Identitätenerzähler: Kwame Anthony Appiah

Fluider Kampfbegriff

Kwame Anthony Appiah ergründet, warum »Identität« eine Lüge ist, die uns verbindet

 

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war »Identität« gesellschaftstheoretisch ein unbedeutender Begriff, gegenwärtig ist sie zu einer zentralen Vokabel politischer Debatten geworden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erkannte der Psychoanalytiker Erik Erikson die Menschen als Gruppenwesen, die nach sozialer Zugehörigkeit und gemeinsamer Identität streben. Doch der Philosoph Kwame Anthony Appiah sieht im Streben nach Gemeinsamkeiten auch einen gefährlichen Grat zwischen Freiheit und Beschränkung: Religiöse, nationale oder klassenbezogene Identitäten können uns zwar ein Gefühl von Zugehörigkeit geben, sie können uns aber genauso voneinander trennen oder spalten. »Letztlich sind es Lügen, die verbinden«, schreibt Appiah in seinem Essay »Identitäten« und meint damit, dass die Gemeinsamkeiten nichts anderes sind als Konstruktionen. Stattdessen plädiert der Philosoph für ein dynamisches Verständnis von Identität.


»Wings with Roots — Dynamic Belongings« heißt das neue Projekt der Kölner Literaturreihe »Stimmen Afrikas«, das von Appiahs Werk inspiriert ist und mit ihm den Auftakt der Veranstaltungsreihe macht. Gemeinsam mit der Schriftstellerin und Lyrikerin Lubi Barre wird er über den Einfluss internationaler und dynamischer Biografien auf die ­Literatur sprechen. Denn beide verbindet selbst eine fluide Identität. Appiah ist der Sohn einer britischen Mutter und eines ghanaischen Vaters, er lehrt als Professor an der NYU und ist homosexuell. Barre ist 1982 in Paris geboren, zwischen Somalia und den USA aufgewachsen und lebt mittlerweile in Hamburg.


Ähnlich ergeht es der im Sudan geborenen und in New York aufgewachsenen Schriftstellerin Fatin Abbas, die am zweiten Veranstaltungsabend aus ihrem Debütroman »Zeit der Geister« lesen wird. Darin erzählt sie von einer verbotenen Liebe zwischen zwei verfeindeten Volksgruppen, von einer amerikanischen Filmemacherin mit sudanesischen Wurzeln und einem amerikanischen Geografen, der die Region kartographieren soll. Sie alle treffen an einem Grenzort in Sudan im sicheren Refugium einer NGO aufeinander, während vor den Türen des Hauses ein Bürgerkrieg droht. Zusammen mit Appiah wird Abbas an diesem Abend über persönliche Erfahrungen der Zugehörigkeit und Abgrenzung diskutieren. Denn: »Wir alle haben viel zu tun da ›draußen‹ in der Welt«, mahnt Appiah im Epilog zu ­seinen Überlegungen über die ­Neuerzählung von Identitäten.

Kwame Anthony Appiah & Lubi Barre: Di 25.6., VHS-Forum, 19 Uhr
Fatin Abbas & Kwame Anthony Appiah: Mi 26.6., KHM, 19 Uhr