Klassenkämpferisch sein
August 1973: Im Kölner Werk des Autoherstellers Ford kommt es zu einem wilden Streik. Die überwiegend türkischen Arbeitnehmer*innen legen ihre Arbeit nieder und besetzen den Betrieb. Deniz Yılmaz ist Teil des Widerstands — nun ja, zumindest fiktiv, auf der Bühne. Das »Import Export Kollektiv & friends« hat ihn erfunden, gespeist aus Erfahrungen und Erzählungen des Ensembles. Deniz ist Vorbild, Kollege, Verbündete, Freund*in, Mutter oder Großvater und fragt: Was hat sich seit den Streiks getan und wie sieht Protest heute aus?
»Das Thema hat sich uns quasi aufgedrängt«, erzählt Regisseurin Saliha Shagasi. »Da war zum einen der historische Aspekt, das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei, das sich bei unserem ersten Nachdenken über ein neues Stück gerade zum 60. Mal jährte. Da ist natürlich auch der Ort, die alte Drahtseilfirma Felten & Guilleaume, auf deren Gelände wir uns mit dem Schauspiel befinden.« Für das Stück »Drahtseilakt / Cambaz Gösterisi« bringt Shagasi Spieler*innen des Import Export Kollektivs, des Oldschool Ensembles und dem Stück »Die Lücke 2.0« mit Zeitzeug*innen der Streiks 1973 und Anwohner*innen aus Mülheim zusammen.
Alles beginnt mit einer Reise: »Bei einem unserer Recherchebesuche im DOMiD haben wir erfahren, dass viele der Fotografien im Archiv den Tag der Abreise festhalten, ein Moment des Abschieds, der Sehnsucht. Das wollten wir aufgreifen.« Welchen Gegenstand nennen die meisten, wenn sie gefragt werden, was sie auf eine Reise mitnehmen? Kopfhörer! »Das Publikum wird mit Kopfhörern ausgestattet und in Kleingruppen entlang verschiedener Stationen über das Carlsgelände geführt.« Etwa zu Tesla, ein Sinnbild des heutigen Kapitalismus und Tech-Materialismus, das im Stück mit dem Flexen im Rap verknüpft wird, dem Angeben mit einem dicken Auto zum Beispiel. Aber auch zur Straßenkicker Base, wo ausgehend von Stadion-Fangesängen ein Demo-Shout einstudiert wird: »Es geht darum, kämpferisch zu sein, sich zu verbinden«, sagt Saliha Shagasi.
Die Musik zum Stück liefern Kutlu Yurtseven (Microphone Mafia) und Keshav Purushotham (Keshavara), und ganz wichtig — nicht alles wird ins Deutsche übersetzt: »Die Gedichte oder Texte, die wir im Türkischen vortragen, sind so stark, die stehen für sich.« Vielleicht ist auch die Erfahrung bereichernd, manchmal etwas nicht zu verstehen, in einem Stück, in dem es um Migration geht.
Schauspiel Köln, Depot 2, 14. & 19.4., 18 Uhr