Intensiver Austausch: Elshan Ghasimi, © Stefan Haehnel

Die Bubble verlassen

Das Festival »Houbara — Resonanzen Iran« feiert Verschiedenheit, ­Vielschichtigkeit und migrantische Perspektiven

Am 13. September 2022 wurde Jina Mahsa Amini von der iranischen Sittenpolizei in Teheran festgenommen. Noch am selben Tag musste sie ins Kasra Krankenhaus überführt werden und starb dort drei Tage später. Als Reaktion auf den mutmaßlich gewaltsamen Tod Aminis entstand der Massenprotest im Iran, dessen Slogan bis heute an den Frontfensterscheiben Kölner Cafés klebt: Frauen ­Leben Freiheit. Jin Jiyan Azadî.

Settingwechsel: Anfang 2023 fragt Kornelia Vossebein, Leiterin des Stadtgartens, Sophie Emilie Beha, die für ihre kuratorische ­Tätigkeit durch das NICA-Stipendium des Landes NRW unterstützt wird, ob sie nicht ein Wochenende im Stadtgarten gestalten möchte. Beha sagt zu: nach nur wenig Zeit für Vorbereitungen findet das ­Houbara Festival im März 2023 zum ersten Mal statt. Ein Festival, das sich als Reaktion auf die Proteste im Iran mit der Situation iranischer Künstlerinnen beschäftigte — ohne dem Rahmenprogramm ­einen­ ­politischen Slogan anzuheften. Denn es ist Beha ein Anliegen, das Festival nicht zu sehr aufzuladen. »Den politischen Diskurs ­können andere besser abbilden«, meint sie im Gespräch. Ihr gehe es darum, »mit der Musik einen Ort zu gestalten, wo Menschen zusammenkommen und Gemeinschaft stattfindet, auch in schwieriger Zeit«. Dieses Gemeinschaftsgefühl habe das Festival wesent­lich geprägt.

Das Festival solle Verschieden­heit abbilden und Klischees über den Iran und iranische Musik aufbrechen, erklärt Beha. Zudem solle eine Gleichzeitigkeit von ­Widersprüchlichem einfältigen Bubbles entgegengesetzt werden. Labels findt Beha »generell schwierig«, auch Musikgenres gehen schließlich ineinander über. So sollen durch das starke Programm Publikum aus der Elektroszene, Fans Neuer Musik sowie ­Interessierte Persischer Klassik angelockt werden, den Raum ­gemeinsam zu nutzen.

Das Programm soll ­Publikum aus der Elektro­szene, Fans Neuer Musik oder ­Persischer Klassik ­anlocken

Der Fokus der diesjährigen Ausgabe liege auf zeitgenössischen Formationen, dem »Hier, Jetzt und Heute«, so Beha. Neben Musiker:innen mit iranischen Wurzeln, die Genregrenzen zwischen Jazz, Neuer Musik und Persischer Klassik in Frage stellen, hat Beha Sara Yussefi Marzi, das Timcheh Kollektiv und den Kölner Diwan Verein für Deutsch-­Iranische Begegnungen eingeladen, um Festivalprogrammpunkte zu co-kuratieren. Diesen »Raum zur offenen Gestaltung« nutzt Diwan für eine Podiumsdiskussion, die fragt: »Was machen wir noch hier?!«. Laut dem Verein leben etwa 120.000 Menschen mit iranischen Wurzeln in Deutschland, ­davon fast 20.000 in und um Köln. Wie Teilhabe und Zusammenhalt gefördert und gesellschaftliche ­Debatten aus der Diaspora heraus gestaltet werden können, soll am Donnerstagabend gemeinsam ­diskutiert werden. Am Freitag präsentiert Sara Yussefi Marzi drei Kurzfilme von iranischen Filme­macher:innen und das Timcheh Kollektiv organisiert am späten Abend DJ-Sets mit Monita Wagma, aamiroo und Keikee im Jaki.

Musikalische Highlights stellen neben dem Clubabend sowieso alle sechs geplanten Konzerte dar — ­besonders der Auftritt des neugegründeten Duos Elshan Ghasimi und Philipp Püschel verspricht ein eindrucksvolles Klangerlebnis. Das Verweben von Trompete, der persischen Langhalslaute Tar und einer lyrischen Gesangsperformance des Schahnameh (»Buch der Könige«) gestaltet sich sowohl klanglich als auch emotional sehr intensiv. Am Freitag sorgt die erste Zusammenarbeit von Rondo Projects und dem Setarspieler Esmaeil Pirhadi für improvisierte Genreüberschreitungen von Minimalismus, Avantgarde und zeitgenössischem Jazz. Der Komponist und Pianist Mazyar Younesi reist für seine Performance mit Rondo Projects eigens aus Teheran an. Wäre das Festival explizit politischer, wäre dieser gemeinsame Auftritt mit einer solchen Reise nicht möglich.

Namensgeber des Festivals ist der Houbara, ein vom Aussterben bedrohter, iranischer Vogel. Der Festivalname bezieht sich auf Fariduddin Attars »Konferenz der Vögel«, einer persischen Dichtung des 12. Jahrhunderts, die die Pilger­reise tausender Vögel beschreibt — auf ihrer Suche nach dem idealen König. Am Ende der Reise bleiben nur dreißig Vögel zurück, die schließlich erkennen: sie selbst verkörpern den König. »Das Symbol des Vogels finde ich schön, weil er überall hinfliegen und jede Grenze überwinden kann«, sagt Beha. Hinzu kommt die Schönheit der Erkenntnis, alles Gesuchte schon in sich zu tragen — trotz des Anflugs von Kitsch ein schöner Ausblick. 

25., 26.4., »Houbara Resonanzen Iran«, Stadtgarten & Jaki, jeweils ab 19 Uhr