»Ich genieße das Gefühl, mich unwohl zu fühlen«
Mit Schauspieler:innen, die es zur Musik zieht, ist es ja so eine Sache. Bei Männern haben wir es zumeist mit unterdurchschnittlichen Rock zu tun (Uff — die Musik von Kevin Bacon oder Johnny Depp), bei Frauen mit Inszenierungen zwischen rockistisch aufgeladener Wildheit (Juliette Lewis) oder laszivem Verführungspop (Scarlett Johansson). So richtig gerne hört man nichts davon. Bei Keeley Forsyth verhält sich das anders.
Obwohl Musik schon lange im Leben der bis dato primär als Schauspielerin (»Guardians of the Galaxy«, »Poor Things«) wahrgenommenen Engländerin eine wichtige Rolle einnimmt und ihr gegen Alltagsdepression hilft, dauerte es bis zu ihrem vierten Lebensjahrzehnt, dass die 1979 geborene Forsyth ihr eine öffentliche Positionierung gewährte. Unsicherheit mag ein Grund gewesen sein, sich hinter Schauspielrollen zu schützen.
Seit 2020 kultivierte Forsyth über drei Alben — »Debris«, »Limbs« und dieses Jahr »The Hollow« (Fatcat Records)— ein in Dunkelheit gekleidetes Biotop, das, wenn man den Augen Gewöhnung gewährt, peu a peu seinen Schrecken verliert und statt Angst auszulösen, Trost zu spenden weiß.
Aktuell präsentiert sie »The Hollow« live. Zuletzt beim alljährlich in Den Haag stattfindenden Musikfestival Rewire zusammen mit ihrem langjährigen musikalischen Partner Matthew Bourne, den Livemusikern Ross Downs, Robert Bentall und Michael Bardon sowie der Filmemacherin Netia Jones in einer atemberaubenden Kirche namens Grote Kerk. Eine beeindruckende Performance, bei der man sehr gut die von Forsyth genannten Einflüsse von Pina Bausch, Antonin Artaud und Scott Walker nachvollziehen konnte. Diese Inspirationen aus minimalistischer Tanzperformance, Theater der Grausamkeit und Avantgarde-Drone-Kompositionen haben sich tief in das Werk von Keeley Forsyth eingeschrieben.
Ich möchte mit einem Kompliment beginnen: Ihr Auftritt in Den Haag war umwerfend schön.
Oh, danke, das bedeutet mir sehr viel. Es war das erste Mal, dass wir alle zusammengespielt haben. Es war eine Art Live-Probe. Das liegt mir, ich betrete gerne mir unbekanntes Terrain — und ich mag es, wenn die Dinge ein bisschen frei sind. Aber wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen.
Interessant, dass Sie den freien Aspekt betonen, denn die Performance hatte auch eine sehr klare, festgeschriebene Erzählung. Die Art und Weise, wie Sie sich auf der Bühne bewegen, empfand ich als einzigartig, vor allem diese dramatischen Gesten, mit denen Sie Ihren Musikern signalisierten, dass diese ihr Spiel temporär aussetzen sollten.
Das ist etwas, worüber ich nie wirklich nachdenke, bis ich diese körperliche Konversation auf der Bühne führe — ich behandle meinen Körper als eine andere Form der Sprache. Vor ein paar Monaten war ich in Düsseldorf, um das Stück »Nelken« von Pina Bausch zu sehen, es war meine erste Erfahrung mit ihrer Arbeit als Live-Produktion. Ich kenne ihre Werke ziemlich gut, aber es ist etwas anderes, ein Stück live zu sehen, man nimmt die Art und Weise, wie die Körper zur Kommunikation eingesetzt werden, ganz anders war. Der Herzschlag wurde in der Aufführung zum Fundament; wenn die Schauspieler:innen rennen, wird der Herzschlag schwerer und tiefer, das Mikrofon taucht in den Körper geradezu ein. So etwas liebe ich. Man muss auf der Bühne wirklich alles wegnehmen. Die Verwandlung ist eine innere. Ich trage auf und abseits der Bühne immer die gleichen Klamotten. Es gibt in diesem Sinne also keine Vorbereitung auf eine Performance. Als Performerin weiß ich nie, was ich aufführen werde — bis ich es tue.
Während eines Auftritts kann ich wie besessen davon sein zu verstehen, was passiert. Manchmal drifte ich ab — und denke, dass ich mich langweileKeeley Forsyth
Ihre Inszenierung in der Grote Kerk war jedenfalls eine melodramatische Erfahrung, Sie haben Ihre eigene kleine Welt erschaffen.
Dieser Raum war sehr beeindruckend, aber ich mag auch Räume, die flach sind. In meiner Arbeit geht es mir darum, etwas zu präsentieren, das wahrhaftig ist. Warum trete ich auf? Warum ist dieses Element in der Performance notwendig? Wenn man versteht, woher alles kommt, dann kann man es auch loslassen und weitermachen. Es war das erste Mal, dass ich visuelle Elemente verwendet habe. Ich habe die Video- und Lichtkünstlerin Tanisha Jones vor nicht allzu langer Zeit kennengelernt. Mir ist es sehr wichtig, dass ich mich mit den Leuten verstehe, mit denen ich zusammenarbeite, das ist wichtiger als die Entscheidung für das konkrete Bildmaterial.
Was bedeutet das für die Konstellation zu den anderen Musikern? Sie als Sängerin stehen ja durchaus im Mittelpunkt der Performance.
Ja, aber ich möchte, dass es als Teamarbeit gesehen und gehört wird. Ich arbeite schon lange mit dem Pianisten Matthew Bourne zusammen. Wenn wir nur zu zweit auf der Bühne sind, wird er Teil der Aufführung. Es gibt Zeiten, in denen ich meinen Körper über seinen lege. Ich genieße es, wenn mehr Leute auf der Bühne sind, aber es ist schwierig, damit umzugehen. Während eines Auftritts kann ich wie besessen davon sein zu verstehen, was passiert. Manchmal drifte ich ab — und denke, dass ich mich langweile. Hinterher frage ich mich dann, warum ich gelangweilt war? Ich meine, es ist okay, sich zu langweilen. Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich mir dieser Art von alltäglichem Gefühl sehr bewusst. Ich bin von meiner eigenen Stimme gelangweilt. Ich möchte, dass sie aufhört. Und dann denke ich, vielleicht kann ich das nächste Mal einfach aufhören?! Es ist ein Theater des Absurden! Es ist so, als würde ich mich dagegen wehren, auf der Bühne zu stehen und zu versuchen, die Leute zu unterhalten, damit sie sich wohl fühlen. Ich selbst genieße das Gefühl, mich unwohl zu fühlen.
Der französische Schauspieler und Dramatiker Antonin Artaud (1866–1948) soll ein Lieblingsautor von Ihnen sein.
Ja, ich liebe die Arbeitsprozesse von Antonin Artaud sehr. Kürzlich bin ich auf die Briefe gestoßen, die er an die Rundfunkkommission für ein Hörspiel geschrieben hat, ein Stück, das man schließlich nicht produzierte. Es gibt etwas in diesen Briefen, dass mich den physischen Aspekt des Menschseins verstehen lässt. Ich verstehe auch den mentalen Aspekt davon. Ich folge nicht unbedingt seinem Weg, aber ich habe das Gefühl, dass ich ihn verstehe. Ich mag die Absurdität in seiner Arbeit, sie ist nicht real — so wie nichts, was ich auf der Bühne mache, real ist. Ich glaube, das ist für mich der Punkt, an dem es dann eher in die Welt von Pina Bausch oder Samuel Beckett geht.
Kann man sagen: Schauspielerei benötigt viel Disziplin, aber mit ihrer Musik agieren sie freier?
Ja, das tue ich. Ich kann der Musik ohne Disziplin begegnen — aber nur, da ich mit so tollen Mitmusikern wie Matthew Bourne und Ross Downs zusammenarbeite. Ich glaube, das Ausbalancieren von Disziplin und die Freiheit funktionieren nur, wenn man eine Kernstruktur hat.
Was suchen Sie in der Musik?
Zunächst: Ich singe wirklich gerne.Ich liebe die Resonanz, die es erzeugt. Es spricht den Atem an. Es spricht das Körperliche an. Und es schaltet den Verstand aus. Der musikalische Teil ist also nur eine Art, diese Liebe für mich auszufüllen. Wenn ich einen geradlinigeren Lebensweg gehabt hätte, wäre ich schon vor vielen Jahren in die Musik gegangen. Aber ich habe es nicht getan. Dass ist der Grund, warum ich die Sachen mache, die ich jetzt mache, weil es eine Menge unbeantworteter Fragen in der Musik gibt.
Haben Sie Role Models für Ihren Gesang?
Als ich aufwuchs, hörte ich immer Édith Piaf. Später habe ich Scott Walker entdeckt, bei ihm spürte ich das erste Mal, dass ich vielleicht auch singen könnte. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie jemanden mit einer Stimme wie der meinen gehört. Als ich in der Schule war, wurde ich immer gehänselt, weil meine Stimme recht tief war. Also habe ich versucht, sie zu manipulieren und versucht höher zu singen. Dann hörte ich Scott Walker und dachte nur: »Was soll’s. Ich will so klingen wie er.« Er war meine Erlaubnis, die Scham zu überwinden, wie meine Stimme von Natur aus ist.
Fühlen Sie sich wohl in der Landschaft, die Sie mit Ihrer Musik schaffen?
Man denkt viel über das eigene Leben nach, wenn man ihre Musik hört. Ja, ich fühle mich sehr wohl in dieser Welt. Sie fühlt sich nicht düster, gezwungen oder gedrängt an. Meine Lebenserfahrung ist, dass das, was man für das Dunkelste hält, eigentlich das Gegenteil ist. Mein Ziel ist es, immer Arbeiten zu machen, bei denen ich ein besserer Mensch werde. Ich möchte keine Arbeiten machen, bei denen ich das Gefühl habe, dass die Arbeit Leiden mit sich bringt.