Kopfschuss auf der Bühne

Zum Stammheim-Prozess vor fünfzig Jahren brachte Claus Peymann Bernhards »Der Präsident« auf die Bühne

Die Anarchistinnen verfehlen den Präsidenten bei einem Kopfschuss-­Attentat nur knapp. Aus dem Nebenraum hört man sein Lachen, während er massiert wird. Vor Diplomaten und Offizieren, vor seiner Geliebten, einer jungen Schauspielerin, prahlt er und lobt das Amüsement. Die Sorgen seiner »Frau Präsident« kreisen unterdessen um den Tod des Hundes, der beim Attentat an plötzlichem Herzversagen starb — und um die Anarchisten, denen sich womöglich auch der eigene Sohn anschloss. War er am Mordversuch beteiligt? Die Angst wächst im Zentrum der Herrschaft, und in dieses Vakuum drängt die Frage: Wer im Staat fühlt sich noch repräsentiert von den Entscheidungsträgern der Macht?


»Klatschende Leute im Theater oder Konzert — das ist mir ­unerträglich«, bekannte Thomas Bernhard in einem Interview. Zu den berühmtesten österreichischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts zählt man ihn, diesen Menschenfeind und Monomanen, der nach eigener Selbstbeschreibung »die Tuberkulose schon im Namen hat«. Mit Rabenschwärze schrieb er gegen Österreich an und gegen alles, was ­damit zusammenhing: Katholizismus, Provinzialismus und Natio­nalsozialismus. Der Applaus, der Bernhards Ansicht nach alles Grau­sen in sich trägt, weil das Unheil ja immer aus der klatschenden, tosenden Menge kommt — es lässt sich heute nicht nachvollziehen, wie er 1975 im Theater in Stuttgart ausfiel.

 

Ausgerechnet dort brachte ­Regisseur Claus Peymann das oben beschriebene Werk »Der Präsident« auf die Bühne, am ersten Tag des Stammheim-Prozesses gegen die RAF, nur ein paar ­Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt. »Mit großer Leichtigkeit und operettenhaftem Schwung«, schreibt der Suhrkamp Verlag rückblickend, inszenierte Peymann diese scharfsinnige ­Politanalyse, dieses komische ­Psychogramm eines Autokraten. Seitdem wurde das Stück selten gespielt, die Provokation damals war ihm aber sicher.