Fährt Karussell trotz der Verhältnisse: Paula Irmschler, Foto: Chris Schalko

Die Wohnungen denen, die drin schreiben

Paula Irmschler erzählt in »Alles immer wegen damals« eine Ost-West-Geschichte, in der die Wohnverhältnisse die eigentliche ­Hauptfigur sind

Köln zeigt sich von seiner schönsten Seite: Die Sonne schiebt sich zwischen die Wolken und lässt das Kölsch im Glas golden schimmern. Wir treffen uns an einem Freitagnachmittag an einer Eckkneipe. Paula Irmschler kommt gerade aus Ehrenfeld, wo sie neuerdings als feste Autorin für das »ZDF Magazin Royale« arbeitet.

Schreiben tut sie eh viel: Kolumnen für die Titanic und den ­Musikexpress, Texte für das Neue Deutschland und das Missy Magazine. »Ich hätte Probleme damit, irgendwas zu machen, wo ich nicht links sein kann«, erklärt Irmschler. »Ich habe beim satirischen Schreiben gar nicht das Gefühl, dass es immer unernst sei. Das gehört für mich inzwischen irgendwie alles zusammen. Hauptsache, ich darf meine kommunistische Propaganda unterbringen«, sagt sie und lacht. Das letzte Vehikel für ihre »Propaganda« sind Romane. Gerade ist ihr zweiter erschienen: »Alles immer wegen damals«.

2020 veröffentlichte Paula Irmschler »Superbusen«. Gisela (benannt nach der ostdeutschen Schnapsmischung) zieht nach Chemnitz, taucht in die linke Szene ein und gründet eine Band: Superbusen. Auch in »Alles immer wegen damals« spielt Ostdeutschland eine Rolle: Die beiden Hauptfiguren, Gerda und ihre Tochter Karla, kommen aus Leipzig. Karla hat es der Liebe wegen nach Köln verschlagen, aber die ist nun passé. »Es geht um die Beziehung zwischen Mutter und Tochter«, fasst Paula Irmschler beim Kölsch zusammen. »Die zwei haben sich auseinandergelebt oder zerstritten, niemand weiß genau, weshalb. Und plötzlich schenkt ihnen Mascha — Tochter beziehungsweise Schwester der beiden — eine gemeinsame Reise nach Hamburg, damit sie sich wieder zusammenraufen.«

Hintergründig beschäftige sich der Roman mit der Frage, was eine Familie noch verbindet, wenn man nicht mehr zusammenwohnt, sagt sie: »Im neuen Roman geht es nicht so sehr um die Handlung, eher um die vielen offenen Fragen und Gespräche. Muss man um jeden Preis den Kontakt aufrechterhalten, wenn man in so unterschiedlichen ­Welten lebt?«

Paula Irmschler schreibt mit Humor, oft mit einem Augenzwinkern. In der dritten Person erzählt sie von Karlas und Gerdas Alltag. Dabei werden Anekdoten aus Karlas Kindheit mit der Gegenwart verwoben, so dass ein Bild entsteht, wie die beiden Frauen einander beeinflussen. Der Roman sei in Teilen autobiografisch geprägt, meint Irmschler. Auch in ­ihrem Debüt kommt eine alleinerziehende Mutter mit vielen Kindern vor. »Das ist offensichtlich etwas, das bei meinem Schreiben mitarbeitet. Aber was in diesem Familiengefäß passiert, ist ausgedacht«, sagt sie. »Ich kann mir nicht gut vorstellen, aus einer anderen Klasse heraus zu schreiben als aus der, in die ich reingeboren wurde. Bürgerliche Geschichten interessieren mich nicht so. Ich finde spannender, was lohnabhängige Menschen erzählen.«

Karla bekommt hin und wieder Layout-Aufträge und macht eine Ausbildung in Mediengestaltung, während Gerda dreimal die Woche Sprachkurse für Geflüchtete gibt. Das Geld ist also knapp. Auch die Wohnumstände der Figuren verdeutlichen die Prekarität ihrer Situation. Karla hat Glück im Unglück: Als sich in ihrer Wohngemeinschaft ein Plenum zur »Aussprache wegen Grundsätzlichem« anbahnt, zieht sie kurzentschlossen zu ihrem besten Freund in dessen Anderthalbzimmerwohnung unterm Dach — erst einmal vorübergehend.

Wer in den vergangenen Jahren in Köln auf Wohnungssuche war, kennt die Strapazen. Bei Gerda in Leipzig hingegen steht die Mieterhöhung noch aus — viele ihrer ehemaligen Nachbar*innen mussten bereits stadtauswärts ziehen. Irmschlers Beschreibung der noch übrig Gebliebenen (»Menschen, die man Leute nennt«) ist amüsant, einfühlsam und verdeutlicht ost- und westdeutsche Gemeinsamkeiten. So kann man sich Herrn Herrmann aus dem Erdgeschoss, dessen Wohnung einem »Museum für regionale Fussball-Fanartikel« gleicht, ebenso gut als Alt-Nippeser vorstellen — wäre er nicht Fan von Lokomotive Leipzig. Und auch Gerdas Wohnwunsch klingt nach dem kölschen Durchschnittstraum: »Wohnen müsste gesetzt sein, sobald man Kisten ausgepackt hat, findet sie, man muss doch in Ruhe wohnen dürfen, wie es früher normal war. Und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage in ihrer Dreizimmerwohnung mit Balkon und Badewanne.«

Bürgerliche Geschichten interessieren mich nicht. Ich finde spannender, was ­lohnabhängige Menschen erzählen

So ergeben sich beim Lesen Fragen zur eigenen Wohnsituation: Ist sie frei gewählt oder vorgegeben von finanziellen Umständen? Die Überlegungen zum Wohnen führen beim Lesen hin zu einer Auseinandersetzung mit Herkunft und Klasse — und weiter zu einem Nachdenken über mögliche Alternativen, gerade vor dem Hintergrund der eingestreuten DDR-Bezüge: »Alle paar Jahre mal an die Ostsee würde mir reichen, resümiert Karla. Für mich hätte die DDR, glaube ich, ausgereicht.«

»Was ich schreibe, wird automatisch politisch, wenn ich mich zum Beispiel mit Ostfrauen beschäftige, weil es die DDR nicht mehr gibt. Wenn man sich Fragen über Sozialismus und Westdeutschland stellt, kommt das ganz von selbst«, sagt Paula Irmschler. Dem Verlag sei das Thema Wohnen und Mieten ein wenig zu präsent gewesen, verrät sie. Aber ihr war es sehr wichtig: »Es ist ein Grundrauschen — bei allen Menschen in meinem Umfeld läuft es konstant mit.«

Auch beim Schreiben habe ihre Wohnsituation eine Rolle gespielt: »Für den zweiten Roman war wichtig, dass ich das erste Mal alleine gewohnt hab. Es gab also weder WG, noch Rumgewusel zwischen mehreren Orten.« Das Klischee des schwierigen zweiten Romans kann Paula Irmschler nicht bestätigen: »Der zweite war auf jeden Fall einfacher. Die Angst vorm totalen Scheitern ist vorbei. Und mit der Veröffentlichung vom ersten Roman hat man erreicht, was man sich als Teenager mal erträumt hat. Alles andere ist nur noch on top.«

Das merkt man. Gerade die Passagen, in denen von Gerda und ihrem Umfeld erzählt wird, wirken durchdacht, witzig und leicht. Kapitel, die Karlas Leben beschreiben, sind im Vergleich zeitweise zäh: Karla hat oft Angst, sie lässt sich dadurch schnell demotivieren und wird so den Erwartungen nicht gerecht, wie 30-Jährige ihr Leben zu leben haben.

Die Kapitel erzählen abwechselnd von Karla und Gerda, ein Wechsel der Perspektiven — wobei die Unterschiedlichkeit der beiden Frauen die Ausgewogenheit des Buches ausmacht, die durch das Nebeneinander von ­Gegensätzlichem zur Nachdenklichkeit anregt: Leben in Ost- und Westdeutschland, die Perspektiven einer 30- und einer 60-Jährigen, Gerdas ­Alt-Hippietum und Karlas Ordnungsbedürfnis. Übrig bleibt das Gemeinsame ihres Wunschs nach einem  Zuhause ­innerhalb eines Systems, in dem bezahlbares Wohnen nicht selbstverständlich ist.

Roman
Paula Irmschler: »Alles immer wegen damals«
dtv, 320 Seiten, 24 Euro

Lesung
Fr 21.6., King Georg, 21 Uhr