Eine Chinesin in Brasilien: Xiao Xing Cheng Foto: © Grandfilm / Victor Juca

Sleep With Your Eyes Open

Nele Wohlatz erschafft eine Welt, in der Fremde ­ausnahmsweise mal freundlich behandelt werden

Nele Wohlatz ist eine der faszi­nierendsten Erscheinungen des Gegenwartskinos, da die gebür­tige Hannoveranerin ihr gesamtes Werk bislang in Südamerika, haupt­sächlich Argentinien, realisiert hat. Dabei geht sie niemals in den Gastkulturen auf, sucht, behauptet, fordert keinen klaren Platz für sich da oder dort. Das spiegelt perfekt ein Schaffen wider, in dem es immer wieder um Wanderungen geht, migrantische Bewegungen, nicht unbedingt mit einem klaren Ziel.

»Sleep With Your Eyes Open« entwickelte sie aus ihrem vor­hergehenden Langfilm »El futuro perfecto« (2016), der unter Chinesen in Buenos Aires spielt und nur mit Laien besetzt ist — bis auf eine in Argentinien dank einer beliebten Werbung berühmten Katze. Wohlatz’ Interessen an dieser speziellen Migrantengemeinschaft, deren Festigkeit, Verlässlichkeit, aber auch Fragilität, führte sie nun nach Recife im Nord­osten Brasiliens, wo eine junge Chinesin mit Liebeskummer strandet. Durch Glück findet sie eine Gruppe von vor allem ­Tai­wanesen, die wegen ihres Chefs und dessen vielleicht nicht immer ganz legalen Machenschaften unter etwas absurden Be­dingungen wohnen: in einem Doppelhochhaus, in das sich ansonsten ausschließlich die lokale Bourgeoisie zurückgezogen hat, eine Art Gated Community. Natürlich wird es da Probleme geben, allerdings andere, als man zunächst vermuten würde.

Eine Geschichte im plotmechanischen Sinne hat »Sleep With Your Eyes Open« nicht, weshalb auch immer wieder alles mögliche passieren kann — es fallen Melonen vom Himmel, ein anderes Mal regnet es Geldscheine. Wohlatz’ Erzähllogik ist rein poetisch, ein Gewebe aus szenischen und gestischen Reimen. Deren Wurzeln liegen oft in der Freundlichkeit Fremden gegenüber, im Wissen darum, dass man selber eines Tages einen Telefonanruf bekommen kann, der einen dazu zwingt, über Nacht die Zelte abzubrechen und anderswohin zu ziehen. Schön ist, wie liebevoll und geduldig Wohlatz ihre Arbeiter und Tagediebe zeigt, wie sie sich daran erfreut, die Welt wie ein Hort voller Wunder wirken zu lassen, und wie tief sie daran glaubt, dass es überall Menschen gibt, die eine Fremde nicht im Regen stehen lassen. Das ist alles frei von Zynismus und Miserabilismus, wohl weil sie weiß, wie gleich die Fremde uns alle macht.

(Dormir de olhos albertos) RA/BR/D/RC 2024, R: Nele Wohlatz, D: Xiao Xing Cheng, Wang Shin-Hong, Liao Kai Ro, 97 Min. Start: 13.6.