Kein neues Fass aufgemacht
Als die Hohe Domkirche im Januar verkündete, dass sie aus dem Projekt Historische Mitte aussteigen wird, dürften im Rathaus etliche Seufzer der Erleichterung zu hören gewesen sein. Diese Entscheidung mag viele Fragen aufgeworfen haben. Doch nach sieben Jahren Planung konnten die Ratsmitglieder zunächst froh sein, dass sie das Prestigeprojekt nicht selbst abblasen mussten. Zuvor hatte bereits Oberbürgermeisterin Henriette Reker infrage gestellt, ob sie das Bauvorhaben überhaupt weiter unterstützen werde. »Was man will und was man kann, sind zwei Paar Schuhe«, hatte sie mit Verweis auf die zunehmend angespannte Haushaltslage gesagt.
Die Historische Mitte stand zu diesem Zeitpunkt bereits auf einer Liste, mit der Politik und Verwaltung alle Großprojekte neu bewerten wollten. Dem kam die Hohe Domkirche zuvor, jene Körperschaft, die formell Eigentümerin des Doms ist und von Kirchenpersonal geführt wird. Sie war mit 20 Prozent der Kosten an der Historischen Mitte beteiligt. Diese wurden anfangs auf insgesamt 135 Mio. Euro geschätzt und stiegen auf zuletzt 207 Mio. Euro. Zu viel, urteilten die Kirchenleute, und verkündeten den Ausstieg.
»Die Entscheidung hat die Hohe Domkirche unabhängig von der gesellschaftlichen und politischen Diskussion zum Projekt getroffen«, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Das aktuelle Projekt nicht weiterzuführen, sei eine wirtschaftliche »Vernunftsentscheidung«, so lässt sich der Domprobst, Monsignore Guido Assmann, zitieren. Zugleich aber sei es ein Entschluss, der unglaublich schmerze. Die Idee einer Historischen Mitte sei eine »einmalige und historische Gelegenheit, die Zukunft des Domumfelds zu prägen, indem an diesem Ort historische Wurzeln zusammengebracht werden«.
Damit ist das Projekt bis auf Weiteres vom Tisch. Er werde sich seinen Entwurf für die Historische Mitte an die Wand hängen, sagte Architekt Volker Staab in einem Zeitungsinterview nach der Entscheidung. Sein Büro hatte den Wettbewerb 2016 gewonnen, zwei Jahre, nachdem der damalige Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) die Idee populär gemacht hatte. Zwei Neubauten sollten dem Roncalliplatz ein neues Gesicht geben. Kölnisches Stadtmuseum, Kurienhaus der Kirche sowie Büros für das angrenzende Römisch-Germanische Museum (RGM) hätten in ihnen unterkommen sollen. Gleichzeitig wollte Architekt Staab den Rand der Domplatte »neu definieren«: Ein kleiner Vorplatz zwischen RGM und den Neubauten sollte entstehen, Treppen und ein Aufzug den Höhenunterschied zum Kurt-Hackenberg-Platz und zur Philharmonie überbrücken. Stattdessen erwarten Köln-Besucher nun wie bisher ein Parkplatz und die lieblos zusammengepuzzelten Steine der römischen Hafenstraße zwischen den in die Jahre gekommenen Bestandsgebäuden.
Dabei hatten alle auf eine positive Ausstrahlung für die gesamte City gehofft. Das Stadtmuseum hätte mit dem RGM den Auftakt zur Via culturalis bilden sollen, ein Label, unter dem sich die Kulturinstitutionen entlang der Achse Unter Goldschmied, Quatermarkt und Kleine Sandkaul eines Tages zu einem Kulturquartier verbinden sollen. Die Historische Mitte sollte so mit dem Jüdischen Museum, dem Wallraf-Richartz-Museum und vielen Zeugnissen aus 2000 Jahren Stadtgeschichte als Gegengewicht zum Kommerz auf der Hohe Straße und Sauf-Tourismus in der Altstadt wirken.
An Erwartungen fehlte es also nicht. An Kritik aber ebenso wenig. Zu teuer, zu aufwändig für eine Stadtverwaltung, die mit anderen Projekten genug zu tun habe: auf diesen Standpunkt stellte sich früh die FDP-Fraktion im Rat. »Wir müssen uns auf die begonnen Kulturbaustellen Bühnen, MiQua und den Anbau fürs Wallraf-Richartz-Museum konzentrieren und diese fertigstellen«, meinte FDP-Ratsmitglied Ralph Sterck etwa im August 2022, als die Stadtverwaltung die Liste der zu prüfenden Großvorhaben ankündigte. Mit der Historischen Mitte »ein neues Fass aufzumachen«, überfordere die Stadt in jeder Beziehung.
Nach sieben Jahren Planung konnten die Ratsmitglieder froh sein, dass sie das Prestigeprojekt nicht selbst abblasen mussten
Die Linke sprach sich ebenfalls gegen das Projekt aus. Die nötigen Ressourcen ließen sich effektiver verwenden, um das Kulturangebot stadtweit zu stärken, hieß es. Uneingeschränkte Unterstützung kam zuletzt nur noch von der CDU.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Alle Beteiligten warnen vor jahrelangem Stillstand. Weder Stadtverwaltung noch Kirche wollen sich konkret äußern. »Die Verwaltung plant nach wie vor, den Standort am Dom für die Kultur zu nutzen. Die Gespräche mit der Hohen Domkirche hierzu sind noch nicht abgeschlossen«, teilt die Stadt Köln auf Anfrage mit. Die Politik berät derweil über die Prioritätenliste der Großprojekte. Zu erwarten ist, dass die Historische Mitte zunächst weit nach hinten rutscht.
Das Kölnische Stadtmuseum könnte zurück in das Zeughaus aus dem 17. Jahrhundert ziehen, das wegen eines Wasserschadens 2017 geräumt werden musste. OB Henriette Reker spricht sich inzwischen für die Sanierung aus. Mehr als 90 Mio. Euro würde das kosten, nach den jüngsten Schätzungen. Die Hoffnungen ruhen auf provisorischen Lösungen, die eine rasche Nutzung ermöglichen. Momentan ist die erste Ausstellung des Museums seit dem Auszug in einem ehemaligen Modehaus zu sehen, das als Interim hergerichtet wurde, auf Dauer aber zu klein ist.
Eine Idee, die daran anknüpft, bringt SPD-Politikerin Maria Helmis-Arend ins Spiel. »Wir sollten diese Zäsur nutzen und das Stadtmuseum in den Stadtraum öffnen«, sagt sie. Dezentrale Ausstellungen, Führungen und Veranstaltungen auf mehrere Orte verteilt: In anderen Städten seien solche innovativen Konzepte sehr erfolgreich. Es sei auch im Sinne der Nachhaltigkeit, die Zukunft von Museen nicht allein an ihren Gebäuden festzumachen.
Wie der Roncalliplatz künftig aussehen wird und was mit den sanierungsbedürftigen Bestandsgebäuden neben dem RGM geschehen wird, ist nicht abzusehen. Fest steht, dass der Durchgang zwischen Heinrich-Böll-Platz und Domplatte durch das RGM geschlossen wird, weil im Zuge der Generalsanierung stattdessen das Foyer erweitert wird. 2028 soll diese abgeschlossen sein. So lauten zumindest die derzeitigen Planungen.