiten, dem sich Saile schon lange Zeit widmet.

Selbst vormals kuratorisch im nicht länger bestehenden Projektraum PiK aktiv, kennt er sich aus mit Relationen zwischen Raum und Kunst, Beziehungsgeflechten zwischen den Werken untereinander, der Wahrnehmung von Kunst aus verschiedenen Perspektiven. Eindrücklich demonstriert er in seinem Deutzer Atelier derartige Beziehungsgeflechte und zeigt, wie sich plötzlich die Wirkung einzelner Werke verändert, sobald die umgebenden Bilder wechseln.

Die Dokumentationen vergangener Ausstellungen veranschaulichen seinen besonderen Umgang mit Räumlichkeiten. So flankiert ein Bild im Neuen Aachener Kunst­verein 2020 seitlich den Fensterrahmen, ist eine andere Arbeit innerhalb seiner Ausstellung 2022 in der Galerie MAI 36 in Zürich in einem etwas zu breiten Durchgang platziert. Auf diese Weise öffnen sich bis dato ungekannte Sichtweisen auf Kunst und Raum. Saile bekennt: »Für mich existieren keine schwierigen Räume, nur solche mit besonderen Möglichkeiten.«  Schon die hierarchisch gleichgeordnete Behandlung der Bildränder veranschaulicht, dass der Umraum für Saile keine Leerstelle bedeutet, sondern zum Werk dazu gehört, er die Grenzen des Bildraums zu sprengen versucht.

Man mag es kaum glauben, aber bei der noch bis 4. Mai laufen­den Ausstellung »Everything Folds« in der Galerie Drei handelt es sich um die erste Kölner Solopräsentation des seit 2010 in der Stadt lebenden Künstlers. Trotzdem steht für Saile fest: »Auch in Zukunft plane ich Köln treu zu bleiben.« Einer Stadt, die für ihn durch die Nähe zu anderen europäischen Großstädten besticht. Seine experimentellen künstlerischen Untersuchungen von Farbe, Format und Raum werden uns hoffentlich noch öfter in Köln begegnen.

Markus Saile, »Everything Folds«, Drei, Jülicher Str. 14, bis 4.5.; Mi–Fr 14–18 Uhr, Sa 11-16 Uhr