Für immer ’83
»Ich höre nur Songs aus meinem Geburtsjahr — 1983. Eigentlich höre ich auch nur New Order und von denen nur ‚Blue Monday’, was ja 1983 erschienen ist.« Okay, verstanden, die Frage, wie weit man es mit dem Retro-Fimmel denn treiben könne, um immer noch als zeitgemäßer Act durchzugehen, kontert Sebastian Witte mit ironischer Verweigerung. Auch musikalische Referenzen jenseits der 80er Jahre wie Hot Chip oder die Weilheim-Acts The Notwist und Lali Puna kenne er nicht. Jaja, deine Mudder!
Malta Mina heißt sein Projekt, das zunächst als Band startete, nun aber von Witte im Alleingang betrieben wird. »Ich habe mit Malta Mina angefangen, um den totalen Eskapismus abzufeiern«, erklärt der in Köln lebende und aus Münster stammende 40-Jährige, »und wirklich weit weg und so richtig raus ist man ja nur im Weltall — völlig losgelöst von der Erde also. Auf Malta sind angeblich mal Ufos gelandet und die Stadt Mina liegt in der Nachbarschaft zur Area 51, dem militärischen Sperrgebiet.« Irgendwann habe er dann angefangen, Songs zu schreiben, die einen gesellschaftspolitischen Aspekt haben und nicht immer nur aus dem Alltag und dem Jetzt flüchten: »Damit hab ich mich vom Urgedanken entfernt. Und die Musik ist von Song zu Song schneller und tanzbarer geworden, weil ich mich live viel bewege und diese Bewegung mit dem Publikum teilen will.«
Die vier Songs seiner soeben erschienen EP »I’m no Liar« klingen tatsächlich so, als hätte man sie in einer Zeitkapsel direkt aus den frühen 80ern ins Jahr 2024 gebeamt: Der Drumcomputer gibt mit hölzernem Groove den programmierten Beat vor, untenrum dengelt der wavige Bass in Achteln, Vintage-Synths sorgen für das Strahlen, Funkeln, Knarzen und Fiepsen — und drüberweg singt Witte in einprägsamen Hooks mit eher teilnahmslos-sanfter Stimme englische Textzeilen in deutschem Akzent. Immer wieder poppen beim Hören die Referenzen auf: War das nicht gerade Visage? Die frühen Depeche Mode? Aber dieses Break hier ist eindeutig Bronski Beat!
Doch so sehr Witte den Sound der 80er liebt, eigentlich geht es ihm um den Song — und der ist im besten Fall zeitlos: »Ich finde, es ist auch egal, wann ein Song erschienen ist. Entweder ist es mitreißende Musik oder nicht. Ich liebe den 1983er-Sound. Sowas wollte ich machen. Natürlich singen Bands heute auch über ihre Insta-DMs und Wildberry-Drinks. Das ist augenscheinlich ein Unterschied zu 1983. Aber das sind ja nur oberflächliche Unterschiede, eine Frage wie ›How Does It Feel?‹ (so der Titel des Eröffnungssongs, Anm. d. Verf.) kann und sollte man immer und jedem Menschen stellen.«
Die vier Songs der EP verfolgen ein übergeordnetes Konzept und behandeln das Thema Internet und Social Media aus jeweils unterschiedlicher Perspektive: »Eine populistisch argumentierende Person, eine Person, die Verschwörungsmythen verbreitet, ein/eine Aktivist*in und ein/eine Nutzer*in. Wer allerdings wer ist, verrate ich nicht, denn teilweise lassen sich die Aussagen der Personen vertauschen, und man ist erstaunt, wie gut sie dann doch trotzdem passen.«
Obwohl Sebastian Witte früher unter eigenem Namen bereits deutschsprachige Songs im Stile der Hamburger Schule geschrieben hat, hat er sich bei Malta Mina für englische Texte entschieden: »Bei den deutschen Texten hatte ich früher immer das Gefühl, die Ohren und Hirne der Zuhörer*innen kleben alle am Text. Dann kann ich auf Lesereise gehen. Bei englischen Texten hören die Leute im Publikum nicht so genau hin und lassen vielmehr Musik und Text gleichermaßen auf sich wirken.« Ohnehin geht es ihm beim Texten nicht nur um Inhalt, sondern vor allem auch um die Form: »Welche Wörter klingen gut zusammen? Was ist kurz und einprägsam? Ich will gute Songtitel und einprägsame Sätze in meinen Texten haben.«
Weniger wichtig ist ihm trotz Retro-Liebe das Equipment. Für die Inszenierung seiner Songs greift er nicht auf alte Maschinen zurück, sondern nutzt ganz pragmatisch zeitgenössische Software: »Das ganze Auskennertum, das dabei auch oft eine Rolle spielt, ist schrecklich, es gibt keinen schlimmeren Ort in Köln als den Music Store, wo Männer über Mikros, Gitarren und die richtigen Plugins philosophieren!«
Wie gut, dass am Ende eh nur das Ergebnis zählt. Und das kann sich sowas von hören lassen!
Die EP »I’m no Liar« von Malta Mina ist digital erschienen.