Nicht gut genug

Der Fall Roth zeigt die Lücken bei der Aufklärung von Me-Too-Fällen im Kulturbetrieb

Warum gibt es eigentlich kaum Romantic Comedys, die im Kulturbetrieb spielen? Vermutlich, weil der Plot zu abge­droschen wäre. Eine ältere Person in gehobener Stellung fühlt sich zu jemandem hingezogen, deren berufliches Fortkommen von ihr abhängig ist. Schnell folgt die Kontaktaufnahme, erst aufdringlich, dann übergriffig, dann pornografisch.

Das letzte Remake dieses Plots wurde vor ein paar Wochen im französischen Enthüllungsmagazin Le canard enchainé veröffentlicht. In der Hauptrolle: François-Xavier Roth, Generalmusikdirektor des Gürzenich-Orchesters. Er soll bei verschiedenen Orchestern und Gastspielen übergriffige Textnachrichten an Frauen verschickt haben, Dickpics zum Teil inklusive. Auch in Köln soll es Beschwerden über sein Verhalten gegeben haben. Das bestätigte das Gürzenich-Orchester gegenüber Kölner ­Medien. 2020 soll es deshalb erste Gespräche mit Roth gegeben haben, in den vergangenen zwei Jahren habe er das Schreiben von Textnachrichten eingestellt, so das Orchester.

Aber erst jetzt, nachdem die Vorwürfe ­öffentlich geworden sind, wurde Roth freigestellt, um »den Sachverhalt aufzuklären«, wie OB Henriette Reker sagt. Aber warum hat man zuvor schon Gespräche geführt, wenn
der Sachverhalt unklar war? Das ergibt ebenso wenig Sinn wie das Statement des Gürzenich-Orchesters, dass die Betroffenen um Vertraulichkeit gebeten hätten und deshalb die Stadt Köln nicht informiert worden sei. Es ist selbstverständlich, Betroffene sexualisierter Gewalt nicht gegen ihren Willen zu outen. Aber wenn man die Vorwürfe nur intern untersucht, wirkt es eher so, als solle das Image des Gürzenich-Orchesters und seines Star-Dirigenten ­geschützt werden anstatt die Betroffenen.

Sie waren mutig genug, sexuell übergriffiges Verhalten zu melden, mussten aber weiter ­unter dem mutmaßlichen Täter arbeiten. Hat sie das wirklich geschützt?

Nach den großen Me-Too-Fällen wurden in der Kulturbranche neue Protokolle, Verhaltensregeln und Institutionen eingeführt, um sexuelle Übergriffe zu verhindern. Das war ein richtiger Schritt. Aber der Fall Roth zeigt, dass all diese Maßnahmen nichts wert sind, wenn die Verantwortlichen nicht dem Schutz der ­Betroffenen die oberste Priorität einräumen.