Die Lücke, die noch nicht gefüllt ist
Tim, was deine Arbeit von anderen digital oder computergestützt arbeitenden Künstler*innen unterscheidet, ist die Maxime: Es ist immer wichtig, dass am Ende ein Bild entsteht. Es geht nicht nur um den Prozess, das Experimentieren mit digitalen Techniken, sondern um das, was dabei entsteht. Was ist für die Düsseldorfer Ausstellung »Neue Alte Welt« entstanden? Was erwartet die Besucher*innen dort?
Die Rahmenerzählung der Ausstellung ist eine Auseinandersetzung mit Urzeithöhlen. Das hat mich dazu geführt, darüber nachzudenken, ob nicht all das, was wir durch die wachsende Digitalität gerade erleben, eine Anheimmachung eines neuen Lebens- und Denkraumes ist — und dass dieser Raum eine Topografie hat, die man sich, ähnlich wie in Höhlen, erarbeiten muss. Ich glaube, dass wir gerade ganz am Anfang einer Entwicklung stehen, und die einzige Beschränkung, die wir haben, ist nicht der Computer und seine Möglichkeiten, sondern unser Denkapparat. Es geht mir darum, zu zeigen, wie sehr sich das Denken durch die Verschränkung mit dem Computer verändert hat, um an der Schnittstelle analog-digital zu neuen Bildphänomenen zu kommen. Dafür habe ich Bilder von 2002 bis heute versammelt.
Rückblickend: Was hat sich in deiner Arbeit am meisten verändert?
Am meisten hat sich die Form des Nachdenkens und des Materialgebens verändert. Ich habe immer mit Material aus der analogen Welt gearbeitet und es zum Beispiel meinen digitalen Avataren »angezogen«, wie Kleidung. In den letzten Jahren habe ich verstärkt mit anderen Menschen und deren Material gearbeitet, mit Kindern zum Beispiel, die gezeichnet haben, dann hat ein Pilot diese gezeichneten Linien in den Himmel geflogen und das ist als Datensatz in meine Bilder eingeflossen. Wer ist hier der Hauptact, was ist das Kunstwerk? Das sind Themen, die ich 2004 und auch 2011 noch nicht denken konnte. Meine Bilder sind ab einem Punkt ohne Menschen, ohne Erinnerung an die analoge Welt nicht denkbar.
Es geht mir darum, zu zeigen, wie sehr sich das Denken durch die Verschränkung mit dem Computer verändert hat, um zu neuen Bildphänomenen zu kommenTim Berresheim
In deinem neuen Zyklus »Fundleere Schicht« beschreibst du das Aufeinandertreffen von analoger und digitaler Kunst als eine Lücke, die noch nicht gefüllt ist. Ist das dieser Moment, den du da ansprichst?
Der Begriff stammt aus der Paläontologie. Er beschreibt die Zeit, in der zwei aufeinander treffende Epochen keine gemeinsamen Artefakte hinterlassen. Mir kommt es so vor, als wären wir in der Kunst gerade an so einem Punkt. Die Kunst ist entweder exklusiv analog oder digital. Aber dieses Ding dazwischen ist noch eine fundleere Schicht oder zumindest fast. Da muss man schon ordentlich buddeln und das ganz feine Sieb rausholen. Ich interessiere mich seit 25 Jahren dafür, in dieser Schicht Spuren zu hinterlassen.
Eigentlich sehr naheliegend, wo wir doch, salopp gesagt, genau an dem Punkt zwischen der analogen und der digitalen Welt leben.
Ja, aber die Verheißung der Technologie ist wahnsinnig mächtig. Als der Faustkeil erfunden wurde, haben die Menschen damals vielleicht versucht, jedes Problem damit zu lösen. So ist das heute auch: Alles muss technisch gelöst werden.
In einem früheren Gespräch sagtest du: »Der Computer ist ein Buddy auf Augenhöhe. Er ist nicht Big Brother, nicht das Internet und nicht die Abgabe der Privatsphäre. Er ist ein Tool, und wir brauchen einen Perspektivwechsel, um ein Arbeitsfeld gemeinsam mit diesem Tool zu entwickeln und nicht gleich Angst zu haben, davon überholt zu werden.« Wie nimmst du den Leuten die Angst, gerade heute, wo Künstliche Intelligenz (KI) in alle Bereiche unseres Lebens eindringt und viele von uns das eher als Bedrohung denn als Chance wahrnehmen?
Ich sehe das Bild als versöhnliche Ebene. Dieses Digitale ist eine zusammenhängende Höhle, die wir uns anheim machen müssen. Es sind nicht sich gegenseitig ersetzende Systeme, also das Internet als das eine System und dann kommt KI und ersetzt das Internet. Ich glaube, dass die Höhle groß ist: Wir halten die Taschenlampe an verschiedene Stellen und dann sehen wir auch KI und andere Orte. Ob die lebenswert oder gefährlich sind, wissen wir jetzt noch nicht.
Als wir 2018 anlässlich einer Ausstellung über deine Arbeiten sprachen, war Virtual Reality (VR) das große Ding in der Kunst. Wo stehen wir aktuell, was interessiert dich heute, was kommt als nächstes?
Ich glaube, mit der Brille von Apple, der Vision Pro, die jetzt nach Deutschland kommt, können wir tolle Sachen erzählen. Zusätzlich, nicht als Ersatz für andere Techniken. VR interessiert mich gar nicht: Die Kunst lebt davon, dass wir denselben Blickwinkel auf die eine Sache haben und uns darüber unterhalten können.
2006 hat die Stadtrevue dich zum ersten Mal interviewt, zusammen mit zwei weiteren jungen aufstrebenden Künstler*innen. Du hast in Köln den Projektraum Brotherslasher betrieben, ein Satz von dir lautete damals: »Am Anfang eines Künstlerdaseins muss man lernen, sich selber zu motivieren, und jeden Tag vor einer Leinwand zu sitzen war damals noch kompliziert, da sitzt man lieber mal vor einem Poster, einem Plattencover, der Homepage …« Was motiviert dich heute?
Ich meinte damals, aus dem subkulturellen Punk kommend, den Aspekt des DIY — des Do It Yourself. »Was kann ich selber machen?« Das hat sich natürlich in den 20 Jahren verändert. Ich kann jetzt 3-D-drucken, laserscannen und solche Sachen. Es ging mir eher um den Ansatz des DIY, ohne gleich in den heiligen Tempel der Kunst zu müssen. Jetzt lerne ich, das immer mehr zu verschränken, weil ich ein anderes Interesse daran habe.
Tim Berresheim, »Neue Alte Welt«, NRW-Forum, Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf bis 26.5., Di–So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr
Tim Berresheim, 1975 in Heinsberg geboren, ist Künstler und vieles mehr: Musiker, Label- und Projektraumbetreiber. 1999 beginnt er ein Studium an der HBK Braunschweig, 2002 wechselt er an die Akademie in Düsseldorf, die er schon bald wieder verlässt. Stattdessen widmet er sich computergestützten Kunst, eröffnet erst den Projektraum »Brotherslasher«, dann »FYW« (beide in Köln). Seit über zwanzig Jahren entsteht seine Kunst da, wo analoge und digitale Welten aufeinandertreffen. Er hat lange Jahre in Köln gelebt und gearbeitet.