Sterben
Eine deutsche Familiengeschichte in fünf Kapiteln und einem Epilog. Matriarchin Lissy Lunies (Corinna Harfouch) ist überfordert von der Pflege ihres dementen Mannes Gerd (Hans-Uwe Bauer), der immer öfter nackt durchs Haus irrt. Gegen die Krankenkasse kämpft sie erfolglos um eine Erhöhung des Pflegesatzes, dabei ist sie selbst schwer krank. Und ihr Sohn Tom, den sie am Telefon um Hilfe bittet, hat keine Zeit.
Schnitt, Sprung zurück. Tom (Lars Eidinger) ist Dirigent in Berlin, wo er gerade mit dem Orchester eine Komposition seines depressiven Freundes Bernhard (Robert Gwisdek) einstudiert.
Der Titel: »Sterben«. Seine Ex Liv (Anna Bederke) erwartet ein Kind, nicht von ihm, aber weil der biologische Vater nichts taugt, springt Tom ein. Und just als die Wehen einsetzen, ruft seine Mutter an. Schnitt, Sprung zurück. Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) hat den Kontakt zur Familie ganz abgebrochen und ertränkt ihre Wunden in Alkohol und Sex, derzeit in einer Affäre mit dem ebenfalls suchtgefährdeten Zahnarzt Sebastian (Ronald Zehrfeld). Der will die Geschwister versöhnen, just bei der »Sterben«-Premiere.
Zwölf Jahre hat sich Matthias Glasner Zeit gelassen seit seinem letzten Kinofilm »Gnade«. »Sterben« ist nun ein Befreiungsschlag — von der eigenen Biografie. Die seziert er in seinem Dreistundendrama bis in die Details, soweit, dass auf dem Plakat zum Film »Hans-Uwe Bauer als mein Vater« steht. Herausgekommen ist keine Nabelschau, sondern eine schonungslos ehrliche Auseinandersetzung mit bürgerlichen Verhältnissen. Multiperspektivisch erzählt er von einer dysfunktionalen Familie, in der jede*r auf eigene Weise versucht, mit Schmerz, Abweisung und Verletzungen umzugehen.
Nach der Beerdigung des Vaters sitzen Mutter und Sohn beim Kaffee und zerfleischen sich in einem 20-minütigen schonungslosen Dialog, den man so schnell nicht vergisst. Keine Frage: »Sterben« ist sperrig und herausfordernd in seinem Anspruch auf radikale Authentizität, aber auch sehr vielschichtig und reich an unterschiedlichen Tonlagen, von tiefstem Schmerz bis zu selbstbewusster und entwaffnender Komik, die das fantastische Ensemble spielend beherrscht. Glasners Epos wurde auf der Berlinale mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet und geht nun mit neun Nominierungen als Favorit ins Rennen um den Deutschen Filmpreis.
D 2024, R: Matthias Glasner, D: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, 180 Min. Start: 25.4.