Die Grenze zwischen Spiel und Kampf: »Zoo Jutsu« (Orangerie, 17.5.) © Katja Illner

Hart an den Grenzen

Das Kölner Sommerblut-Festival lotet ab dem 4. Mai restriktive Verhältnisse aus — und wie wir sie überwinden können

Grenzen liegen bei jedem anders und haben das Potential, die Gesellschaft politisch aus den Angeln zu heben. »Eat the Borders« ist das Motto des diesjährigen Sommerblut-Kulturfestivals, das immer im Mai Kölner Zwischenräume bespielt, mit Kunst marginalisierte Gruppen und Themen aus der Unsichtbarkeit holt. Wo verlaufen die Linien von Überforderung, Self-Care, staatlicher Souveränität? Was ist Selbstschutz und wo beginnt Abschottung? Und was hat das mit Gendergrenzen und Zugangsbarrieren zu tun?

Das Thema »Grenzen« hat, gerade im Wahljahr 2024, große Sprengkraft. »Es geht um Fluchterfahrung — aber auch um Seh-Gewohnheiten im Theater. Wir wollen überschreiten, was üblicherweise gezeigt wird«, sagt die künstlerische Leiterin Anna-Mareen Henke im Gespräch. Über interkontinentale Grenzen ist etwa die Kölner Choreografin Stephanie Thiersch in ihrer neuesten Arbeit »Until the beginnings« gegangen, das Eröffnungsstück im Schauspiel Köln am 4. Mai: mit der Choreografin Alesandra Seutin und Tänzer*innen der École des Sables im Senegal hat sie ein energiegeladenes Tanzstück erarbeitet und befragt das Wesen der Gastfreundschaft, die bekanntlich auch Grenzen hat. Zugleich wird der Versuch gemacht, hierarchiefrei und gemeinschaftlich zu arbeiten. Im Anschluss sind die Zuschauer ins mobile Festivalzentrum eingeladen.
Grenzen, die unsichtbar verlaufen, nämlich die oftmals tabuisierten Lebenswelten von Sint:izze- und Rom:nja, zeigt am 9., 11. und 12.5. die Busfahrt »Minor Swing«. Violinist Markus Reinhardt und Regisseur Stefan Herrmann, beide selbst Sinti, leiten die Reise mit ihren Songs. Sie beginnt in Bonn und endet in Düsseldorf, führt in Universitäten , Unternehmen, schließlich in den Landtag.

Wir wollen überschreiten, was üblicherweise gezeigt wirdAnna-Mareen Henke

Grenzen im wahrsten Sinne des Wortes erfahren die Insassen der JVA Ossendorf. Seit vielen Jahren macht das Sommerblut-Festival, eingebettet in ein agiles europäisches Netzwerk, Theaterarbeit im Gefängnis — mit großen Erfolgen, was die anschließende Wiedereingliederung der Häftlinge betrifft. In »HALT« (Regie: Elisabeth Pless) kann man direkt vor Ort erleben, welche Kraft, Struktur und Gemeinschaftsgefühl entsteht, wenn 16 Häftlinge gemeinsam Theater machen, Texte schreiben, Kostüme entwerfen. Allein der Besuch in der JVA Ossendorf (Perso nicht vergessen) ist ein Erlebnis (14.,15.,18.,19. Mai).

Ein wichtiger Festivalort ist auch das Rautenstrauch-Joest-­Museum (RJM): hier findet im Theatersaal die Boxperformance und Konzertaktion »we in a box« statt. Kann man den Sport nicht auch als Kunst sehen? Oder vielmehr — Kunst und Leben als ständigen Kampf? Die nairobische Boxerin Everline Akinyi Odero schwingt am Boxsack, während Joss Turnbull sich mit ihr einen getrommelten Schlagabtausch liefert (9.5., RJM).

Natürlich geht es beim Festival auch um jene Grenzen, die der AfD gerade erschreckenden Zulauf geben: den EU-Grenzen und die Versuche, Migranten von ihrer Überquerung abzuhalten.  In der Ausstellung ON THE MOVE im Ex-Autohaus an der Oskar-Jäger-Straße, zeigen die Fotografen Abdul Saboor, Giorgio Morra und János Buck Entwicklungen der letzten Jahre auf der »Balkanroute« nach (6.-19.5., in dieser Zeit gibt es Film-Screenings, Sonderveranstaltungen, Panels).

Um Überschreitungen ganz anderer, alltäglicher Limits geht es aber auch in der intimen Interview-Installation »Muttersein« von Eva-Maria Baumeister und Sybille Dudek (»Queere Revolution«, FWT, 8.–10., 16.–17. Mai). Und welche Barrieren und Zugänge sich heute in der queeren Community zeigen, die einst so utopisch empowerend begann, thematisiert die Inszenierung »Queere Revolution«, ebenfalls im FWT. Spannend hört sich auch der als »True Crime Podcast« revitalisierte Roman »Sturmhöhen« von Emily Brontë an (Theater im Bauturm, 10.–11. & 16.–17. Mai), oder eine Befragung der »Schwanensee«-Ballett-­Klischees in unseren Köpfen.

Das Programm des Festivals ist spannend, vielfältig, politisch — und bildet dennoch nur ein kleiner Teil dessen ab, was geplant war. Denn es kündigt sich eine große Kürzungswelle der Kulturförderung an. In diesem Jahr sei es schwer gewesen wie nie zuvor, Fördergelder zu erhalten, erzählt Anna-Mareen Henke: »Die Förderlage ist dramatisch: In diesem Jahr kamen Absagen in überdurchschnittlich hoher Zahl, was uns an harte Grenzen führt. Förderbudgets werden gerade gekürzt, statt dem Bedarf angepasst.«

Termine und Tickets: sommerblut.de