Debussy, der Grabstein Marcuses und das queere Ohr: Food for Thought von Terre Thaemlitz, Foto: Comatose Recordings

Spannung anlegen, Funken schlagen

Der DJ / die Komponistin Terre Thaemlitz kommt zur Monheim Triennale

Terre Thaemlitz hat man hier vor 25 Jahren, als sie das erste Mal nach Deutschland und also auch nach Köln kam, nicht so recht begriffen. Deshalb hat man alles, was er damals vorlegte — die Veröffentlichungen, die, so schien es, im Monatstakt auf uns herab prasselten, ihre DJ-Sets, seine Statements: ausschweifend, eloquent, militant, kryptisch —, regelrecht aufgesogen, um sie ungefiltert auf sich wirken zu lassen. Es war ein Genuss — und es war verwirrend. Terre Thaemlitz, die US-Amerikanerin, der heute in Kawasaki, Japan, lebt, inzwischen auch auf der Documenta ausstellte oder für die Kölner Akademie der Welt, deren Mitglied sie ist, eine große Videoinstallation realisierte, war damals … alles: eine House-DJ aus der New Yorker Queer-Community, ein Komponist abstrakter, hochverdichteter elek­troakustischer Kompositionen, eine militante Aktivistin, der sich die Verwirklichung von dem, was wir LGBTQ-Rechte nennen, nicht in einer kapitalistischen Gesellschaft vorstellen kann, sondern in der klassenlosen Gesellschaft, im Kommunismus.

Vielleicht muss man das an dieser Stelle einschieben: Terre Thaemlitz empfiehlt, sie abwechselnd mit er und sie anzusprechen. Da kommt man beim Schreiben ins Stolpern, aber darum geht es ja auch. Wie in seiner Musik.

Und heute? Wie steht heute die (Klang-)Kunst von Terre da? Auskunft darüber gibt sie am besten selbst: Wir haben ein Interview mit ihm geführt. Schriftlich, das war die Bedingung. Und gewünscht ist, dass das Interview nicht zerstückelt wird, dass es nicht um »Stellen« geht, die wir als besonders prägnante herausfischen. Terres Antworten sind episch — im Wortsinne. Das Interview hätte abgedruckt den Umfang von mindestens acht Druckseiten. Also: Arbeitsteilung. Auf unserer Homepage ist es nachzulesen und herunterzuladen — in deutscher Übersetzung und im Original. Hier nehmen wir uns die Freiheit, seine Musik einzuordnen. Wir gehen dabei auf das Interview ein, aber direkt zitieren werden wir daraus nicht.

Thaemlitz ist einer der Stars der Monheim Triennale, die dieses Jahr mit einem neuen »Prequel«, 4.–6. Juli, ihren nächsten Festival-Zyklus beginnt (Terre wird auch 2025, beim Hauptfestival, wieder dabei sein). Gelegenheit zur Konfrontation, zur produktiven Irritation ist gegeben: Am 5. Juli performt sie ein DJ-Set — mit Stücken aus der Schule elektro­akustischer Kompositionen und der musique concrète (Festivalschiff MS RheinFantasie, 23 Uhr); am folgenden Samstag ein Klavier-Solo-Set (Festivalschiff MS RheinFantasie, 19 Uhr).

»Virtuosität«, ungebrochenes Musikmachen, vulgo: »Spielfreude«, werden wir nicht erwarten dürfen. Das sind bereits Standards des Musikbetriebs, die für ein bestimmtes Amüsement stehen, das konformistisch ist. Wer in seine Arbeitsweise einsteigen möchte, klicke — why not — auf einen der ersten Vorschläge, den Youtube auf den Suchbefehl »Terre Thaemlitz« hin ausspuckt. Terre, das schreibt sie im Interview, verachtet Youtube als eine Art abstrakte Zensurbehörde und lehnt sie ab. Aber seine Musikerinnenpersönlichkeit wird in dem Moment, wo sie Tracks veröffentlicht, natürlich trotzdem von den klebrigen Algorithmen eingesponnen.

Zu den ersten Youtube-Vorschlägen gehört Terres »Debussy-Remix«, eine Bearbeitung von dessen »Prélude à l’après-midi d’un faune« (1894), seinerzeit der Beginn der musikalischen Moderne. Der Remix ist exemplarisch: Die ursprüngliche Komposition ist durchzogen von elektronischen (Stör-)Geräuschen, die Debussys Stück aber nicht wesentlich verändern, vielmehr rahmen. Terre stellt sie als historisches Artefakt aus: Das elektronische Zirpen kann man als Knistern alter Tonaufnahmen interpretieren. Gleichzeitig harmoniert das Stück, das dynamisch nach vorne gezogen (lauter geregelt) wird, dann wieder in den Hintergrund sich zurückzieht, mit der Elektronik. Es ist ein Dialog, der ineinandergreift — eine Symbolisierung der ursprünglichen Modernität der Komposition, auch für ihre an­haltende Relevanz.

Nein, sie glaube nicht an einen inhärent queeren Klang (analog dazu: einen inhärent modernistischen, avantgardistischen, freien etc. Klang). Queerness entstehe aus kulturellen Spannungen. Diejenigen von uns, schreibt Terre, die mit Schwulenfeindlichkeit, Gewalt und Verboten aufgewachsen seien, neigten dazu, das zu kultivieren, was man ein »queeres Ohr« nennen könne — die Fähigkeit, verschlüsselte Hinweise auf sexuelle und geschlechtliche ­Varianz in den Mainstream-Medien zu entdecken, die eigentlich auf ein heteronormiertes Publikum abzielen.

Queerness entstehe aus Spannungen. Diejenigen von uns, schreibt Thaemlitz, die mit Schwulen­feindlichkeit, Gewalt und Verboten aufgewachsen seien, kultivieren das, was man ein ›queeres Ohr‹ nennen kann

Debussys »Prélude à l’après-midi d’un faune« ist die klangliche Interpretation des gleichnamigen Gedichtes Stephane Mallarmé, das mindestens auf formaler Ebene die Auflösung starrer Bedeutungen und Zuschreibungen zelebriert: Man kann es also queer interpretieren, wenn man bereit ist, jene Spannungen zu entdecken, den historischen Kontext auf seine Brüche, auch seinen revolutionären Gehalt hin abzuklopfen. Dann klingt Debussy wieder schroff, irritierend fremd, seine Musik öffnet sich für unsere gegenwärtigen Erfahrungen, unsere Hoffnungen.

Das ist eine Arbeitsweise Thaemlitz’, und sie bezieht sie nicht nur auf die europäische Moderne, die erste (künstlerische) Avantgarde nach dem Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen. Terre bezieht sich auch auf amerikanische Schlager und Bar-Jazz oder New Yorker House-Music der 80er und 90er Jahre — damals sabotierte sie ihre eigene, vielversprechend DJ-Karriere, weil er sich weigerte, von den Clubbetreibern gewünschte Tracks, »Hits«, zu spielen, und konsequent bei unbekannten Stücken und Produzent*innen blieb (was ihr den ein oder anderen Rauswurf einbrachte).

Heute  ist Thaemlitz selbst als historische Persönlichkeit anzu­sehen, ist doch ein Vierteljahrhundert seit seinen ersten Perfor­man­ces in Köln vergangen. Es ist tröstlich, dass sie an seinen Dekon­struktionen festhält, ihre CDs sind gut gealtert, seine Performances haben auch heute noch Irritationspotenzial. Und dennoch — eine Einladung zur Documenta, die Mitgliedschaft in einem Prestigeprojekt, wie es die Akademie der Künste der Welt für Köln sein soll, zeigen untrüglich die Etablierung an. Was tun? »Weitermachen!«, wie auf dem Grabstein von Herbert Marcuse steht, der beides war — leidenschaftlicher Revolutionär und bewunderter Professor an Elite-Unis. Widersprüche aushalten. Unbeirrt an materialistischen Positionen festhalten, wie Terre es in seinen Antworten tut. Auch das irritiert. Und setzt für die, die sich darauf einlassen, Energien frei. 

Monheim Triennale 2024

4.–6.7., The Prequel
Festivalschiff MS RheinFantasie und Marienkapelle
Programm: monheim-triennale.de

Den ganze Austausch mit Terre ­Thaemlitz könnt ihr hier lesen