Durch Teheran im Drogen-Taxi
Für wen werden Filme gemacht? Haben Filmemacher ein bestimmtes Publikum im Auge und wenn ja, wie bestimmt das den Inhalt ihrer Filme? Nimmt man die diesjährige Ausgabe von Visions of Iran, dann kann man dort Filme von iranischen Filmemachern sehen, die meist im Iran gedreht wurden, vom Iran erzählen, aber oftmals nie offiziell im Land zu sehen sein werden.
Das gilt selbst und gerade auch für einen Film wie »Critical Zone«, der im vergangenen Jahr in Locarno mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, einem der wichtigsten Preise der internationalen Filmwelt. Dass dieser Film die iranische Zensur nicht passiert hat, kann nicht überraschen, denn Regisseur Ali Ahmadzadeh zeigt in seinem Debütfilm all das, was es im Iran offiziell nicht gibt, nicht geben darf: Drogen, Erotik, Sex, Exzess. Größtenteils in einem Teheraner Drogen-Taxi — ja, so etwas gibt es — spielt der Film und zeigt den Dealer Amir bei der Arbeit. Durch die Nacht fährt dieser zunehmend verstrahlt wirkende Mann, raucht viel von seinem eigenen Stoff, liefert Heroin, Opium und Pillen an seine Kunden, geleitet vom Navigationssystem, das ihn vor Polizeikontrollen und Blitzern warnt.
Dem Druck, seinen Film vom Festival in Locarno zurückzuziehen, hielt Ahmadzadeh stand und darf nun sein Land nicht mehr verlassen. Sein Film dürfte dennoch als Raubkopie kursieren, daran hat sich im Iran auch bei wechselnden autoritären Administrationen nichts geändert. Das deutet sich auf interessante Weise in »And Towards Happy Valleys« an, einer dokumentarischen Arbeit der indischen Regisseurin Sreemoyee Singh. Sie reiste in den Iran, um sich auf die Spuren der legendären Forough Farrokhzad zu begeben, einer Poetin und Filmemacherin, die 1963 einen der einflussreichsten Werke der iranischen Filmgeschichte gedreht hatte: »Das Haus ist Schwarz«, ein Dokumentarfilm über Leprakranke, der auf internationalen Festivals ausgezeichnet wurde, aber im Iran nicht gezeigt werden durfte.
Ali Ahmadzadeh zeigt all das, was es im Iran offiziell nicht gibt: Drogen, Erotik, Sex, Exzess
Schon damals bestand also eine Trennung zwischen iranischem Kino im Iran und auf internationaler Bühne, eine Besonderheit, von der auch Regisseur Jafar Panahi, 2015 Gewinner des Goldenen Bären für »Taxi Teheran«, erzählen kann, der in Singhs Film ausführlich zu Wort kommt. Am Ende folgt eine Texttafel, die berichtet, dass Panahi seit 2009 vom Regime mit Arbeitsverbot belegt ist. Die Frage, wie es Panahi dennoch möglich war, seitdem fünf Filme zu drehen, die auf internationalen Festivals gezeigt wurden, ohne dass es das Regime unterbindet, wird nicht gestellt.
Was nicht heißen soll, dass die Lage für Menschen und Künstler im Iran nicht sehr schwierig ist, nur ist sie eben ein wenig komplexer und ambivalenter, als es von außen oft den Eindruck hat. Möglicher Zensur wird im iranischen Kino auf unterschiedliche Weise begegnet, ein Spielfilm wie »The Great Yawn of History« erzählt etwa eine zwar zeitgenössische, aber zumindest auf den ersten Blick unpolitische Geschichte: Beitollah sucht einen Goldschatz, doch diesen an sich zu nehmen wäre nicht halal. Daher sucht er einen nicht-religiösen Mann und findet den jungen Rumtreiber Shoja, zu dem sich eine Art widerspenstige Vater-Sohn-Beziehung entwickelt. Ins Fabelhafte driftet die Erzählung oft, vielleicht deswegen konnte der Film im Iran gedreht werden, auch wenn es eigentlich undenkbar erscheint, dass den Zensoren die unterschwellige Beschäftigung mit sozialen Fragen, besonders der wachsenden Jugendarbeitslosigkeit, entgangen sein könnte.
Unmissverständlich bricht der im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführte »My Favourite Cake« die offiziellen Regeln. Erzählt wird von einer älteren verwitweten Frau, die sich kurzerhand einen Mann nach Hause nimmt. Und dann für ihn singt! Ohne Kopftuch! Und Wein serviert! Kein Wunder, dass der Film des Regie-Duos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha fast nur in vor den Augen des Regimes geschützten Innenräumen spielt, was seiner Qualität allerdings nicht schadet. Zur Berlinale durften die Regisseure nicht reisen, die Hauptdarsteller schon.
Wer bestimmt also das Bild des Irans, beziehungsweise das Bild, das ein westliches Publikum vom Iran bekommt? Die Zensoren im Iran? Die Kuratoren westlicher Filmfestivals? Hinter die Kulissen einer Autokratie zu blicken, ist notgedrungen schwierig, Visions of Iran bietet Einblicke, die zumindest Teile des Ganzen sichtbar machen.
Visions of Iran
Do 6.6.–So 9.6.
Filmforum im Museum Ludwig
iranian-filmfestival.com