»Ich brauche das spielerische Element«
Dein Film erzählt von der Liebesbeziehung zwischen Nadine und Paul, die in einer Fabrik arbeiten. Er tut dies spielerisch und surreal: Paul erscheint seiner Freundin mal als kleiner Junge, mal als alte Frau, mal gar als Tier. Wolltest du sozialen und magischen Realismus von Anfang an vermischen?
Wenn ich mir eine Geschichte ausdenke, lande ich schnell bei einem bestimmten Milieu, ohne dass ich anfangs benennen kann, warum. Schon in den Filmen, die im Rahmen meines Studiums in Babelsberg entstanden sind, habe ich mich immer mehr für das Potsdam der Plattenbauten als für das der Seen und Schlösser interessiert. Dahinter steckt auch der Wunsch, von diesem Milieu auf eine andere Weise zu erzählen, als es oft getan wird. Wir wollten komplexe Figuren schaffen, die in einem Werk arbeiten, aber in ihrem Inneren genauso Philosophen und Therapeuten sein können, wie Menschen in jeder anderen Welt. Das spielerische Element brauche ich einfach in meinen Filmen, um mich selbst gedanklich anzutreiben. Ich spiele viel Fußball, und ich muss immer Ideen haben, die mir einen Pass geben — eine Vorlage, um weiterzuspielen.
Köln und Umgebung ist der Schauplatz von »Alle die du bist«, wir sehen aber kaum mehr als Industrieanlagen und dampfende Schlote. Wie wolltest du die Stadt zeigen?
Man spricht in Deutschland immer vom Ruhrpott und seinen Fabriken, dabei gibt es die im Rheinland teilweise noch extremer. Die Gegend um Brühl und Bergheim, wo wir gedreht haben, ist unheimlich filmisch. Die Stadt sollte auch ein Spiegelbild für Nadines Innenleben sein. Ihr Liebesleben wird ja durch ihre Arbeit beeinflusst, deshalb wollte ich Letzterer visuell eine Dauerpräsenz geben. Ich kann es nur so blöd beschreiben, aber es erinnert ein bisschen an den Todesstern in »Star Wars«, der immer im Hintergrund schwebt, oder an Saurons Auge im »Herr der Ringe«.
Problematisch wird es in einer Beziehung, wenn man nicht mehr die gleichen Illusionen teilen kann Michael Fetter Nathansky
Paul ist eine Figur, die viele Gestalten annimmt. Wie findet man für so eine Rolle den richtigen Schauspieler?
Das Tolle an Carlo Ljubek ist — und das ist sehr unüblich für Deutschland —, dass er keine Angst davor hat, kitschig zu sein. Carlo hat mich berührt, weil er im gesamten Schaffensprozess immer für den Glauben an die Liebe seiner Figur gekämpft hat. Diesen Glauben haben wir dann auch in den anderen Pauls gesucht. Letztlich war Carlos Spiel natürlich immer auch ein Zusammenspiel mit Hauptdarstellerin Aenne Schwarz, die als Nadine den Film trägt. Sie musste so viele Arten von Liebe spielen. Der Titel »Alle die du bist« bezieht sich also auch auf ihre Figur.
Dein Film legt nahe, dass wir nie unsere Partner*innen lieben, sondern immer nur ein Bild von ihnen. Ist es unmöglich, dass zwei Menschen einander wirklich sehen?
Vielleicht gibt es dieses »wirkliche« Sehen gar nicht. Vielleicht ist das aber auch egal, wenn zwei Menschen dieselbe Erzählung voneinander haben. Wenn die Rolle, in der ich meinen Partner sehe, und jene, die mein Partner für sich selbst sieht, zusammenpassen, dann reicht das vielleicht schon. Dann hat diese geteilte Wahrheit ihre Berechtigung. Problematisch wird es, wenn man irgendwann nicht mehr die gleichen Illusionen teilen kann. Wenn das nicht mehr synchron ist, kann es auseinanderbrechen. Ich bin aber sicher kein Beziehungsexperte.
Das ist interessant, denn sonst folgt das klassische Erzählkino dem Grundsatz: Erkenne dich selbst, dann kannst du ein freier Mensch sein.
Das nervt mich an vielen Filmen. »Alle die du bist« ist ein Liebesfilm, aber das Problem besteht in Nadines Angst, nicht lieben zu können, und nicht darin, dass sich jemand aus Eitelkeit nicht seine Liebe eingestehen will. Paul und Nadine sind sehr ehrlich, sie können alles sehr gut benennen — und trotzdem erkennen sie sich vielleicht selbst nicht. In vielen Filmen musst du nur den einen Zaubersatz sagen, dann wird alles gut. Aber viele von uns sind doch imstande, in unseren Beziehungen Dinge zu benennen, wir sind ja nicht dumm! Offenbar reicht das Verbale aber nicht aus. Und genau das sind ja die Momente, in denen ein Kinofilm spannend wird.