Ivo
Wie sich gleich im ersten Dialog abzeichnet, handelt »Ivo« vom Verstreichen der Minuten, Stunden und Tage. Das bezieht sich zunächst schlicht auf jene Zeit, die die Titelfigur am Steuer ihres Kleinwagens verschwendet, während sie als Palliativpflegerin zwischen Ruhrgebiet und Bergischem Land unterwegs ist. Sobald sie sich in den Häusern und Wohnungen der Patient*innen aufhält, führt der Erzählrhythmus vor Augen, dass im deutschen Gesundheitssystem die sonst übliche Hektik ausgerechnet dann aussetzt, wenn die zu pflegenden Menschen schon an der Schwelle zum Tod stehen. In den verschiedenen Haushalten, die die Protagonistin regelmäßig aufsucht, herrscht eine merkwürdige Auszeit, die manche Angehörige unverhohlen die Geduld verlieren lässt, während sie andere zu unrealistischen Planungen verleitet.
Unter diesen Vorzeichen ist die Affäre zu verstehen, die Ivo offenbar jüngst eingegangen ist, und die dem zweiten Spielfilm der 40-jährigen Regisseurin und Drehbuchautorin den denkbar zartesten Plot liefert. Jedenfalls verzichtet sie auch bei der Skizze des intimen Verhältnisses, das die Pflegerin mit dem Ehemann ihrer Patientin Solveigh verbindet, auf eine Verdeutlichung des Hintergrunds. Klar scheint nur, dass die Sterbende zugleich Ivos engste Freundin ist.
Solveighs Tod wird also auch einen Einschnitt in Ivos Privatleben markieren, das sich ohnehin im Übergang befindet: Ihre jugendliche Tochter nimmt, während sie einen Auslandsaufenthalt vorbereitet, die Zukunft geradezu vorweg, indem sie ständig Videochats mit einem jungen Mann führt, der bereits in der Ferne ist. Das wiederholte Abhören einer Mailboxnachricht lässt ahnen, dass Ivo ihrerseits einem verstorbenen Partner nachtrauert.
Dazu passt, dass eine elliptische Montage zeitliche Zusammenhänge verwischt, während Auftritte von nicht professionellen Darsteller*innen, die vor der Kamera ihren Beruf ausüben, dem impressionistisch eingefangenen Geschehen zusätzliche Beiläufigkeit verleihen. So kommt die relative Länge zweier Szenen umso eindrücklicher zur Geltung. Zum einen, wenn Solveigh mit einem (realen) Arzt die Wirkung einer Sedierung bespricht und zum anderen, wenn der dramatischste Moment des Films durch zerstreute Alltagsbeobachtungen in einer anonymen Vorstadtstraße akzentuiert wird.
D 2024, R: Eva Trobisch, D: Minna Wündrich, Pia Hierzegger, Lukas Turtur, 90 Min. Start: 20.6.