Mehr Kunstbanausen in die Küchen!

Wie der Wille zur originellen Gestaltung den ­Genuss mindert

Das Phänomen ist in allen gastronomischen Sparten verbreitet: die Unessbarkeit — nicht, weil die Zubereitung mangelhaft wäre, sondern deren Präsentation. Nehmen wir den Hamburger: Das einst handliche Bulettenbrötchen wird heutzutage immer höher und instabiler, sein Verzehr ist ein einziges Schlabbern, Matschen, Schlingen — was freilich niemanden stört in diesem Land, dem der Genuss, die Verfeinerung und die Tischkultur stets verdächtig erscheinen und wo man das Hemdsärmelige und die Lässigkeit als das Ehrliche und Unverfälschte preist. Wer hierzulande die Herzen der Menschen gewinnen will, zeigt sich am Imbissstand, nicht im guten ­Restaurant. Hauptsache, satt.

Doch auch in den besseren Restaurants ist die Unessbarkeit verbreitet. Nur liegt der Fall hier etwas anders. Sie resultiert nicht wie beim Fastfood aus der kumpelhaften Aufforderung zum Gematsche, sondern aus völlig fehlgeleitetem ­Gestaltungswillen: Die Präsentation soll einem Kunstwerk gleichen. Dann werden Türmchen auf die Teller gesetzt und die aromatischen Komponenten mehr dekorativ als sinnvoll platziert. Wenn Gäste dann kundtun, das sei zu schön, um es zu essen, wird dies als Kompliment aufgefasst. Dafür nimmt man in vielen Küchen in Kauf, dass sich die kulinarische Konzeption überhaupt nicht mehr vermittelt: Wie soll der Gast die Aufbauten zerlegen? Was soll er tun mit all den Saucentupfern? Wie die aromatischen Accessoires kombinieren? Erst wenn der Gast in Ehrfurcht und Ratlosigkeit erstarrt, so scheint’s, ist die Küche auf Niveau.

Doch Essen sollte essbar sein, unsere Aufmerksamkeit auf den Geschmack lenken, nicht darauf, wie es zu verzehren sei. Das hieße, Gerichte so zu arrangieren, dass sich die kulinarische Idee, die Dramaturgie und das Zusammenspiel der Aromen und Texturen, geradezu zwangsläufig vermittelt. Der ­Kulinarik-Theoretiker Jürgen Dollase hat vor Jahren in diesem Sinne Löffel-Gerichte entwickelt — und wurde prompt dafür verspottet. Auch das ist typisch für ein Land, dem das Nachdenken über Kulinarik fremd ist und wo das Bekenntnis zu Milieus — ob Hipster, Foodie, Schnösel oder Schnäppchen­jäger — wichtiger ist als Genuss.