Vom Ich zum Wir: Katharina Kollmann, Foto: Sascha Schlegel

»Das Thema ist Zuhausesein«

Nichtseattle spielen ruhige Musik, die gerade deshalb so intensiv wirkt. Wie schafft Bandleaderin Katharina Kollmann das?

Katharina Kollmann, die mit ihrem Projekt Nichtseattle zum Kritikerliebling wurde, hat gerade mit »Haus« ein vielschichtiges, hochemotionales Indie-Album veröffentlicht. Wir haben uns mit der 39-jährigen Berlinerin über die ­Figuren in ihren Liedern, ihre Schreibprozesse und das leidige Thema Fleißigsein unterhalten.


Mir gefällt an deiner Musik, dass du nicht nur über dich selbst singst, sondern dir auch die Zeit nimmst, andere Figuren ausführlich zu beschreiben. Ist das etwas, das du ganz bewusst machst?

Das passiert einfach. Es hat aber auch damit zu tun, dass man sich beim Reden über Gefühle immer auch auf das eigene Umfeld bezieht. Ich glaube, es ist einfach generell meine Perspektive, andere Menschen zu beobachten und zu fühlen, was bei denen so passiert — und was das mit mir zu tun hat.

Also sind das keine fiktiven Figuren, sondern reale?

Die meisten Figuren haben zumindest eine reale Wurzel. Manchmal sind es auch Figuren, die auf mehreren Personen zugleich basieren — oder es kommt etwas bei einer Figur dazu, was eigentlich zu einer anderen Person gehört. Aber alles hat auf jeden Fall einen realen Ursprung.

In »Beluga«, dem Opener deines neuen Albums »Haus«, singst du von Menschen, die stolz sind, weil sie Bücher von Frauen lesen, dann aber doch lachen, wenn jemand einen geschmacklosen Witz macht.

Für mich schwingt bei diesen Figuren eine gewisse Selbstgefälligkeit und Pseudo-Wokeness mit. Ja, in der ersten Strophe geht es um so jemanden, aber in der zweiten Strophe ist das ein bisschen komplexer. Da geht es dann um die inneren Kämpfe einer Frauenfigur, die versucht, sich zu einer Welt zu verhalten, in der sie das Gefühl hat, sehr von Männern und deren Urteil abzuhängen. Aber der Song ist auf jeden Fall in einem Moment entstanden, wo ich Lust hatte, sehr wütend und kritisch auf diese Widersprüche zu schau­en. Ich weiß aber auch, dass es gar nicht funktioniert, perfekt zu sein — und dass es viel wert sein kann, wenn man das versucht. Aber bezogen auf den Menschen, an den ich in der ersten Strophe gedacht habe, war ich überhaupt nicht gnädig. Ich hab da einfach gedacht: Was für’n Styler …

Ich versuche, nicht mehr so fleißig zu sein. Man kann ja auch Dinge tun, ohne den Gedanken, dass man damit irgendwas ­erreichen willKatharina Kollmann

Um zum Musikalischen zu kommen: Ich finde, dass »Haus« sich noch größer anfühlt als die ersten beiden Nichtseattle-Alben; mit deutlicheren Wechseln zwischen einer gewissen Reduktion und pompöseren Momenten. Hast du bei der musikalischen Gestaltung bestimmte Bezüge und Vorbilder im Kopf gehabt?

Generell hat sich das mit der Band so entwickelt, dass ich am Anfang alles alleine geschrie­ben und gespielt habe. Aber auch auf »Kommunis­ten­libido« gab’s ja schon ein Flügelhorn, gespielt von Frieda Ga­wen­da. Nur eben nicht so viel. Ich hatte damals noch nicht so die Band dafür, also hab ich die Songs alleine mit einer Loopstation performt und auch reduziert aufgenommen. Als »Kommunistenlibi­do« 2022 rauskam, habe ich dann schon angefangen, die Band zusam­menzustellen; und mittlerweile haben wir [im Live-Kontext] auch auf die älteren Songs ein Schlagzeug draufgesetzt. So hat sich irgendwann eine Arbeitsweise entwickelt, bei der man ganz vorsichtig und lied-orientiert arrangiert. Es war dann irgendwie ein erstrebenswerter Gedanke, dass man immer Platz für das Lied lässt, aber trotzdem diese Bandmomente hat, wo man dann auch mal abrocken und mehr Linien unterbringen kann.

Daran anschließend möchte ich gerne über dein Gitarrenspiel sprechen: Ich find total gut, dass du nicht diese offenen Akkorde benutzt, die für folkigen Indie-Rock typisch sind. Du spielst sehr frei und immer Hand in Hand mit den Gesangsmelodien. Wie gehst du beim Schreiben vor?

Das ist immer unterschiedlich: Manchmal ist es so, dass ich erst ein cooles Riff habe, zu dem ich gerne etwas singen möchte. Meistens singe ich irgendeine Fantasiesprache darüber, häufig kommt auch von selbst eine Satzgruppe dazu, die interessant ist und mich berührt. Dann weiß ich schon, worum es in dem Lied gehen soll. Ich kann mich dann hin­setzen und ganz in Ruhe daran arbeiten. So eröffnen sich direkt ganz viele Bilder und Worte. Manch­mal ist es aber so, dass ich irgendwelche Grundakkorde schrammel, etwas darauf singe und die Gitarre daran an­pas­se. Man kann jede Seite — ob Gesang oder musikalische Untermalung — noch mehr zum Leuchten bringen, wenn beide Seiten aufeinander eingehen.

Zum Albumtitel: Was bedeutet »Haus« für dich?

Naja, das Thema ist eben Zuhausesein, sowohl im Bezug auf die Sehnsucht danach als auch auf die Ablehnung davon. Also die Sehnsucht nach etwas, das sich gut anfühlt — in einer Welt, die erstmal etwas vorgibt, was ich eigentlich ablehne, etwa bestimmte Beziehungsmodelle, die vielleicht sexistisch sind, oder auch kapitalistische Strukturen, die sich ins Leben einbrennen. Und dazu dann die Frage: Wie kann ich mich zuhause fühlen, wenn so vieles eigentlich nicht stimmt? Danach suchen die Lieder. Vieles scheitert eben bei dieser Suche, manchmal gibt’s aber Momente, wo es irgendwie zu funktionieren scheint.

Im letzten Song »Fleiß« singst du davon, dass der häufig nicht ausreicht, um über die Runden zu kommen. Was bringt dich dazu, trotzdem fleißig zu sein?

[Längere Pause] Ich versuche eigentlich, nicht mehr so fleißig zu sein. Es gibt ja auch einen Unterschied, ob man produktiv oder fleißig ist. Man kann Dinge tun, ohne den Gedanken, dass man damit irgendwas erreichen will. Man kennt das auch, wenn man vertieft ist in eine Arbeit, die einfach schön und meditativ ist. Einem zweckorientierten Denken will ich mich eigentlich entledigen und nicht mehr versuchen, irgendwelche krassen Träume zu verwirklichen. Ich will lieber auf das rea­gieren, was gerade passiert.

Eine Frage noch zum Abschluss. Einmal singst du: »Wo die Dumplings so beigeschmacklos schmecken wie neue Serien unter arschhohen Decken«. Was war die letzte gute Serie, die du gesehen hast?

Ich hab gar nicht viele Serien ge­­sehen, tatsächlich. Ich hab eh so mein Problem damit, die ganze Zeit irgendwelche Dinge zu gucken. Ich glaub die letzte Serie, die ich gesehen hab, war ... wie heißt die denn nochmal? Es ging um Drogen …

»Breaking Bad«?

Ja, genau! Ist schon ewig her. Naja, ich guck nicht so gerne Serien. Die nehmen mich immer viel zu doll ein.

Tonträger:
Nichtseattle: »Haus«
erschienen auf Staatsakt

stadtrevue präsentiert:
Konzert:
Di 4.6., Bumann & Sohn, 20 Uhr