Kampfzone Kindheit
Bei Kino Latino findet für ein paar Tage konzentriert zusammen, was ansonsten über das Jahr gestreckt — wenn überhaupt — zu sehen ist: das Kino eines Subkontinents voller historisch bedingter Parallelen wie lokaler Differenzen. Dass die Auswahl die Dinge zuspitzt: fraglos. Dieses Jahr dreht sich ein großer Teil der Filme um Kinder und Jugendliche. Ein Beispiel ist Laura Moras in den Straßen von Medellín beginnender »Los reyes del mundo«, in dem sich fünf Jugendliche auf eine Reise in eine potenziell bessere Zukunft begeben. Einer von ihnen hat ein Stück Land geerbt, welches seiner Großmutter gestohlen und später durch ein Restitutionsprogramm zurückgegeben wurde — zu spät für sie, aber gerade richtig für ein paar Teenager, die wenig vom Leben zu erhoffen hatten.
Nele Wohlatz’ »Dormir de olhos abertos«, deutscher Verleihtitel Titel »Sleep With Your Eyes Open« (mehr dazu auf S. 63), der bei Kino Latino seine Kölner Premiere feiert, gehört zu den Filmen mit erwachsenen Hauptfiguren. Ein weiterer ist Santiago Lozano Álvarez’ »Yo vi tres luces negras«, dessen Protagonist José de los Santos knackige siebzig Lenze zählt und unter anderem den gewaltsamen Tod seines Sohnes ertragen musste. Dieser erscheint José nun, um ihm seinen nahen Tod zu verkünden und Warnungen mit auf den letzten Weg zu geben. Eine lautet: Du musst in Frieden verscheiden! Was nicht ganz einfach ist in einem Dschungel voller Todesschwadrone.
Was alle drei Filme eint, ist die Verweigerung eines wohlfeilen Jammer-Realismus; alle drei arbeiten mit sehr eigenen Formen von lyrischen Zuspitzungen, seien es die plötzlich heiter aus dem blauen Himmel plumpsenden Melonen bei Wohlatz, das Spiel mit den Grenzen zwischen Dies- und Jenseits bei Lozano Álvarez oder das zum Teil Fiebertraumhafte bei Mora.
Volks(aber)glauben spielt bei Juan Sebastián Torales’ »Almamula« eine Rolle; der Titel des Films bezieht sich auf ein argentinisches Fabelwesen, welches Verworfene, sprich sexuell nicht der Norm Entsprechende, aus der Menschenwelt entfernt. Der junge Nino lebt in einer Hinterlandwelt, wo solche Geschichten gerne als Grund genommen werden, um Homosexuelle zu entführen und zu ermorden. Dieses hier angedeutete Gewebe aus Leiden und Träumen, Tabubrüchen und der Suche nach einer Zukunft in friedvoller Durchschnittlichkeit wird in anderen Filmen, etwa in »La piel pulpo«, »Saudade fez morada aqui dentro« und »Das Land der verlorenen Kinder« erweitert und vertieft.