»Wir gehen bis vors Bundesverfassungsgericht«: Claus-Ulrich Prölß

»Diskriminierendes Verwaltungsmonster«

Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat will mit anderen Initiativen die Bezahlkarte für Geflüchtete verhindern

Herr Prölß, Sie haben mit anderen Initiativen die Kampagne »Selbstbestimmung statt Bezahlkarte« gestartet. Die Höhe der Leistungen bleibt gleich: Was spricht denn gegen die Karte?

Die von der Bundesregierung genannten Ziele sind alle restriktiv: Das Schlepperwesen soll angeblich bekämpft, Überweisungen an Familienangehörige verhindert werden. Die Geflüchteten sollen nur noch eine Art Mini-Taschengeld abheben können, der Rest bleibt auf der Karte. Die zuständigen Sozialbehörden sollen entscheiden können, in welchen Geschäften eingekauft werden darf, teilweise auch, was nicht, etwa Alkohol. Mit der Bezahlkarte können Geflüchtete ihre Anwälte nicht mehr bezahlen oder ihre Kinder beim Klassenausflug keine Pommes essen. Damit möchte man Menschen diskriminieren und abschrecken! Die Politik setzt zunehmend auf solche Push-Effekte: Zuletzt wurde das Gesetz so ge­ändert, dass die Menschen 36 statt 18 Monate den stark abgesenkten Sozialhilfebetrag bekommen.

Bislang gibt es in Köln keine Mehrheit dafür.

Derzeit dürfen die Kom­munen entscheiden, ob sie die Karte einführen. Im Rat der Stadt gab es schon politische Vorstöße, die auf die Einführung abzielen und mehr Tempo bei der Umsetzung vom Land fordern. Der ursprüngliche Antrag stammt von der AfD, im März brachte die FDP quasi den gleichen Antrag ein, der dann durch einen CDU-Antrag ersetzt wurde. Zum Glück wurden die Anträge bislang abgelehnt.

Ministerpräsident Wüst wünscht sich eine flächendeckende Einführung, auch die zuständige grüne Ministerin Paul betont die Vorteile. Damit steigt der Druck auf die Kommunen. Was können Sie ausrichten?

Zur Not gehen wir bis vors Bundesverfassungsgericht. Bislang sind konkrete Rahmenbedingungen, etwa die Höhe der Bargeldauszahlung, in NRW noch nicht festgelegt, das wird gerade ausgehandelt. Es gibt klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Existenzsicherung, die etwa in Hamburg — dort dürfen Erwachsene 50 Euro Bargeld pro Monat abheben — nicht erfüllt werden. Das ist aus unserer Sicht verfassungswidrig. Dort werden bald Klagen kommen.

Werden denn größere Summen ins Ausland geschickt?

Asylsuchende in Aufnahmeeinrichtungen bekommen 204 Euro pro Monat in bar. Wieviel soll man davon nach Hause schicken? Die These ist völlig haltlos. Laut Deutscher Bundesbank wurden im vergangenen Jahr 6,8 Milliarden Euro ins Ausland überwiesen, allerdings gingen 5 Milliarden in EU-Länder. Nach Syrien, Irak oder Afghanistan wurde nur ein Bruchteil überwiesen. Laut Migrationsforschern handelt es sich dabei um Menschen, die eine Arbeit haben und einen Teil ihres Lohns in ihre Heimat schicken. Derartige Überweisungen werden vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit als Form der Entwicklungshilfe gesehen. Migrationsforscher haben zudem deutlich gemacht, dass durch Überweisungen in Heimatländer weitere Migrationen und damit tödliche Wege übers Mittelmeer eingedämmt werden. Das Argument der Schlepperbekämpfung ist genauso lebensfremd. Man steigt ja nicht in Libyen ins Boot und sagt: »Ich überweise später, wenn ich in Deutschland bin.« Die Schlepper wollen ihr Geld sofort.

In den 90er Jahren wurden Lebensmittelgutscheine für Geflüchtete eingeführt, mit ähnlicher Zielsetzung.

Die Leute liefen mit ihren Wertgutscheinen von Supermarkt zu Supermarkt oder mussten sich ihre Einkäufe abstempeln lassen. Man hat schnell festgestellt: Das ist viel zu aufwändig und teuer; die Bargeldausgabe ist das effektivste und billigste. Wir vollziehen einen Rückschritt in die 90er Jahre.

Es heißt, die Bezahlkarte soll den Verwaltungsaufwand verringern.

Die Bezahlkarte ist ein diskriminierendes Verwaltungsmonster. Der zuständige Dezernent in Leverkusen ist gegen die Bezahlkarte, mit der Begründung, dass sehr viele Geflüchtete ein Bankkonto haben. Es sei viel zu viel Aufwand für die wenigen, die keines besitzen.

Also ist die Karte reine Symbolpolitik?

Alle Argumente für die Bezahlkarte greifen nicht. Stattdessen bedient man die Interessen rechter Gruppen und verschärft Gesetze, um die Lebensbedingungen von Menschen bewusst zu verschlechtern. Auch dies erinnert an die 80er und 90er Jahre, als Häuser brannten.

Sie haben an Land und Stadt appelliert. Hat Oberbürgermeisterin Henriette Reker schon geantwortet?

Ich glaube, dass auch die Oberbürgermeisterin eine restriktive Bezahlkarte ablehnen wird. Sie einzuführen, kann sich niemand leisten, der sagt: »Wir wollen die Integration verbessern, wir wollen, dass keine Flüchtlingskinder ausgegrenzt werden in dieser Stadt.« 

www.openpetition.de/petition/online/selbstbestimmung-statt-bezahlkarte#petition-main