»Fahren wie Gott in Frankreich«
Frau Kleine, Herr Beierling-Hèmonet, Sie lehnen den Tunnel ab. Aber wäre der Verkehr in Köln heute nicht noch chaotischer, wenn man nie eine U-Bahn gebaut hätte?
Rolf Beierling-Hèmonet: Die Tunnel, die wir in Köln haben, haben nichts verbessert. Sie haben nur mehr Platz für die Autos geschaffen und mit zu der »Autogerechten Stadt« geführt, die wir jetzt haben. Köln hat zudem keine U-Bahn, sondern nur eine teils tiefergelegte Straßenbahn. Mehrere Linien müssen sich ein Gleis teilen.
Barbara Kleine: Nachhaltige Stadtplaner planen heute oberirdisch. Das geht schneller, umweltfreundlicher, günstiger. In Frankreich ist man weiter. 26 Städte, die ihre Straßenbahnen abgeschafft hatten, bauen nun wieder oberirdisch. Klimapolitisch ist ein Tunnel sowieso nicht mehr vertretbar: Beim Bau werden pro U-Bahn-Kilometer 100.000 Tonnen Co2 emittiert, mal abgesehen von den irren Kosten und Unwägbarkeiten.
Metropolen wie London oder Paris haben ein effizientes U-Bahn-System.
Darauf kann Köln nur neidisch sein.
Beierling-Hèmonet: Diese Metropolen haben eine andere, über hundertjährige Städtebauhistorie, die Köln bezogen auf die U-Bahn nicht mehr nachholen kann. Diese U-Bahnen sind auch nicht für alle effizient! Die engen, kilometerlangen Passanten-Tunnel und vielen Treppen sind nicht barrierefrei. Ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung können da nur sehr eingeschränkt teilhaben. Auch Paris geht den Weg nach oben: Da sind Fahrradstraßen entstanden, die Straßenbahn erlebt eine Renaissance. Damit fährt man wie Gott in Frankreich und erlebt die Stadt ganz anders! Dort hat man erkannt, dass ein leistungsstarker Verkehr für alle nur oben funktioniert. In London ähnlich. Wir brauchen schnelle und sanfte Lösungen, die die Menschen nicht über dreißig Meter in die Erde zwingen, und dann sind auch noch Aufzüge und Rolltreppen ständig kaputt!
Aber im Tunnel können die Bahnen viel ungestörter fahren, sie kommen schneller voran.
Beierling-Hèmonet: Die Kölner Tunnel sind alles andere als störungsfrei. Etwa an der Poststraße: Drei Linien teilen sich die Schienen. Wenn da etwas passiert, ist halb Köln lahmgelegt. Und wann, bitte schön, fährt eine U-Bahn reibungslos in den Appellhofplatz ein? Zudem sollte man, statt wie die KVB betriebstechnisch zu denken, die Perspektive des Kunden einnehmen und die Reisezeit betrachten: Wie oft kommt eine Straßenbahn? Wie lange brauche ich bis zum Ziel an der Oberfläche? Eine sehr hohe Taktung und nahe beieinander liegende Haltestellen machen den ÖPNV erst attraktiv. Das kann die U-Bahn nicht leisten. In London und Paris hat jede Linie ihre eigene Schiene. Dadurch können sie deutlich schneller fahren. Das wäre in Köln nicht möglich.
Kleine: Früher argumentierten Tunnel-Befürworter noch mit einem Zeitvorteil von fünf Minuten. Dies ist aber nicht realisierbar und wird auch nicht mehr als Vorteil genannt.
Aber oben ist doch immer irgendwas oder irgendwer im Weg.
Beierling-Hèmonet: Am Neumarkt sind oberirdisch derzeit pro Richtung in den Spitzenstunden 30 Bahnen unterwegs. Das könnte man auf 40 Bahnen erhöhen. Zürich hat sogar 50 Bahnen. Natürlich muss man dafür den Durchgangsverkehr der Autos rausnehmen, so dass die Bahn gemütlich mit 20 km/h durch die Innenstadt fahren kann und man am Ende trotzdem schneller ist als im Tunnel, weil es keine Störungen mehr gibt, kein Warten an der Ampel. Wenn man aus dem Innenstadtbereich heraus ist, kann die Bahn Geschwindigkeit aufnehmen. Im Tunnel rast die Bahn auch nicht. Man kann nicht auf Sicht fahren und muss viel mit Technik, Freischalten und Zeitpuffern arbeiten. Das Ein- und Aussteigen wie oben am Neumarkt bekommen Sie im Tunnel nicht hin. Und man braucht Zeit, um die über 30 Meter in die Röhre hinunterzusteigen.
Wenn die Schienen oben weg sind, bekommt man mehr Aufenthaltsqualität, sagen die Tunnel-Befürworter.
Beierling-Hèmonet: In Frankreich sieht man: Die Straßenbahn ist Teil des schönen Bildes an der Oberfläche! Ich fahre gemütlich durch die Stadt, ich werde animiert, auszusteigen, am Leben teilzunehmen, einzukaufen! Die Schienen sind ins Grün eingebettet oder liegen wie am Neumarkt so harmlos im Pflaster, dass man sie als Barriere nicht wahrnimmt. Die Tunnel-Befürworter sagen, die Bahnen würden stören. Nein, der Autoverkehr stört! Er verursacht die Barrierewirkung, aber die Straßenbahn doch nicht! Wenn sie sanft durch die Innenstadt fährt, ist sie eine Bereicherung des sozialen Lebens, sie ist das Verkehrsmittel für jung und alt, für arm und reich, für alle.
Kleine: Ein Tunnel ist städtebaulich nicht besser, denn der Heumarkt und das Mauritiusviertel würden durch Rampen auf ewig zerschnitten. An der Mauritiuskirche würde sogar eine Haltestelle entfallen.
Die Stadt will mehr Fahrgäste befördern, indem sie 90-Meter-Bahnen einsetzt. Sie dagegen haben ein Konzept entwickelt, das mit den jetzigen 60-Meter-Bahnen auskommt. Wie soll das funktionieren?
Beierling-Hèmonet: Der Hemmschuh ist immer die Haltestelle. Wir wollen die problematischen Haltestellen mit den drei Linien pro Richtung versetzen, etwa am Neumarkt. Mit zwei Haltegleisen und einem Mittelbahnsteig können zwei Bahnen Richtung Westen gleichzeitig Fahrgäste aufnehmen und herauslassen. Die andere Haltestelle Richtung Osten wäre vor der Volkshochschule. Das gleiche Prinzip käme am Heumarkt zum Tragen. Wir bekommen eine 66-prozentige Steigerung auf der Linie 1 hin, durch höhere Taktung, die Herausnahme des Autoverkehrs und versetzte Haltestellen. Die Bahnen fahren auf Sicht, und wenn Fußgänger queren, verlangsamen sie. Die unterirdische Haltestelle am Heumarkt ist dagegen nicht erweiterbar auf vier Gleise.
Was spricht gegen 90 Meter lange Bahnen?
Kleine: Man braucht dafür gemäß den Vorschriften ein »Sonder-Gleisbett«. Es müssten 34 Haltestellen aufwändig verlängert und umgebaut werden! In Weiden und Junkersdorf wehren sich Bürgerinitiativen dagegen, weil enorme Bauarbeiten anstehen. Und 90 Meter sind ja auch stärker barrierewirksam, sie lassen Radfahrern und Fußgängern wenig Raum. Es käme zu unzähligen Baumfällungen. Mit unserem Konzept wäre das nicht nötig.
In Frankfurt fahren sogar 100-Meter-Bahnen.
Beierling-Hèmonet: Ja, aber auf Sonder-Fahrkörpern, abgetrennt von der Autofahrbahn, durch Schranken und Ampeln geregelt. Die Kölner Verwaltung diskutiert jetzt, 90-Meter-Bahnen auch auf den Linien 7 und 9 einzuführen. Aber wie wollen Sie auf der Zülpicher Straße einen Sonderbaukörper hinsetzen? Und in Frechen fährt die Linie 7 durch eine Fußgängerzone!
Die KVB sagt, Ihr Konzept sei nicht umsetzbar.
Kleine: Ja, es heißt, wenn die Straßenbahn so häufig fahre, störe sie die anderen Verkehrsbeteiligten. Andere Fachleute sagen aber, unser Konzept sei sehr gut umsetzbar. Zürich und Freiburg sind gute Beispiele dafür.
Die KVB musste ihren Fahrplan wegen Personalmangels ausdünnen. Scheitert eine so hohe Taktung nicht an der Realität?
Beierling-Hèmonet: Das ist eine Frage der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung und kann kein Grund sein, ein gutes Konzept zu verwerfen.
Kleine: Damit argumentiert auch die KVB nicht, weil sie wissen, dass sie in den letzten Jahrzehnten beim Aufbau ihres Personals Fehler gemacht haben.
Ihr Konzept steht im Juni aber nicht zur Entscheidung.
Kleine: Nein, es wurde abgelehnt, das als dritte Variante mit abstimmen zu lassen, mit dem Argument, es komme sechs Jahre zu spät.
Beierling-Hèmonet: Die Hauptsache ist jetzt, den Tunnel zu verhindern. Wer weiß, was noch an Diskussionen aufkommt, wie man es an der Oberfläche am besten umsetzt.
Nun hat man vier Jahre lang beide Varianten geplant. Was hat das gebracht?
Kleine: Man ist nicht schlauer geworden und die Verhältnisse im Rat haben sich auch nicht groß geändert. Im Moment haben wir die SPD im Fokus. Die wollten ursprünglich einen langen Tunnel unter dem Rhein bis nach Deutz. Aber nun hat die SPD eine sehr gute Anfrage gestellt: Ist die Stadt nicht verpflichtet, die Variante umzusetzen, die den besten Kosten-Nutzen-Faktor hat? Das wäre auf jeden Fall die oberirdische Lösung.
Im März teilte die Verwaltung mit, dass auch bei der U-Bahn der volkswirtschaftliche Nutzen größer sei als die Kosten. Auch der Tunnel kann vom Bund zu 90 Prozent gefördert werden.
Kleine: Das hat uns sehr erstaunt. Wir würden die Berechnungsgrundlage gerne einsehen, aber die Verwaltung gibt sie nicht heraus. Auch die Ratspolitiker als Entscheidungsträger bekommen sie noch nicht.
Beierling-Hèmonet: Nachlesbar ist aber, dass die Kosten für Fahrstühle und Brandschutz in die Berechnung nicht mit einfließen. Das ist aber ein horrendes Geld und muss letztlich von uns Steuerzahlern bezahlt werden!
Kleine: Die Bundesmittel beziehen sich nur auf den Betrag, für den das Projekt anfangs ausgeschrieben ist! Nicht auf die Kostensteigerungen, die bei jedem Großprojekt kommen. Bei der Nord-Süd-Bahn sind es statt 55 jetzt mindestens 550 Millionen, die die Stadt zahlen muss. Auch bei der Ost-West-Achse wird die Stadt niemals mit 10 Prozent Eigenanteil auskommen — darüber spricht nur niemand.
Ist es das Grundproblem in Köln, dass das Bahnnetz nie systematisch ausgebaut wurde?
Beierling-Hèmonet: Das Netz ist zu dünn. Düsseldorf hat ein sehr viel engeres Netz. Wir haben eine Roadmap für den Ausbau entwickelt: Mit einem neuen Ring über die Innere Kanalstraße, Anschlüssen ans Umland, damit die Leute nicht mit dem Auto kommen. Wir haben täglich 300.000 Pendler in Köln! Auch der Ausbau des S-Bahn-Verkehrs macht das System leistungsfähig für die Zukunft. All das wurde in den letzten Jahrzehnten verschlafen.
Was sagt die Politik dazu?
Kleine: »Das sind schöne Visionen, aber wer soll das bezahlen?« Na, ganz einfach: Indem man die Tunnelpläne ein- für allemal begräbt!
Beierling-Hèmonet: An der Oberfläche könnte man für die Verkehrswende viel mehr bewirken, so dass Autofahrer wirklich eine Alternative bekommen. Aber wenn man für 2,7 Kilometer Tunnel anderthalb Milliarden ausgibt, wird eine Verkehrswende in der Fläche unmöglich. Bei bundesweiten U-Bahn-Projekten gibt es im Schnitt eine Preissteigerung von 300 Prozent! Beim Tunnelbau wird es Kollateralschäden geben, die uns unsere Innenstadt kosten. Am Neumarkt wird ein Loch gebuddelt bis zur vierten Tiefebene. Das wird zwei Jahre dauern, und in der Zeit werden die Linien 3, 4, 16, 18 aus Angst vor einem Einbruch unterbrochen. Für sie werden kleine Endhaltestellen vor und hinter dem Neumarkt im Tunnel gebaut. Die Innenstadt ist jahrelang nur schwer zugänglich, insgesamt haben wir dort über zehn Jahre lang Baustelle. Das werden viele Geschäfte nicht überleben.
Link zur Petition gegen den Tunnel: verkehrswende.koeln