How to: Kulturraum Hombroich?!
Unweit von Düsseldorf, südlich von Neuss, mitten im niederrheinischen Niemandsland, lockt ein kultureller Knotenpunkt: Der Kulturraum Hombroich. Dabei handelt es sich um kein gewöhnliches Museumsareal, umgeben von Äckern findet sich ein Kleinod symbiotisch verbundener Kunst und Natur. Mit Bahn und Bus geht es bis zur Haltestelle »Neuss-Minkel 2«, die selbst schon ein von Per Kirkeby entworfenes Kunstwerk ist; zu ihm aber später mehr. Von hier aus gilt es, über 40 Gebäude auf 64 Hektar Fläche zu erkunden. Wo fängt man da am besten an? Erstmal machen wir uns auf den Weg zum Kernstück, dem Museum Insel Hombroich, einem 21 Hektar großen Landschaftsschutzareal. Dieses wurde 1987 vom Immobilienmakler Karl-Heinrich Müller (1936–2007) eröffnet und dient bis heute der Präsentation seiner üppigen Kunstsammlung. Gemeinsam entwickelte er mit den Künstlern Gotthard Graubner und Erwin Heerich sowie dem Landschaftsarchitekten Bernhard Korte in Anlehnung an Paul Cézanne einen landschaftlichen Idealraum.
Nachdem das kleine Kassenhaus passiert wurde, geht es mitsamt Plan auf Entdeckungstour. Im Laufe des Besuchs unserer ersten Station fällt schnell auf, dass sich hier keinerlei Verbots- oder Richtungsbeschilderungen finden. Vielmehr müssen die Besucher*innen der eigenen Wahrnehmung vertrauen. Verschlungene Kieswege führen an mäandernden Wasserläufen vorbei, über weitläufige Auen bis hin zu einer jahrhundertealten, riesigen Sumpfzypresse. Vorgedrungen in die Herzkammer, einen zwischen Armen der Erft gelegenen Park aus dem Jahr 1816, scheint die Idylle nahezu grenzenlos. Verwunschen, wildwüchsig ist es hier, und verirren ist eingepreist. Passenderweise heißt die größte begehbare Skulptur des Ensembles “Labyrinth”, das nach einer aufwendigen energetischen Sanierung seit dem 22. Juni seine Tore wieder für die Öffentlichkeit geöffnet hat. So bleibt das Zwölf-Räume-Haus, die einzige Struktur, die wegen Sanierungsarbeiten derzeit geschlossen ist.
Wer Augen und Ohren offen hält, findet stets den Weg zu den begehbaren Backsteinskulpturen von Heerich. Streng geometrisch kommt der aus rotem Abbruchziegel errichtete »Turm« daher, der sich von allen Himmelsrichtungen aus betreten lässt. Das Innere ist vollkommen leer — nur die Türöffnungen rahmen im Wind wogende Gräser. Auch das Kassenhaus oder die Cafeteria gehen auf Heerichs Entwürfe zurück. Am Buffet darf man sich frei bedienen, die Wegzehrung ist im Eintrittspreis inbegriffen.
Zumeist sind es aber von Tageslicht geflutete Galerien für Müllers Porträts von Corinth, Zeichnungen von Klimt oder Mobiles von Calder, genauso wie für Statuen der Khmer aus Kambodscha, die anlocken. Bis Ende des Jahres läuft eine Wechselausstellung mit den »Farbraumkörpern« von Gotthard Graubner, welcher die ungewöhnliche Ausstellungskonzeption ersonnen hat. Er durfte hier, neben Heerich und Beuys-Schüler Anatol Herzfeld, ein Atelier auf Lebenszeit nutzen.
Nach dem Besuch der Insel geht es zurück zur Haltestelle, aber an dieser vorbei, an der Straße entlang und gegenüber auf einen kleinen Feldweg. Es ist nur ein kurzer Fußweg, bis man zum Kirkeby-Feld gelangt. Dieses sollte 2002/2003 als Verbindung der Insel Hombroich mit der Raketenstation dienen und ist mit fünf, vom dänischen Künstler Per Kirkeby entworfenen Architekturskulpturen bestückt. Einer der Bauten beheimatet das vom Clemens-Sels-Museum betriebene »Feld-Haus — Museum für Populäre Druckgrafik«.
Von Drucken Alter Meister über Poesiealben bis zu Spielen ist für jeden Geschmack etwas dabei. Anhand der rund 300 ausgestellten Exponate lässt es sich ebenso spielend leicht in die Geschichte der populären Druckgrafik eintauchen. Dahinter findet sich ein weiteres Kirkeby-Gebäude, welches seit 2007 Arbeiten aus der Kunstsammlung von Volker Kahmen beherbergt und auf Wunsch besichtigt werden kann. Schließlich präsentiert das Ensemble »Drei Kapellen« Arbeiten von Kirkeby, Fotografien von Ursula Schulz-Dornburg sowie wechselnde Ausstellungen.
In Sichtweite einer überdimensionalen Skulptur von Eduardo Chillida folgt ein Bauwerk, dessen Dach einem gelandeten Ufo gleicht. Schon aus weiter Ferne ist es als Landmarke erkennbar
In Sichtweite einer überdimensionalen Skulptur von Eduardo Chillida folgt ein Bauwerk, dessen Dach einem gelandeten Ufo gleicht. Schon aus weiter Ferne ist es als Landmarke erkennbar: die Raketenstation. Sie ist heute Sitz der »Thomas Schütte Stiftung«, Holzlamellen auf der Außenwand bilden ein feines Gerippe, das im Innern zurzeit Drucke von Schütte selbst beherbergt. Im Zentrum mutet eine mit anthrazitfarbenen Backsteinen verkleidete Kammer als intimer Ausstellungsort fast sakral an. Bereits voller Eindrücke erreichen wir nach fünfzehn Minuten Fußweg endlich das Gelände der Raketenstation. Zunächst spiegelt sich jedoch in einem flachen Wasserbassin die Langen Foundation, welche seit 2004 in einem Bau des japanischen Architekten Tadao Ando residiert. Letzterer entwickelte auf Einladung Heinrich Müllers ein Gebäude aus Beton, Glas und Stahl, welches die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen lässt. Das Innere hält neben der ebenerdigen Galerie und Andos »Raum der Stille« in sechs Metern Tiefe zwei weitere Ausstellungsräume bereit, die wechselnd der Sammlung japanischer Kunst von Marianne und Viktor Langen sowie zeitgenössischen Positionen gewidmet sind.
Die Raketenstation war Teil des »Verteidigungsgürtels vom Nordkap bis zur Türkei« und diente seit 1966 als Stützpunkt der NATO zur Stationierung von Sprengköpfen für Marschflugkörper. Nach dem Abschluss des nuklearen Abrüstungsvertrags zwischen den USA und der Sowjetunion verwahrloste das vormals auf keiner Karte verzeichnete militärische Sperrgebiet, bis es 1994 von Müller erworben und gemeinsam mit befreundeten Künstler*innen umgestaltet wurde. Seine Geschichte ist bis heute anhand von Hangars, Beobachtungsturm und Erdwällen spürbar. Als Pendant zur Insel Hombroich lassen sich die Gebäude auch hier auf eigene Faust erkunden, finden Ausstellungen, Konzerte oder Lesungen statt. Derzeit zum Beispiel eine Fotoausstellung des Fotografen Bernhard Fuchs oder eine Schau zum bislang unbekannten Werk von Hildegard Heerich.
Die Raketenstation ist mehr dem Experiment gewidmet, dient Künstler*innen aller Sparten noch immer als Lebens- und Arbeitsort. Wem das zu viel Programm für einen Tag ist, kann im Gästehaus Kloster übernachten und gänzlich abtauchen in den wie eine Parallelwelt anmutenden Kulturraum Hombroich.
Museum Insel Hombroich
Minkel 2, Apr.-Sept.; Mo–So 10–19 Uhr
Feld-Haus — Museum für
Populäre Druckgrafik
Berger Weg 5, Sa/So 11–17 Uhr
Skulpturenhalle
Lindenweg, Ecke Berger Weg,
Fr-So 10–18 Uhr
Langen Foundation
Raketenstation Hombroich 1,
Di-So 10–18 Uhr
Raketenstation
Raketenstation Hombroich 4,
Gelände: Mo–So 10–18 Uhr;
Ausstellungen: Fr-So 12–16 Uhr
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