Unruhige Existenz: Herr Geiser und seine Dämonen © Oliver Stroemer

Krone der Schöpfung

Ronny Miersch inszeniert »Der Mensch erscheint im Holozän« als existenzielles Selbstgespräch mit Chor

Ein alter Mann auf einem Stuhl, draußen starker Regen. Seine Welt hat sich verengt. Das kommt vom Alter. Hat er die Welt je verstanden, die Menschen wie ihn hervorgebracht hat? Wir finden ihn senil inmitten letzter Anläufe vor, sich das Leben zu erobern. Zu verstehen. Die Zeit läuft ihm davon, der körperliche Verfall mit einer schleichenden Demenz ist nicht mehr aufzuhalten. Wir befinden uns in einem Tessiner Bergdorf.

Regisseur Ronny Miersch liefert mit Hauptdarsteller Thomas Balou Martin eine kompromisslose Bühnenfassung eines wenig gefälligen Werkes ab. In der späten philosophischen Erzählung von 1979 wurde Max Frisch experimentell. Herr Geiser ist gewiss kein klassischer Protagonist. Er weiß gar nicht, was er eigentlich sucht, braucht, will. Es sind wir, die etwas von uns in ihm wiedererkennen in seinem faustischen Streben nach Wissen, einem Wunsch nach Gewissheit, der für die meisten unerreichbar ist. Spät im Leben, von körperlichem Verfall gezeichnet, wird es zu einer Frage des Seelenfriedens.

Wo Frisch collagenhaft die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die Geiser zusammenträgt und an die Wände heftet, per Faksimile und Zitat in den Textkörper einbezogen hat, gibt es im Kellertheater nur die schwarz verhangene Bühne. Ein surreal tanzender Chor aus Schauspielstudentinnen repräsentiert in wechselnden ­Rollen Geisers soziales (und tierisches) Umfeld, gefiltert durch sein Erleben. Anders als er, der einst hinzugezogen ist, scheinen die angestammten Bewohner der Berge ihren Frieden mit den Naturgewalten gemacht zu haben, die jetzt in Form eines Dauerregens, der für Stromausfall sorgt und Sturzbäche erzeugt, das Hier und Jetzt von Geisers sinnlich gesteigerter, un­ruhiger Existenz ausmachen.

Vielleicht erklärt das seinen gefährlichen Fluchtversuch gen Basel: dass er hier nicht ganz zuhause ist. Der Halt, den ihm seine in Erinnerungen lebendig werdende, verstorbene Frau geboten haben mag, fehlt ihm gerade jetzt. Die Wissenschaft bleibt dem ­fragenden modernen Menschen letzte Antworten schuldig.
Was Frisch, der grandiose Fragensteller, mit seiner indirekten Erzählweise versucht hat, verliert in Fleisch gewordener Form etwas von seiner Faszination. Gewonnen wird die Körperlichkeit des Lebensabends. Auch als zerfasertes Selbstgespräch bleibt es eine psychologische Momentaufnahme und eine Reflektion über das menschliche Dasein in einer immer weniger verstandenen Natur.