Die stille Radikale
Mitglieder der deutschsprachigen Lyrikszene sind sich selten über irgendetwas einig, mit Ausnahme von zweierlei: Zum einen sollten die Menschen mehr Gedichte lesen und zum anderen am besten mit denen Elke Erbs anfangen. Die im Januar dieses Jahres verstorbene Schriftstellerin schlug wie keine andere Brücken zwischen verschiedenen Poetologien und Perspektiven. Geboren wurde sie im Jahr 1938 in der Eifel, der Vater holte die Familie aber bald in die neugegründete DDR.
Mit ihrem Umzug nach Berlin in den 60er Jahren intensivierte Erb ihre literarische Beschäftigung und wurde bald zu einer der zentralen Figuren der Ostberliner Avantgarde. Neben Übersetzungen aus vor allem dem Russischen veröffentlichte sie ab den 70er Jahren zahlreiche Bände
mit Prosa und Lyrik, die ganze Generationen prägen sollten. Ihr Gedichtband »Kastanienallee« gehört zu den wichtigsten Lyrik-Veröffentlichungen der späten 80er Jahre und wies sie als stille Radikale aus: Erb verblendete, nie laut und konfrontativ, immer aber mit Nachdruck, präzise Alltagsbeobachtungen mit konzisen lyrischen Reflexionen und hebelte so die Grenzen zwischen Literatur und Leben aus.
Nachdem sie wegen ihrer Nähe zur Friedensbewegung unter Beobachtung der Stasi stand, blieb Erb eine Widersacherin. Obwohl sie nach der Wende mit so ziemlich jeder wichtigen Literaturauszeichnung wie zuletzt im Jahr 2020 mit dem Georg-Büchner-Preis bedacht wurde, veröffentlichte sie lieber in kleinen Verlagen statt bei großen Häusern und setzte sich für die Förderung von Kultur im Allgemeinen und neuen Stimmen im Speziellen ein.
Im Rahmen der dritten Ausgabe von »Anderland«, dem Kölner Fest der Poesie, werden zwei dieser Stimmen am ersten der beiden Abende in der Zentralbibliothek in das Vermächtnis Erbs einführen. Steffen Popp und Monika Rinck gehören zu den von Erb protegierten Autor:innen und haben für die Suhrkamp-Anthologie »Das ist hier der Fall« Gedichte aus mehr als vier Jahrzehnten zusammengestellt. Im Gespräch miteinander und mit einer Lesung von Erbs Texten werden sie in das Werk einer Schriftstellerin einführen, die immer beides zugleich war: nahbar und innovativ, eigensinnig und einladend. Wer also gerne mehr Gedichte lesen würde, wird an diesem »Abend für Elke Erb« den perfekten Einstieg dazu finden.