Naherholung statt Knochenarbeit: Tetraeder im Emscherpark

Ein letztes »Glück auf!«

Mit »Vom Ende eines Zeitalters« wird ein monumentaler Dokumentarfilm-Zyklus über das Ruhrgebiet abgeschlossen

»Wir sagen Tschüss! Kantine Prosper V Schacht 10, Dezember 2019« steht auf der Tafel. Und »Glück auf!«. Wir sind im Ruhrgebiet. Prosper ist eine Zeche in Bottrop, die letzte, die in der Region noch lief. Jetzt schließt auch die Kantine — und die ehemaligen Kumpel sind in überwältigender Zahl gekommen, um sich von den »Mädels« hinter der Theke (in den blauweißen Kittelblusen stecken zwei gestandene Frauen) zu verabschieden. Sie werden mit Umarmungen, guten Wünschen (»Bleib so, wie du bist!«) und Rosen überschüttet. »Ich glaub das hier alles nicht«, sagt die eine. Dann fließen bei einer langen Umarmung Tränen. Im Hintergrund stimmt ein Kollege das unvermeidliche Steigerlied auf der Mundharmonika an.

Im Herbst 1978 hatten Christoph Hübner und Gabriele Voss im kollektiven Rahmen des RuhrFilmZentrums mit ihrer dokumentarischen Chronik einer Wohnsiedlung von Prosper in Bottrop-Ebel begonnen. Fünf Filme entstanden in drei Jahren Arbeit und enger Abstimmung mit den Bewohner*innen vor Ort. Als das Filmteam zwanzig Jahre später für eine Fortsetzung zurückkam, waren von den einst über 173 Zechen der Region schon weit über hundert dicht. Dann kam der Beschluss zum endgültigen Ausstieg aus der heimischen Steinkohle. Und als Prosper seine Tore für immer schließt, sind Hübner und Voss wieder mit der Kamera dabei, um den »Rückbau« der Anlagen und die Entwicklung vor Ort zu dokumentieren.

»Das Ende eines Zeitalters« ist der Film, der aus dieser Arbeit entstand und die Serie zu Prosper/Ebel (zumindest vorerst) abschließt. Dabei greift die Montage von Gabriele Voss auch immer wieder einzelne Episoden und Akteure der vorherigen Filme auf und rekapituliert im Schnelldurchgang die Geschichte der nach dem herzöglichen Grundherrn benannten Zeche in Emschernähe seit der Abteufung 1856 bis zum Ende. Da werden mit dem Förderkorb die letzten faszinierend urtümlich aussehenden Maschinenteile aus dem Schacht geholt und dieser selbst unter Hi-Tech-Kontrolle mit Beton verfüllt. Dann werden Teile der Industrieanlagen dauerhaft musealisiert, andere (nach der schon seit einigen Jahrzehnten aufwändig ökologisch sanierten Emscher) wieder »der Natur zurückgeben« — wie es ein für die Planungen Verantwortlicher nennt. Aus Teilen des ehemaligen Klärwerks und dem Flußlauf entstehen weitere Erholungsflächen neben dem 1995 eröffneten Emscherpark mit Tetraeder und Haldenfernblick.

Während in ehemaligen Werksteilen kommerzielle Freizeitangebote wie Indoor-Skihalle und Grusellabyrinth entstanden sind, ist der traditionelle Sportplatz des Fußballvereins VFR Ebel in Gefahr. Und mit der sozialen Aufwertung der einst als »Tal der fliegenden Messer« stigmatisierten Siedlung ist auch ein Großteil des ehemaligen Gemeinschaftslebens bunkerartigen Einfamilienhäusern gewichen, statt den Gemüsebeeten der Siedlungsgärten wachsen Beton, sterile Schottergärten und Carports.

Falsche Industrie-Romantik kommt nicht auf, wenn ­Kumpels von den vielen Toten durch Unfälle und Staublunge berichten

»Ja, da geht einiges zu Ende«, sagt einer der Ex-Bergleute trocken. Falsche Industrie-Romantik kommt aber nicht auf, wenn andere Kumpels von den vielen Toten durch Unfälle und Staublunge berichten, die Knochenarbeit am Pressluft-Hammer unter Tage hat Gelenke und Nervenbahnen zerstört. »38 Jahre gearbeitet, nicht im Büro, sondern in Steinstaub, Lärm und Hitze. Reicht doch?«, sagt einer. Und ein junger Mann im Fenster eines Hauses meint, er sei den von ihm avisierten Aufstieg ins Management seinen Eltern und Großeltern schuldig, die aus der Türkei ins Revier gekommen waren und sich dort für die Zukunft ihrer Kinder krank gearbeitet hatten.

Die Spannbreite an Ambivalenzen des sogenannten »Strukturwandels« mit dem unwiederbringlich scheinenden Verlust an Gemeinschaft hält »Vom Ende eines Zeitalters« kommentarlos in Beobachtungen und Begegnungen fest. So werden im spezifisch regionalen Kontext exemplarisch verdichtet auch die sozialen Brüche und Zerreißproben spürbar, die nach dem Ende des fossilen Zeitalters auf die ganze Breite unserer Gesellschaft zukommen dürften. Dass dabei dringend nötige neue Formen von Vernetzung und Kollektivität im Film kaum zu sehen sind, liegt nicht am Unvermögen von Hübner und Voss. Aber vielleicht wäre es eine gute Idee, in ein paar Jahren noch einmal in Ebel vorbei zu schauen. 

Alle restlichen Filme des wegen seiner historischen Bedeutung in das Nationale Filmerbe aufgenommenen Projekts »Prosper/Ebel. Chronik einer Zeche und ihrer Siedlung (1979–1998)« gibt es als DVD für € 29,90 beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe.