Empathie-Kolonialismus
Kann man mit eigenen Tränen Afrika retten oder ist das eine neokoloniale Weißenfantasie? Kann man in Deutschland durch Leistung aufsteigen oder ist das ein neoliberales Phantasma ohnehin Privilegierter? Erneut stellt das Theaterfestival Impulse drängende Fragen. Nach drei Jahren kommt es mit seinem Herzstück, dem »Showcase« aus neun Stücken, wieder nach Köln. Es ist das letzte und siebte Festival unter der Leitung von Haiko Pfost. Kein Wunder, dass einige Erinnerungen zelebriert werden und kräftig gefeiert wird in der zum Festivalzentrum umfunktionierten TanzFaktur. Mit den Ebertplatz-Künstlern von GOLD+BETON und Meryem Erkuss verwandelt sie sich am 1.6. in einen echten Tanzklub.
Die Impulse sind das größte und wichtigste Festival der deutschsprachigen Freien Szene. Es ist eine von Pfosts Errungenschaften, dass er den elf Tagen in drei Städten eine tragfähig Struktur verpasst hat: In einer Stadt in NRW — diesmal Köln — findet der »Showcase« statt mit neun von einer Jury ausgewählten Stücken. Etwa die provokante Arbeit von Julian Hetzel und Ntando Cele »SPAafrika«, in der empathische Zuschauer Wasser aus Südafrika im Tausch gegen echte Tränen erwerben können — eine radikale Performance über Rassismus, Kolonialismus und die Ausschlachtung von Leid auf dem Kunstmarkt (TanzFaktur, 30. & 31.5.). Oder die spannende Festivaleröffnung im Depot 2 »Die große Klassenrevue« von Christiane Rösinger (29. & 30.5.): ein Privilegien-Wettkampf als Spielshow, in der arme Menschen aus der Arbeiterklasse am Erklimmen der sozialen Leiter gehindert werden. Reiche Bürgerkinder begleiten launig mit Musik. In »Old white clowns« von Max Merker wiederum wird Pantomime gespielt — und ziemlich witzig gefragt, welche Theaterarten sich wann und warum durchsetzen (TanzFaktur, 1. & 2.6.). Völlig irre zu werden verspricht die »Verwandlung« von Manuel Gerster, frei nach Kafka: der alptraumhafte Krabbelkäfer wird zum VW-Käfer, der vom Publikum real zerstört wird (Depot 2, 4.6.).
Es war diesmal noch schwieriger, in Köln geeignete Spielstätten zu finden, die den technischen Anforderungen genügenHaiko Pfost
»Wir haben diesmal kaum konzeptuelle Projekte dabei, sondern sehr sinnliche und lustvolle«, sagt Haiko Pfost. Das kommt vor allem in »LOUNGE« von Marga Alfeirão zum Tragen: Zwei Tänzerinnen untersuchen, wie Körper erotisch aufgeladen werden, wer gibt, wer nimmt, und wie das zusammengeht (TanzFaktur, 5.–8.6.). Und nicht zuletzt versprechen die »Ahnfrauen« der Rabtaldirndl aufwühlende feministische Einblicke in die Konzepte von Mutterschaft (TanzFaktur, 5. & 7.6.).
In Mülheim an der Ruhr wird diesmal das Impulse-Stadtprojekt verwirklicht, meist mit lokalen Initiativen, oft provokant und nah dran an den Problemwurzeln der Kommune. Ziemlich erfolgreich war im letzten Jahr in Köln der Autoscooter im Verkehrschaos vor dem Bahnhof Messe / Deutz, in dem junges Publikum über neue Verkehrskonzepte nachdachte. Unvergessen auch die Installation eines zum Junkie umfunktionierten Reissdorf-Männchens am Neumarkt. Diesmal wird in Mülheim an der Ruhr von der Gruppe Conte Potuto ein Freibad aufgebaut — allerdings mehr als Attrappe, fast ohne Wasser. In Zeiten, in denen öffentliche Freibäder kaputtgespart werden, während private Pools boomen, verhandelt »SchwimmCity«, was utopische Gemeinschaftsorte sein könnten — und wie man korrekt am Beckenrand posiert. Dazu tanzt die Unterwasser-Rugby-Mannschaft des TSC Mülheim / Ruhr (wo die Sportart einst erfunden wurde). Und dann gibt es auch noch die »Akademie« der Impulse, diesmal in Düsseldorf am FFT, wo Künstler und interessierte Besucher Rückblicke wagen: Was hat sich in den letzten sieben Jahren in der Freien Szene verändert?
Es bleibt allerdings kein Spaziergang, so ein großes Festival in Köln zu organisieren. Erst recht seitdem die Studiobühneköln in der Universitätsstraße geschlossen ist: »Es war diesmal noch schwieriger, in Köln geeignete Spielstätten zu finden, die den technischen Anforderungen genügen«, sagt Haiko Pfost. Daher weicht das Festival für eine Produktion nach Bonn aus: Die aus ihrer Heimat geflohene Exilrussin Marina Davydova zeigt in der Bundeskunsthalle ihre Arbeit »Museum of Uncounted Voices« (6.–8.6.), die blutige Geschichte der ehemaligen Sowjetunion, ein Schnelldurchlauf durch die Jahre der Gewalt. Nichts könnte aktueller sein — auch wenn es seltsam anmutet, dass eine ukrainische Stimme nicht zu hören ist.
TanzFaktur und viele andere Orte, 29.5.–9.6, impulse-festival.de